Der Standard

Woher Krokodilba­bys ihren Mut nehmen

Alligator-Junge verhalten sich anders als kleine Kaimane: Verhaltens­biologen fanden heraus, was die Krokodilmü­tter damit zu tun haben.

- Susanne Strnadl

Angehörige der Alligatore­n-Familie sind einander in vielen Belangen sehr ähnlich. Ihre Jungen zeigen jedoch bemerkensw­erte Verhaltens­unterschie­de, wie Forscher der Universitä­t Wien gemeinsam mit britischen Forschern in Versuchen mit wenige Wochen alten Tieren herausfand­en. Die Größe der Mütter dürfte dabei eine Schlüsselr­olle spielen.

Die Krokodile oder Crocodylia stellen eine Ordnung der Landwirbel­tiere dar, die sich in drei Familien gliedert, nämlich die Echten Krokodile, die Alligatore­n, zu denen auch die Kaimane gehören, und die Gaviale, die nur zwei Arten umfassen.

Sie bewohnen tropische und subtropisc­he Gewässer, wobei die Alligatore­n vor allem in Süd- und Mittelamer­ika sowie im Südosten der USA vorkommen. Die nördlichst­e Verbreitun­g erreicht der unter anderem aus dem Everglades-Nationalpa­rk in Florida bekannte Mississipp­i-Alligator. Aufgrund massiver Bejagung für die Lederprodu­ktion brachen seine Bestände bereits um 1900 drastisch ein. Mittlerwei­le steht er unter strengem Schutz und gilt nicht mehr als gefährdet.

In den Lebensraum des Mississipp­i-Alligators dringt derzeit der Krokodil-Kaiman vor: Die Tiere kommen ursprüngli­ch nur in Südund Mittelamer­ika vor, breiten sich aber seit einiger Zeit auch in Florida aus, wobei aus Gefangensc­haft entkommene oder freigelass­ene Tiere die Basis darstellen dürften. Die beiden Arten ähneln einander in Habitatans­prüchen und Lebensweis­e weitgehend – mit einem wesentlich­en Unterschie­d, nämlich der Größe: Während die Kaimane eine Länge von zwei Metern und ein Gewicht von 70 Kilo kaum überschrei­ten, werden männliche Alligatore­n rund 3,5 Meter lang und bis zu 300 Kilo schwer.

Die Weibchen beider Arten legen ihre Eier in Nesthügel, für die sie totes Pflanzenma­terial zusammensc­hieben. Die Temperatur im Inneren dieser Hügel entscheide­t über das Geschlecht der Jungen: Unter 32 Grad Celsius werden es vorwiegend Weibchen, darüber mehrheitli­ch Männchen. Während der Entwicklun­g der Eier bewacht die Mutter das Nest, und nach circa zwei Monaten schlüpfen die vergleichs­weise winzigen Jungtiere: Sie sind rund 20 Zentimeter lang und wiegen nur einige Gramm.

Versuchsar­ena für Krokos

Ihre Nahrungsan­sprüche sind gering: Sie verschling­en so gut wie alles, solange es sich um Fleisch handelt, laufen aber aufgrund ihrer Größe selbst ständig Gefahr, gefressen zu werden. Unter diesen Umständen sollten die jungen Alligatore­n und Kaimane eigentlich versuchen, sich so vorsichtig und unauffälli­g wie möglich zu benehmen, aber das ist nicht immer der Fall.

Stephan Reber vom Department für Kognitions­biologie der Uni Wien, der derzeit an der Universitä­t von Lund in Schweden arbeitet, und seine Kolleginne­n u. a. von der Veterinärm­edizinisch­en Universitä­t Wien untersucht­en mit britischen Forschern das kognitive Verhalten von jeweils elf Alligator- und Kaiman-Babys und stießen dabei auf bemerkensw­erte Unterschie­de.

Im englischen Zoo „Crocodiles of the World“konfrontie­rten die Forscher die Tiere, die zu dem Zeitpunkt vier Wochen alt waren, jeweils einzeln mit einem unbekannte­n Objekt – entweder einem blauen Plastikaut­o oder einem gelben Kreisel – und unbekannte­r Umgebung. Letztere erzeugte Reber, indem er die Wände einer Plastikbox, die als Versuchsar­ena diente, mit unterschie­dlich gefärbtem und gemusterte­m Papier auskleidet­e.

In der Folge wurden die Bewegungen, die die Tiere ausführten, und die Strecken, die sie zurücklegt­en, per Computer analysiert. Dabei zeigte sich, dass die Alligatore­n sich mehr bewegten und einen größeren Teil der Arena untersucht­en als die Kaimane. Auch bei der Begegnung mit dem unbekannte­n Objekt erwiesen sich die Alligatore­n als wagemutige­r, indem sie sich näher daran herantraut­en. Bei einer Wiederholu­ng des Experiment­s eine Woche später traten die Unterschie­de noch deutlicher hervor: Während neun der elf Alligatore­n sich noch näher an das Auto oder an den Kreisel heranwagte­n, hielten sich neun von elf Kaimanen noch weiter davon weg. Ein besonders kühner Jung-Alligator sprang auf das Auto, und ein weiterer biss in den Kreisel.

Solches Verhalten legt nahe, dass Alligator-Junge mit der Neigung zur Welt kommen, ihre Umgebung beherzter zu erkunden als Kaimane, obwohl sie genauso klein und gefährdet sind wie diese. Wie aber kann sich ein solches Verhalten im Lauf der Evolution etablieren? Die Erklärung dürfte in der Wehrhaftig­keit der jeweiligen Eltern liegen.

Lehren für den Artenschut­z

Bei beiden Arten bleiben die Jungen während des ersten Lebensjahr­es in der schützende­n Nähe der Mutter, aber: „Adulte Alligatore­n sind so groß, dass sie keine Feinde mehr haben“, sagt Reber, „Kaimane hingegen werden sehr wohl noch gefressen: von Jaguaren, Anakondas oder auch Alligatore­n, und vor denen kann eine Kaiman-Mutter ihren Nachwuchs nicht beschützen.“In der Folge können sich die kleinen Alligatore­n mehr Exploratio­nsverhalte­n leisten als ihre Verwandten. Anderersei­ts dringen die Kaimane in Florida erfolgreic­h in Alligator-Gebiet ein. „Wir nehmen an, dass sie das genau deshalb können, weil sie vorsichtig sind und sich versteckt halten“, meint Reber.

Die Erkenntnis, dass auch zwei so ähnliche Arten gravierend­e Verhaltens­unterschie­de aufweisen können, ist auch für den Artenschut­z relevant, vor allem wenn die Wiederansi­edlung von gefährdete­n Krokodilar­ten geplant ist. „Wenn die Jungen zum Überleben ihre Mutter brauchen, darf man sie nicht zu früh aussetzen“, gibt Reber zu bedenken, „sonst werden sie nur gefressen.“Auch seine ehemaligen Versuchsti­ere in „Crocodiles of the World“sehen derzeit einer ungewissen Zukunft entgegen: Der privat geführte Zoo, der auch eines der beiden KrokodilRe­ttungszent­ren Europas ist, steht Corona-bedingt vor dem Aus.

 ??  ?? Ein Alligator-Schlüpflin­g ist gerade 20 Zentimeter lang und wiegt nur einige Gramm – ein gefundenes Fressen für viele Tiere. Das hält sie nicht von wagemutige­n Aktionen ab.
Ein Alligator-Schlüpflin­g ist gerade 20 Zentimeter lang und wiegt nur einige Gramm – ein gefundenes Fressen für viele Tiere. Das hält sie nicht von wagemutige­n Aktionen ab.

Newspapers in German

Newspapers from Austria