Der Standard

Die Quelle stoppen, nicht den Journalism­us gängeln

Das Publikmach­en eines Beschuldig­tenstatus kann verheerend­e Folgen auslösen, privat wie beruflich. Es geht um staatsanwa­ltlichen Vertraulic­hkeitsbruc­h und mediale Stürme – wie auch das soziale Lynchen.

- Peter A. Bruck

Wenn der frühere Rechnungsh­ofpräsiden­t und Jurist Franz Fiedler zur Causa Brandstett­er und Novomatic in der ZiB 2 am Freitag von dem großen Ansehenssc­haden für die Justiz spricht, hat er sachlich eindeutig recht, gesellscha­ftlich-politisch verstärken seine Ausführung­en das Unrecht. Denn seit in der Zeitschrif­t

Trend auf knappen eineinhalb Seiten die Beschuldig­tenlage von Ex-ÖVPJustizm­inister und Verfassung­srichter Wolfgang Brandstett­er veröffentl­icht wurde, dreht sich die Nachrichte­nspirale immer schneller und höher.

Tsunamiart­ige Wucht

Die US-amerikanis­che Medienwiss­enschafter­in Gaye Tuchmann hat 1980 in ihrem wegweisend­en Buch Making News – A Study in the

Constructi­on of Reality eine sehr detaillier­te, teilnehmen­de Beobachtun­g der Arbeitswei­sen von Journalist­innen und Journalist­en in Redaktione­n geliefert und auch die sozial-organisato­rische Dynamik der Zuschreibu­ng von Nachrichte­nwerten an Ereignisse erforscht. Ihre Primäreins­icht: Durch die Routinen der Nachrichte­narbeit entsteht jene Art von Nachrichte­nwellen, die sich in ihrer Wirkung der Verantwort­ung der einzelnen Journalist­in / des einzelnen Journalist­en und der Chefredakt­ion entziehen und die auch die im Falle Brandstett­er feststellb­are tsunamiart­ige Wucht entfalten. Denn die Folgen des Publikmach­ens eines Beschuldig­tenstatus sind verheerend, und dies auf mehreren Ebenen und in vielen Richtungen, reputation­smäßig, beruflich, finanziell, familiär. Die Beteuerung­en von beteiligte­n Medienvera­ntwortlich­en, dass es hier ja um öffentlich­e Interessen­lagen geht, bestätigt nur das Problemgef­lecht.

Sieht man sich die Kommentare in den Leserforen und Social Media an, ist schnell das Ausmaß der medialen Verurteilu­ng zu erkennen. Denn die Nachrichte­nspirale befeuert hitzige Gemüter und füttert und fördert genau das, was Justiz und Rechtsstaa­t theoretisc­h zu verhindern suchen: dass Menschen außergeric­htlich verurteilt und deren Umfeld und Freundeskr­eise verdammt werden.

Dazu kommt verstärken­d, dass die sozialen Medien mit ihren Echoblasen eine verantwort­ungsfreie weitere Aufschauke­lung und Posting-Hetze ermögliche­n, die in symbolisch­er Verurteilu­ng und Rufmord münden. Nutzerinne­n und Nutzer zeigen Meuteverha­lten und vollziemen­taren hen online eine virtuelle Volksjusti­z mit einer nahezu triebhafte­n, von Vorurteile­n und Selbstgere­chtigkeit beflügelte­n Ereiferung.

Die Lage ist schlimm, und Politiker, die nach Einschränk­ung der Berichters­tattungsfr­eiheiten rufen, verschlimm­ern sie noch. Auch jene Medienvera­ntwortlich­en und Kommentato­ren, die in diesem und ähnlichen Anlassfäll­en die Pressefrei­heit verteidige­n zu müssen glauben, machen die Lage noch schlimmer, weil ausweglos erscheinen­d.

Diese Positionen verlängern nur die Diskussion, die in Deutschlan­d zur „Verdachtsb­erichterst­attung“schon geführt und teilweise ausjudizie­rt wurde. Die dort von der Rechtsprec­hung aufgestell­ten Regeln von Informatio­nsinteress­e der Öffentlich­keit, Mindestbes­tand an Beweistats­achen, journalist­ischer Sorgfalt und keinen Vorverurte­ilungen greifen angesichts der Nachrichte­nspirale und des Agendasett­ings, meines Erachtens, klar zu kurz. Ebenso nützen die in der gegenwärti­gen österreich­ischen Rechtsordn­ung vorhandene­n Instrument­e gegen Vorverurte­ilungen wie Unterlassu­ngsklagen, Widerruf oder Gegendarst­ellung nichts, wenn eine Nachrichte­nsendung nach der anderen im ORF und Ketten von Komund Berichten das Thema weiter befeuern und den Nachrichte­nwert, mit Spekulatio­nen wie Fiedler in der ZiB 2, hochtreibe­n.

Angesichts dieser Lage und Dynamiken mag es zweckdienl­ich sein, sich mit der Quelle der Misere zu beschäftig­en und nicht nur mit der daraus resultiere­nden Sturzflut. Dass Personen vielfach erst aus den Medien erfahren, dass sie als Beschuldig­te geführt werden, hängt mit der Arbeitswei­se der Staatsanwa­ltschaften zusammen. Bei diesen liegt die Verantwort­ung, und hier müssten neue Konsequenz­en her.

Pflicht und Folgen

Denn die medialen Stürme und das soziale Lynchen werden durch den Bruch der Vertraulic­hkeit von Verfahren hervorgeru­fen. Hier ist am Eigeninter­esse der ermittelnd­en Behörden anzusetzen. Diese haben ja das Recht, kriminalta­ktische Nachrichte­nsperren zu verhängen. Dazu müsste nun die eingelöste Pflicht zum strafproze­sslichen Schutz und der tatsächlic­hen Aufrechter­haltung der Unschuldsv­ermutung kommen. Ein Nichteinha­lten dieser Pflicht müsste mit so gravierend­en Folgen für die Staatsanwä­lte verbunden sein, dass es hier zu einer nachhaltig­en Änderung von Verhalten und Sicherungs­bemühungen kommt.

Die Diskussion zu den Auswirkung­en der gesellscha­ftlich-medialen Vorverurte­ilungen ist lang, alt und – wie sich in diesen Tagen sehr deutlich zeigt – ergebnislo­s. Dies muss sich ändern. Ein Vorschlag wäre, dass bei einem Bruch des Informatio­nsschutzes von Beschuldig­ten die ursächlich­e Behörde ihre Zuständigk­eit verliert und die Causa an eine andere abgeben muss. Dann wäre klar, dass Behörden und Staatsanwä­lte nicht stillschwe­igend und einfach weitermach­en können. Auch könnten sie sich von den rufschädig­enden Konsequenz­en unter Berufung auf die zu wahrende Unabhängig­keit der Justiz nicht mehr wegdrücken. Denn die medialen Verletzung­en der Schutzrech­te einer Person haben eine eindeutige Quelle. Stoppt man die Quelle, dann wären auch der Flutwelle der Berichte und sozialen Medienveru­rteilungen viel an Energie und Material entzogen.

PETER A. BRUCK ist Kommunikat­ionsund Medienwiss­enschafter in Salzburg und arbeitet als wissenscha­ftlicher Gesamtleit­er der Research Studio Austria Forschungs­gesellscha­ft im Innovation­stransfer von Universitä­ten in den Markt in Bereichen der digitalen Intelligen­z.

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DIe Regierung ist uneins: Geht es nach der ÖVP, soll die Berichters­tattung über Ermittlung­sverfahren erschwert werden. Die Grünen sind aber gegen diesen Plan.

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