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Schöne Schnecken, starkes Gift: Wie Forscher aus tierischen Toxinen Medikament­e machen

Markus Muttenthal­er untersucht, wie Peptide aus Tiergiften wirken – und wie man sie als Medikament­e nutzbar machen kann.

- Julia Sica

Gefährlich­er, als sie aussieht: eine äußerst giftige Kegelschne­cke. Sie gilt als vielverspr­echender Wirkstoffl­ieferant.

Geht es um gefährlich­e Tiere, so ist der Gedanke an Schnecken nicht gerade naheliegen­d. Dabei gibt es bestimmte Arten, die – wenngleich zurückhalt­end im Tempo – nicht zu unterschät­zen sind: Die Familie der Kegelschne­cken etwa hat einige Mitglieder, die sogar für Menschen lebensgefä­hrlich sind. Diese Tiere benutzen eine Art Giftzahn, um ihre Beute zu paralysier­en. Weil auch wesentlich schnellere Fische auf der Speisekart­e stehen, muss das Opfer sofort getötet werden. Entspreche­nd potent ist ihr Gift.

Genau dieser Giftcockta­il ist eine Quelle interessan­ter chemischer Verbindung­en für Forscher wie Markus Muttenthal­er. Der 42-jährige Medizinche­miker vom Institut für Biologisch­e Chemie der Universitä­t Wien konzentrie­rt sich auf bioaktive Peptide. Das sind kleine Proteine, die als Botenstoff­e fungieren. Dazu gehören manche Hormone, aber auch die meisten Verbindung­en in vielen Tiergiften sind Peptide – die als vielverspr­echende Wirkstoffk­lasse wohl noch an Bedeutung gewinnen dürften, wie Muttenthal­er und Kollegen kürzlich im Fachblatt Nature Reviews Drug Discovery schrieben.

„Wir sitzen auf einer großen natürliche­n Ressource, die kaum erforscht ist“, sagt der Wissenscha­fter. „Bei einer einzelnen Spezies der Kegelschne­cken findet man im Tiergift hunderte bioaktive Verbindung­en.“Es gibt allerdings mehr als 600 Arten dieser Schneckenf­amilie, die sich in ihrer Giftkombin­ation unterschei­den – allein weil sie verschiede­ne Ecken der Weltmeere bewohnen und sich nicht alle gleich ernähren. Und schließlic­h existieren noch unzählige andere giftige Tiere – Spinnen, Schlangen, Skorpione –, die ihre eigenen Mixturen produziere­n.

Evolution der Tiergifte

Diese unterschei­den sich, je nachdem, welche Giftwirkun­gen sich als evolutionä­r vorteilhaf­t herausgest­ellt haben. Bei einem Biss oder Stich gelangen die verschiede­nen Verbindung­en in den Blutstrom und binden an Rezeptoren. Diese Bindung ist bei einem Peptid sehr spezifisch – im Gegensatz zu vielen kleineren Molekülen, die an mehrere Typen eines Rezeptors binden können. Das macht auch einen der Vorteile von Peptiden aus, denn je spezifisch­er die Bindung, desto weniger Nebenwirku­ngen treten auf.

Nimmt man sich nun einen einzelnen Wirkstoff aus einem Gift heraus, der etwa die Weiterleit­ung von Nervenreiz­en hemmt, kann das ein gutes Ausgangsma­terial für ein Schmerzmit­tel sein, sagt Muttenthal­er: „Wir versuchen dann, den Stoff synthetisc­h zu produziere­n, damit wir genügend Material haben, um die genaue Wirkungswe­ise festzustel­len.“

Für die pharmakolo­gische Entwicklun­g aber geht hier erst die Arbeit los. Die Stabilität der Verbindung muss überprüft werden und die bestmöglic­he Weise, sie zu verabreich­en. „Peptide sind keine guten Tablettenm­edikamente, da der Magen-Darm-Trakt ja darauf ausgericht­et ist, Proteine und Peptide abzubauen – Steak zum Beispiel“, sagt Muttenthal­er. Damit sie unbeeinträ­chtigt dort ankommen, wo sie wirken sollen, werden

90 Prozent der Peptidmedi­kamente injiziert.

Das bekanntest­e zugelassen­e Mittel, dessen Peptidwirk­stoff auf einem Tiergift basiert, ist Byetta: Es senkt bei Typ-2-Diabetes den Blutzucker­spiegel und wurde im

Speichel einer Krustenech­se entdeckt. Auch eine Verbindung aus den Giften der Kegelschne­cke ist auf dem

Markt: Prialt wird bei manchen Patienten mit starken chronische­n Schmerzen verwendet und ins Rückenmark gespritzt. Insgesamt nehmen Peptidwirk­stoffe fünf Prozent des Medikament­enmarkts ein; mehr als 150 befinden sich derzeit in klinischer Entwicklun­g.

Spinnen und Skorpione

Muttenthal­er leitet zwei Arbeitsgru­ppen: Eine ist an der Fakultät für Chemie der Universitä­t Wien angesiedel­t, die andere an der University of Queensland. In Australien ist die giftige Fauna freilich facettenre­icher als in Österreich – dort nahm der reisefreud­ige Forscher schon als Doktorand häufig die Gelegenhei­t zu Exkursione­n ans Great Barrier Reef und in den Tropenwald wahr. Der therapeuti­sche Fokus von Muttenthal­er, der für seine Arbeit schon mehrfach hochdotier­te Förderunge­n des Europäisch­en Forschungs­rats (ERC) eingeworbe­n hat, liegt nicht nur bei der Behandlung von Schmerzen, sondern beinhaltet beispielsw­eise auch Magen-Darm-Krankheite­n, Autismus und Brustkrebs.

Kürzlich hat er sich insbesonde­re mit der Verknüpfun­g verschiede­ner Peptide beschäftig­t. Es ist etwa möglich, einen Spinnengif­tstoff mit einem Skorpionpe­ptid zu kombiniere­n. Dadurch kommen im System der Schmerzwei­terleitung zwei unterschie­dliche Mechanisme­n zum Tragen. Sie blockieren eine wichtige Instanz in der Schmerzwei­terleitung langfristi­g. Das bedeutet auch, dass sie auf diese Weise für längere Zeit Schmerzen lindern könnten.

Biofilmfor­schung

Ein aktuelles Projekt, das vom Wiener Wissenscha­ftsund Technologi­efonds (WWTF) unterstütz­t wird, nimmt entzündlic­he Darmerkran­kungen und das Reizdarmsy­ndrom unter die Lupe: Muttenthal­er erforscht mit Kollegen der Med-Uni Wien und des AKH Biofilme, die sich bei vielen Patienten bilden. Diese Schleimfil­me mit Mikroorgan­ismen schützen bestimmte Bakterien, die darunter liegen: „Diese können unter der Schutzschi­cht wachsen und gedeihen.“Das hat unter anderem zur Folge, dass sie nicht von Antibiotik­a erreicht werden können.

Im laufenden Projekt wurden schon erste Schritte unternomme­n, um diese Biofilme genauer zu analysiere­n, sagt der Forscher: „In unserem Labor entwickeln wir verschiede­ne chemische Ansätze, um diese Schicht aufzulösen oder für Antibiotik­a penetrierb­ar zu machen.“Sein Team stellt darüber hinaus verschiede­ne Peptide her, die ein gesunder Mensch als Abwehrmech­anismus produziert. Diese natürliche Reaktion könnte schließlic­h bei den Patienten nicht funktionie­ren. „Die bakteriell­e Atmosphäre des Biofilms schauen wir uns auch patientens­pezifisch an“, sagt Muttenthal­er. „Wir wollen herausfind­en, ob es einen Lösungsans­atz für alle Erkrankten gibt oder das Problem individuel­l unterschie­dlich behandelt werden muss.“

„Wir sitzen auf einer großen natürliche­n Ressource, die kaum erforscht ist.“ Markus Muttenthal­er

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Foto: University of Queensland

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