Geld und Reformwille
Der EU-Wiederaufbauplan braucht nicht nur Geld für Klimaschutz und Digitalisierung, sondern vor allem den Reformwillen der Staaten, sagt Budgetkommissar Johannes Hahn im STANDARD-Interview.
Beim EU-Wiederaufbau wird es nicht an Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung fehlen. Entscheidend sei die Reformbereitschaft der Staaten, die sich zieren, sagt Budgetkommissar Johannes Hahn. Kanzler Kurz empfiehlt er „solide Kommunikation statt punktueller Aktionen“.
Standard: Der EU-Wiederaufbauplan wurde vor einem Jahr konzipiert, das Budget im vergangenen Sommer fixiert. Wieso dauert das so lange? Hahn: Die Staats- und Regierungschefs haben in der Tat im Juli 2020 eine Einigung erzielt, aber die endgültigen Beschlüsse dazu sind erst Ende des Jahres gefasst worden. Es gab dazu Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament, die Diskussion mit Polen und Ungarn über Rechtsstaatlichkeit.
Standard: Ist Europa wieder einmal zu langsam und macht mit 800 Milliarden Euro für den Wiederaufbau auch zu wenig?
Hahn: Wenn man die Wirtschaftshilfen der 27 Mitgliedsstaaten und die EU-Hilfen zusammenzählt, brauchen wir den Vergleich mit den USA nicht zu scheuen. Ich glaube auch, dass wir mit unserem Aufbau- und Nachhaltigkeitsprogramm etwas auf den Weg gebracht haben, das für die Zukunft Europas entscheidend sein wird, mit den Schwerpunkten Klimawandel und Digitalisierung.
Standard: Europa scheint aber ganz auf die Pandemie fixiert zu sein statt auf Impfwende und Konjunkturprogramme. Kein Zeitdruck? Hahn: Wir sind schneller geworden. Um den Wiederaufbau auf den Kapitalmärkten zu finanzieren, wie das vorgesehen ist, brauchen wir einen Eigenmittelbeschluss aller 27 Mitgliedsstaaten. Ich gehe davon aus, dass wir planmäßig im Juni fertig sein werden. Beim letzten Mal, als wir so etwas gemacht haben, hat das zwei Jahre gedauert. Vergessen wir nicht, wir haben auch das reguläre EU-Budget, das seit Jänner in Kraft ist, und dazu Strukturfondsmittel aus der vorherigen Periode, die abgearbeitet werden müssen. Im Spätsommer/Herbst können wir an die Umsetzung des Wiederaufbaufonds gehen.
Standard: Worum geht es dabei genau? Hahn: Es geht dabei jedenfalls nicht darum, irgendwelche Budgetlöcher der Mitgliedsstaaten zu stopfen. Wir wollen, dass die Mitgliedsstaaten in die Modernisierung ihrer Gesellschaften und Wirtschaften investieren: durch gezielte Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung, und durch langfristige Strukturreformen,
wie sie in den länderspezifischen Empfehlungen zum Europäischen Semester zum Ausdruck kommen.
Standard: Das Reformzeugnis der Kommission. Wie beurteilen Sie Pläne der Regierungen? Hahn: Im investiven Bereich sind wir auf einem guten Weg, also bei den Schwerpunkten Green Deal und Digitalisierung. Aufholbedarf sehe ich in den Vorlagen der Mitgliedsstaaten vor allem bei der Reformbereitschaft. Ohne Reformen werden viele Investitionen nicht nachhaltig sein. Es muss deshalb zwischen Aufbauinvestitionen und den strukturellen Reformen eine gute Balance geben.
Standard: Bis Ende April müssen die Staaten ihre Projektanträge bei der Kommission eingereicht haben. Was sind die Vorgaben?
Hahn: Grundsätzlich gilt, dass zumindest 37 Prozent der Mittel für Maßnahmen zum Klimawandel aufzuwenden sind und mindestens 20 Prozent für Digitalisierungsmaßnahmen. Da sind die Länder sehr dahinter. Diskussionsund Nachbesserungsbedarf gibt es bei den begleitenden Reformmaßnahmen. Wir sehen in der Pandemie, dass wir im Bereich des Digitalen einen großen Aufholbedarf haben, ob es um die Ausstattungen im Bildungsbereich geht oder um Soft Skills, also die Ausbildung, damit die Menschen digitale Technologien auch voll nützen können.
Standard: Die nicht rückzahlbaren Zuschüsse machen 312 Milliarden Euro aus. Wenn zwei Drittel in Klimamaßnahmen und Digitales gehen, wofür wird das restliche Geld verwendet? Hahn: Es soll zum Beispiel in Forschung und Innovation gehen. Dieser Aufteilungsschlüssel gilt nicht nur bei den Zuschüssen, sondern auch bei Krediten, für die vollen 800 Milliarden Euro des Fonds.
Standard: Was sind da die zentralen Projekte, was wird die Wirtschaft ankurbeln?
Hahn: Ein Bereich ist zum Beispiel die thermische Gebäudesanierung, beginnend bei öffentlichen Gebäuden. Derzeit wird nur rund ein Prozent des Gebäudebestandes in Europa thermisch saniert. Wenn man davon ausgeht, dass 80 bis 90 Prozent der heute existierenden Gebäude auch noch im Jahr 2050 da sein werden, sehen Sie, wie groß das Potenzial ist, welche Effekte wir damit erzielen könnten.
Standard: Ein zweites Beispiel?
Hahn: Smart Cities, intelligente Städte. Das lässt sich ideal mit der Gebäudesanierung verbinden. Wenn wir digitale Technologien einsetzen, um etwa Verkehrsflüsse zu steuern, damit Energieeffizienzmaßnahmen durchführen können, lässt sich viel gewinnen, mit positivem Effekt auch für die Umwelt. Wir wollen die Wirtschaft motivieren, mehr in Zukunftstechnologien zu investieren.
Standard: Österreich hat bisher noch gar nichts vorgelegt. Wie gibt es das?
Hahn: Es ist richtig, dass die Regierung noch nichts Schriftliches vorgelegt hat, aber es laufen Gespräche auf technischer Ebene zur Vorababklärung. Bei den Investitionen haben wir wenig Sorgen. Es ist schon durch die Regierungskonstellation klar, dass in grüne Maßnahmen und Digitales ausreichend investiert werden wird. Der entscheidende Punkt ist, wie es mit der Reformbereitschaft aussieht. Es hat sich in der Krise gezeigt, dass wir die Tragfähigkeit des Gesundheits- und Pflegesystems verbessern müssen. In Österreich steht bei den Empfehlungen der gleichberechtigte Zugang zu Bildung gleich an erster Stelle, weiters die Sicherstellung digitalen Lernens.
Standard: Der Bildungsminister legt Programme vor, und die EU zahlt dafür?
Hahn: Sie müssen sich das so vorstellen, dass es am Ende für jedes Land einen speziellen Reformplan gibt, der von der Kommission genehmigt wird und auch von den anderen EUStaaten zu genehmigen ist, das war die Forderung der Regierungschefs. Ein länderspezifischer Reformplan besteht dann aus mehreren Teilen. Die sukzessive Bereitstellung von EUGeldern ist an die Erreichung von Zielen geknüpft. Zum Start erhält jedes Land 13 Prozent Anzahlung, im Fall von Österreich also 13 Prozent von 3,5 Milliarden Euro. Die restlichen 87 Prozent fließen je nach Fortschrittserfolg. In den ersten drei Jahren müssen die Staaten darlegen, wie sie die Gelder verwenden. Ab 2026/27 beginnt die Rückzahlungsphase mittels neuer Eigenmittel, über 30 Jahre.
Standard: Kanzler Sebastian Kurz hat die ungleiche Impfstoffverteilung als EU-Basar kritisiert, wurde vor allem von Deutschland hart attackiert. Wien sei in der EU isoliert. Stimmt das? Hahn: Es hat sich in vergangenen Jahren entwickelt, dass einzelne Mitgliedsstaaten selbstbewusster geworden sind, nicht länger bereit zu akzeptieren, was sich etwa Berlin und Paris untereinander ausmachen. Ich würde das als eine positive Entwicklung sehen. Das gilt für Österreich, für Dänemark, für Finnland, es gilt für die mittel- und osteuropäischen, die baltischen Staaten. Ich sehe das als einen natürlichen Prozess an. Man muss auch sagen, nach dem Abgang der Briten ist ein gewisses Vakuum entstanden. Im Dreieck London/Paris/Berlin gab es unterschiedliche gesellschaftspolitische und wirtschaftspolitische Konzepte. Man hatte den Eindruck, die frugalen Vier, die Niederlande, Dänemark, Schweden, Österreich, wollen das übernehmen.
Standard: Beim Streit um die Impfstoffe standen die Dänen und Niederländer gegen Österreich. Welche Fehler hat der Kanzler gemacht? Hahn: Eine gewisse Irritation ist in der Tat entstanden, weil ja die flexible Verteilung der Restmengen eine Entscheidung der Mitgliedsstaaten war, einschließlich Österreichs. Der Vorwurf eines Basars oder von Geheimabsprachen war offensichtlich nicht zutreffend. Aber ich würde nicht sagen, dass Österreich da nachhaltig Schaden genommen hat. Es wäre nur in Zukunft wichtig, Initiativen bereits im Entscheidungsprozess einzubringen, statt hintennach zu kritisieren.
„Es geht nicht darum, die Budgetlöcher der Mitgliedsstaaten zu stopfen. Wir wollen, dass sie in die Modernisierung ihrer Gesellschaften und der Wirtschaft investieren.“
„In Österreich steht bei den länderspezifischen Empfehlungen der gleichberechtigte Zugang zu Bildung gleich an erster Stelle, weiters die Sicherstellung digitalen Lernens.“
Standard: Kurz hat sich für Osteuropa engagiert. Zeigt sich nicht auch, wie sehr die EU geistig noch immer in West und Ost gespalten ist? Hahn: Da versucht Österreich, seiner Aufgabe gerecht zu werden. Das ist vom Grundansatz her richtig. Denn unsere unmittelbare Nachbarschaft
„Österreich hat nicht nachhaltig Schaden genommen. Es wäre nur wichtig, Initiativen im Entscheidungsprozess einzubringen, statt hintennach zu kritisieren.“
ist ja für unsere Sicherheit bzw. Kooperation in wichtigen Fragen wie Klimaschutz, Migration, Pandemiebekämpfung etc. äußerst wichtig.
Standard: Was würden Sie der österreichischen Europapolitik für die Zukunft empfehlen? Hahn: Wichtig ist eine solide Kommunikation, was die Absichten und die Ziele sind, und ein strategischer Ansatz, nicht punktuelle Aktionen. Grundsätzlich begrüße ich es, wenn sich Kanzler und Minister stärker engagieren, weil es letztlich dem Land hilft. Es sollte jedoch in einer konstruktiven Art geschehen, sodass bei den europäischen Partnern Verständnis für die österreichischen Anliegen bzw. Initiativen geweckt wird, auch wenn man unterschiedlicher Meinung ist.
JOHANNES HAHN (63), EU-Kommissar seit 2010, zuständig für Budget und Personal (seit 2019), davor für EU-Erweiterung, Nachbarschaftspolitik, bis 2014 für Regionalpolitik. ÖVP-Politiker. Bis 2009 Wissenschaftsminister im Kabinett Faymann