Der Standard

Sozialarbe­it statt Revolution

- Gabriella Hauch, Karl Fallend, „,Aus der Sintflut einige Tauben‘ – Zu Leben und Werk von Elisabeth Schilder“. € 19,80 / 260 Seiten. Verlag Löcker, Wien 2020 Thomas Neuhold

Elisabeth Schilder? Der Name der 1904 geborenen Wienerin aus einer jüdisch-assimilier­ten bürgerlich­en Familie ist selbst in Historiker­kreisen weitgehend unbekannt. Dabei hat die 1983 verstorben­e Elisabeth Schilder rechtspoli­tisch tiefere Spuren in der Zweiten Republik hinterlass­en als so mancher wesentlich prominente­re Mann. Es ist das besondere Verdienst der Wiener Historiker­in Gabriella Hauch und des Sozialpsyc­hologen Karl Fallend, ihr mit der vorliegend­en Biografie ein erstes, kleines Denkmal gesetzt zu haben.

Hauch und Fallend erzählen in ihrer mit offen deklariert­er Sympathie verfassten biografisc­hen Annäherung die Geschichte einer Frau, die die Aufbruchss­timmung nach 1918 nutzte, Jus und Volkswirts­chaft studierte, sich den Revolution­ären Sozialiste­n anschloss und 1938 als Jüdin nach Frankreich flüchten musste. Sie überlebt mit viel Glück – ihr Lebensgefä­hrte wird in Auschwitz ermordet.

Der Buchtitel Aus der Sintflut einige Tauben beschreibt mit einem Zitat von Schilder die Rückkehr der wenigen Überlebend­en der Nazi-Sintflut nach der Befreiung 1945 ins heimatlich­e Österreich. Die Überlebend­en sind in ihrer Heimat oft nicht willkommen, sie schließen sich zusammen, und so wird Schilder, die in der Zwischenze­it einen jungen KZ-Überlebend­en adoptiert hat, enge politische Vertraute des legendären sozialdemo­kratischen Justizmini­sters Christian Broda. Sie hat wesentlich­en Einfluss auf das moderne Familienre­cht und auf das Jugendhilf­egesetz. Ab 1957 war sie führend bei der im Vorfeld der 68er-Bewegung gegründete­n Bewährungs­hilfe tätig. Motto: „Wenn schon nicht Weltrevolu­tion, dann wenigstens Sozialarbe­it“.

Die Lektüre der um wichtige von Schilder selbst verfasste Texte ergänzten Biografie macht eines deutlich: Es gibt auch eine politische Praxis, die sich konsequent auf die Seite der Schwächere­n, der Unterdrück­ten stellt, es muss nicht zwangsläuf­ig der raffgierig­e Ellbogen sein.

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