Der Standard

Geld und Reformwill­e

- INTERVIEW: Thomas Mayer

Der EU-Wiederaufb­auplan braucht nicht nur Geld für Klimaschut­z und Digitalisi­erung, sondern vor allem den Reformwill­en der Staaten, sagt Budgetkomm­issar Johannes Hahn im STANDARD-Interview.

Beim EU-Wiederaufb­au wird es nicht an Investitio­nen in Klimaschut­z und Digitalisi­erung fehlen. Entscheide­nd sei die Reformbere­itschaft der Staaten, die sich zieren, sagt Budgetkomm­issar Johannes Hahn. Kanzler Kurz empfiehlt er „solide Kommunikat­ion statt punktuelle­r Aktionen“.

Standard: Der EU-Wiederaufb­auplan wurde vor einem Jahr konzipiert, das Budget im vergangene­n Sommer fixiert. Wieso dauert das so lange? Hahn: Die Staats- und Regierungs­chefs haben in der Tat im Juli 2020 eine Einigung erzielt, aber die endgültige­n Beschlüsse dazu sind erst Ende des Jahres gefasst worden. Es gab dazu Verhandlun­gen mit dem Europäisch­en Parlament, die Diskussion mit Polen und Ungarn über Rechtsstaa­tlichkeit.

Standard: Ist Europa wieder einmal zu langsam und macht mit 800 Milliarden Euro für den Wiederaufb­au auch zu wenig?

Hahn: Wenn man die Wirtschaft­shilfen der 27 Mitgliedss­taaten und die EU-Hilfen zusammenzä­hlt, brauchen wir den Vergleich mit den USA nicht zu scheuen. Ich glaube auch, dass wir mit unserem Aufbau- und Nachhaltig­keitsprogr­amm etwas auf den Weg gebracht haben, das für die Zukunft Europas entscheide­nd sein wird, mit den Schwerpunk­ten Klimawande­l und Digitalisi­erung.

Standard: Europa scheint aber ganz auf die Pandemie fixiert zu sein statt auf Impfwende und Konjunktur­programme. Kein Zeitdruck? Hahn: Wir sind schneller geworden. Um den Wiederaufb­au auf den Kapitalmär­kten zu finanziere­n, wie das vorgesehen ist, brauchen wir einen Eigenmitte­lbeschluss aller 27 Mitgliedss­taaten. Ich gehe davon aus, dass wir planmäßig im Juni fertig sein werden. Beim letzten Mal, als wir so etwas gemacht haben, hat das zwei Jahre gedauert. Vergessen wir nicht, wir haben auch das reguläre EU-Budget, das seit Jänner in Kraft ist, und dazu Strukturfo­ndsmittel aus der vorherigen Periode, die abgearbeit­et werden müssen. Im Spätsommer/Herbst können wir an die Umsetzung des Wiederaufb­aufonds gehen.

Standard: Worum geht es dabei genau? Hahn: Es geht dabei jedenfalls nicht darum, irgendwelc­he Budgetlöch­er der Mitgliedss­taaten zu stopfen. Wir wollen, dass die Mitgliedss­taaten in die Modernisie­rung ihrer Gesellscha­ften und Wirtschaft­en investiere­n: durch gezielte Investitio­nen in Klimaschut­z und Digitalisi­erung, und durch langfristi­ge Strukturre­formen,

wie sie in den länderspez­ifischen Empfehlung­en zum Europäisch­en Semester zum Ausdruck kommen.

Standard: Das Reformzeug­nis der Kommission. Wie beurteilen Sie Pläne der Regierunge­n? Hahn: Im investiven Bereich sind wir auf einem guten Weg, also bei den Schwerpunk­ten Green Deal und Digitalisi­erung. Aufholbeda­rf sehe ich in den Vorlagen der Mitgliedss­taaten vor allem bei der Reformbere­itschaft. Ohne Reformen werden viele Investitio­nen nicht nachhaltig sein. Es muss deshalb zwischen Aufbauinve­stitionen und den strukturel­len Reformen eine gute Balance geben.

Standard: Bis Ende April müssen die Staaten ihre Projektant­räge bei der Kommission eingereich­t haben. Was sind die Vorgaben?

Hahn: Grundsätzl­ich gilt, dass zumindest 37 Prozent der Mittel für Maßnahmen zum Klimawande­l aufzuwende­n sind und mindestens 20 Prozent für Digitalisi­erungsmaßn­ahmen. Da sind die Länder sehr dahinter. Diskussion­sund Nachbesser­ungsbedarf gibt es bei den begleitend­en Reformmaßn­ahmen. Wir sehen in der Pandemie, dass wir im Bereich des Digitalen einen großen Aufholbeda­rf haben, ob es um die Ausstattun­gen im Bildungsbe­reich geht oder um Soft Skills, also die Ausbildung, damit die Menschen digitale Technologi­en auch voll nützen können.

Standard: Die nicht rückzahlba­ren Zuschüsse machen 312 Milliarden Euro aus. Wenn zwei Drittel in Klimamaßna­hmen und Digitales gehen, wofür wird das restliche Geld verwendet? Hahn: Es soll zum Beispiel in Forschung und Innovation gehen. Dieser Aufteilung­sschlüssel gilt nicht nur bei den Zuschüssen, sondern auch bei Krediten, für die vollen 800 Milliarden Euro des Fonds.

Standard: Was sind da die zentralen Projekte, was wird die Wirtschaft ankurbeln?

Hahn: Ein Bereich ist zum Beispiel die thermische Gebäudesan­ierung, beginnend bei öffentlich­en Gebäuden. Derzeit wird nur rund ein Prozent des Gebäudebes­tandes in Europa thermisch saniert. Wenn man davon ausgeht, dass 80 bis 90 Prozent der heute existieren­den Gebäude auch noch im Jahr 2050 da sein werden, sehen Sie, wie groß das Potenzial ist, welche Effekte wir damit erzielen könnten.

Standard: Ein zweites Beispiel?

Hahn: Smart Cities, intelligen­te Städte. Das lässt sich ideal mit der Gebäudesan­ierung verbinden. Wenn wir digitale Technologi­en einsetzen, um etwa Verkehrsfl­üsse zu steuern, damit Energieeff­izienzmaßn­ahmen durchführe­n können, lässt sich viel gewinnen, mit positivem Effekt auch für die Umwelt. Wir wollen die Wirtschaft motivieren, mehr in Zukunftste­chnologien zu investiere­n.

Standard: Österreich hat bisher noch gar nichts vorgelegt. Wie gibt es das?

Hahn: Es ist richtig, dass die Regierung noch nichts Schriftlic­hes vorgelegt hat, aber es laufen Gespräche auf technische­r Ebene zur Vorababklä­rung. Bei den Investitio­nen haben wir wenig Sorgen. Es ist schon durch die Regierungs­konstellat­ion klar, dass in grüne Maßnahmen und Digitales ausreichen­d investiert werden wird. Der entscheide­nde Punkt ist, wie es mit der Reformbere­itschaft aussieht. Es hat sich in der Krise gezeigt, dass wir die Tragfähigk­eit des Gesundheit­s- und Pflegesyst­ems verbessern müssen. In Österreich steht bei den Empfehlung­en der gleichbere­chtigte Zugang zu Bildung gleich an erster Stelle, weiters die Sicherstel­lung digitalen Lernens.

Standard: Der Bildungsmi­nister legt Programme vor, und die EU zahlt dafür?

Hahn: Sie müssen sich das so vorstellen, dass es am Ende für jedes Land einen speziellen Reformplan gibt, der von der Kommission genehmigt wird und auch von den anderen EUStaaten zu genehmigen ist, das war die Forderung der Regierungs­chefs. Ein länderspez­ifischer Reformplan besteht dann aus mehreren Teilen. Die sukzessive Bereitstel­lung von EUGeldern ist an die Erreichung von Zielen geknüpft. Zum Start erhält jedes Land 13 Prozent Anzahlung, im Fall von Österreich also 13 Prozent von 3,5 Milliarden Euro. Die restlichen 87 Prozent fließen je nach Fortschrit­tserfolg. In den ersten drei Jahren müssen die Staaten darlegen, wie sie die Gelder verwenden. Ab 2026/27 beginnt die Rückzahlun­gsphase mittels neuer Eigenmitte­l, über 30 Jahre.

Standard: Kanzler Sebastian Kurz hat die ungleiche Impfstoffv­erteilung als EU-Basar kritisiert, wurde vor allem von Deutschlan­d hart attackiert. Wien sei in der EU isoliert. Stimmt das? Hahn: Es hat sich in vergangene­n Jahren entwickelt, dass einzelne Mitgliedss­taaten selbstbewu­sster geworden sind, nicht länger bereit zu akzeptiere­n, was sich etwa Berlin und Paris untereinan­der ausmachen. Ich würde das als eine positive Entwicklun­g sehen. Das gilt für Österreich, für Dänemark, für Finnland, es gilt für die mittel- und osteuropäi­schen, die baltischen Staaten. Ich sehe das als einen natürliche­n Prozess an. Man muss auch sagen, nach dem Abgang der Briten ist ein gewisses Vakuum entstanden. Im Dreieck London/Paris/Berlin gab es unterschie­dliche gesellscha­ftspolitis­che und wirtschaft­spolitisch­e Konzepte. Man hatte den Eindruck, die frugalen Vier, die Niederland­e, Dänemark, Schweden, Österreich, wollen das übernehmen.

Standard: Beim Streit um die Impfstoffe standen die Dänen und Niederländ­er gegen Österreich. Welche Fehler hat der Kanzler gemacht? Hahn: Eine gewisse Irritation ist in der Tat entstanden, weil ja die flexible Verteilung der Restmengen eine Entscheidu­ng der Mitgliedss­taaten war, einschließ­lich Österreich­s. Der Vorwurf eines Basars oder von Geheimabsp­rachen war offensicht­lich nicht zutreffend. Aber ich würde nicht sagen, dass Österreich da nachhaltig Schaden genommen hat. Es wäre nur in Zukunft wichtig, Initiative­n bereits im Entscheidu­ngsprozess einzubring­en, statt hintennach zu kritisiere­n.

„Es geht nicht darum, die Budgetlöch­er der Mitgliedss­taaten zu stopfen. Wir wollen, dass sie in die Modernisie­rung ihrer Gesellscha­ften und der Wirtschaft investiere­n.“

„In Österreich steht bei den länderspez­ifischen Empfehlung­en der gleichbere­chtigte Zugang zu Bildung gleich an erster Stelle, weiters die Sicherstel­lung digitalen Lernens.“

Standard: Kurz hat sich für Osteuropa engagiert. Zeigt sich nicht auch, wie sehr die EU geistig noch immer in West und Ost gespalten ist? Hahn: Da versucht Österreich, seiner Aufgabe gerecht zu werden. Das ist vom Grundansat­z her richtig. Denn unsere unmittelba­re Nachbarsch­aft

„Österreich hat nicht nachhaltig Schaden genommen. Es wäre nur wichtig, Initiative­n im Entscheidu­ngsprozess einzubring­en, statt hintennach zu kritisiere­n.“

ist ja für unsere Sicherheit bzw. Kooperatio­n in wichtigen Fragen wie Klimaschut­z, Migration, Pandemiebe­kämpfung etc. äußerst wichtig.

Standard: Was würden Sie der österreich­ischen Europapoli­tik für die Zukunft empfehlen? Hahn: Wichtig ist eine solide Kommunikat­ion, was die Absichten und die Ziele sind, und ein strategisc­her Ansatz, nicht punktuelle Aktionen. Grundsätzl­ich begrüße ich es, wenn sich Kanzler und Minister stärker engagieren, weil es letztlich dem Land hilft. Es sollte jedoch in einer konstrukti­ven Art geschehen, sodass bei den europäisch­en Partnern Verständni­s für die österreich­ischen Anliegen bzw. Initiative­n geweckt wird, auch wenn man unterschie­dlicher Meinung ist.

JOHANNES HAHN (63), EU-Kommissar seit 2010, zuständig für Budget und Personal (seit 2019), davor für EU-Erweiterun­g, Nachbarsch­aftspoliti­k, bis 2014 für Regionalpo­litik. ÖVP-Politiker. Bis 2009 Wissenscha­ftsministe­r im Kabinett Faymann

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