Pariser Feldzug gegen Schamanen und Scharlatane
In Frankreich haben Sekten, Gesundbeter und Wunderheiler starken Zulauf – Die Regierung will sie besser kontrollieren
Ulysse Ha Duong wollte eigentlich lernen, wie man überlebt. Doch dann verwechselte jemand im Survival Camp zwei Pflanzen, und der 25-Jährige starb an einer Vergiftung. Acht weitere Teilnehmer wurden im Krankenhaus gerettet.
Der Todesfall im vergangenen Sommer in der Bretagne wirft ein Schlaglicht auf den gefährlichen Boom einer ganzen Branche. Wie die französische Ministerin für Bürgerfragen, Marlène Schiappa, diese Woche erklärte, sind in Frankreich im Verlauf der Covid-Krise rund 500 Sekten und ähnliche Gruppen aus dem Boden geschossen. „Darunter sind neue Gurus, die sich der Pandemie bedienen, um angebliche
Heilmethoden anzubieten, die in Wahrheit in psychologischer Unterwerfung oder Abzocke bestehen“, so Schiappa. Als Folge kündigte sie eine „Verstärkung“der nationalen Anti-Sekten-Mission (Miviludes) an. Konkreter dürfte sie in den nächsten Tagen werden.
Der Trend zu neuen Sekten kann an sich nicht überraschen. Die Pandemie steigert die allgemeine Verunsicherung und schürt Ängste. „Wenn die Leute in Situationen geraten, die sie nicht mehr meistern, verfallen sie in extreme oder gar wahnwitzige Glaubenshaltungen“, erklärt Didier Pachoud vom Schutzverein Gemppi. Er hält die Zahl von 500 neuen Sekten noch für untertrieben, da es eine starke Dunkelziffer gebe. Einigkeit herrscht, dass die Sektenopfer zahlreich sind. Schiappa
schätzt sie in Frankreich auf 140.000. Darunter sind besonders viele Frauen und junge Menschen.
Die Krise verändert die Nachfrage und damit auch die Sekten. Laut Schiappa sind religiöse Gruppen wie die Sonnentempler oder die Scientologen heute in der Minderzahl. In der Mehrheit locken heute kleine Gruppen oder Einzelpersonen mit einem mehr oder weniger esoterischen Gesundheitsversprechen.
Kaum Handhabe
Fachmann Pachoud zählt meditative Erfahrungen wie Vipassana (buddhistisch: „Einsicht“) oder Reiki auf. Auch wenn sie bisweilen nicht ins Nirwana münden, sondern in die Psychiatrie, wie zuletzt bekannt gewordene Fälle belegen, haben sie in der Covidzeit regen Zulauf. Ähnlich verhält es sich mit sogenannten „Gesundheitskuren“wie dem Extremfasten oder Rohkosttherapien. Gegen – wie bei solchen Gruppen praktiziert – bloßes Safttrinken hat die Kontrollstelle aber kaum eine Handhabe.
Betrügerische Covid-Heilmittel hat Miviludes in Frankreich bisher nicht festgestellt. Evangelikale Gruppe predigen lediglich, Covid treffe nur die, „die nicht an Gott glauben“. Verschwörungstheoretiker wie Jean-Jacques Crèvecoeur machen die Wellen der neuen Handygeneration 5G für das Aufkommen des Virus verantwortlich.
Auch dass altbekannte Sekten wie die Zeugen Jehovas heute verstärkt über die sozialen Medien Kontakt zu einem Covid-Publikum suchten, hat Miviludes beobachtet.
Seit Beginn der Pandemie laufen auf Betreiben der Mission zwei Dutzend Justizverfahren gegen andere Personen und Gruppen, die aus der CovidKrise Kapital zu schlagen versuchen. Und zwar sehr konkret: Coaching durch Wunderheiler, Magnetiseure und Schamanen kostet laut Miviludes „bis zu 100.000 Euro“.
Zielgruppe labile Menschen
Pascale Duval von der Union der Sektenopfer sorgt sich auch über den Umstand, dass die Grenzen zwischen Sektentum, Heilbusiness und Verschwörungstheorien in der Krise zunehmend zerfließen. Das sei beunruhigend, weil Anfällige heute ein umfassendes Gegenmodell zur heutigen Gesellschaft von der physischen bis zur spirituellen Pseudobetreuung angeboten erhielten.