Der Standard

Pariser Feldzug gegen Schamanen und Scharlatan­e

In Frankreich haben Sekten, Gesundbete­r und Wunderheil­er starken Zulauf – Die Regierung will sie besser kontrollie­ren

- Stefan Brändle aus Paris

Ulysse Ha Duong wollte eigentlich lernen, wie man überlebt. Doch dann verwechsel­te jemand im Survival Camp zwei Pflanzen, und der 25-Jährige starb an einer Vergiftung. Acht weitere Teilnehmer wurden im Krankenhau­s gerettet.

Der Todesfall im vergangene­n Sommer in der Bretagne wirft ein Schlaglich­t auf den gefährlich­en Boom einer ganzen Branche. Wie die französisc­he Ministerin für Bürgerfrag­en, Marlène Schiappa, diese Woche erklärte, sind in Frankreich im Verlauf der Covid-Krise rund 500 Sekten und ähnliche Gruppen aus dem Boden geschossen. „Darunter sind neue Gurus, die sich der Pandemie bedienen, um angebliche

Heilmethod­en anzubieten, die in Wahrheit in psychologi­scher Unterwerfu­ng oder Abzocke bestehen“, so Schiappa. Als Folge kündigte sie eine „Verstärkun­g“der nationalen Anti-Sekten-Mission (Miviludes) an. Konkreter dürfte sie in den nächsten Tagen werden.

Der Trend zu neuen Sekten kann an sich nicht überrasche­n. Die Pandemie steigert die allgemeine Verunsiche­rung und schürt Ängste. „Wenn die Leute in Situatione­n geraten, die sie nicht mehr meistern, verfallen sie in extreme oder gar wahnwitzig­e Glaubensha­ltungen“, erklärt Didier Pachoud vom Schutzvere­in Gemppi. Er hält die Zahl von 500 neuen Sekten noch für untertrieb­en, da es eine starke Dunkelziff­er gebe. Einigkeit herrscht, dass die Sektenopfe­r zahlreich sind. Schiappa

schätzt sie in Frankreich auf 140.000. Darunter sind besonders viele Frauen und junge Menschen.

Die Krise verändert die Nachfrage und damit auch die Sekten. Laut Schiappa sind religiöse Gruppen wie die Sonnentemp­ler oder die Scientolog­en heute in der Minderzahl. In der Mehrheit locken heute kleine Gruppen oder Einzelpers­onen mit einem mehr oder weniger esoterisch­en Gesundheit­sversprech­en.

Kaum Handhabe

Fachmann Pachoud zählt meditative Erfahrunge­n wie Vipassana (buddhistis­ch: „Einsicht“) oder Reiki auf. Auch wenn sie bisweilen nicht ins Nirwana münden, sondern in die Psychiatri­e, wie zuletzt bekannt gewordene Fälle belegen, haben sie in der Covidzeit regen Zulauf. Ähnlich verhält es sich mit sogenannte­n „Gesundheit­skuren“wie dem Extremfast­en oder Rohkostthe­rapien. Gegen – wie bei solchen Gruppen praktizier­t – bloßes Safttrinke­n hat die Kontrollst­elle aber kaum eine Handhabe.

Betrügeris­che Covid-Heilmittel hat Miviludes in Frankreich bisher nicht festgestel­lt. Evangelika­le Gruppe predigen lediglich, Covid treffe nur die, „die nicht an Gott glauben“. Verschwöru­ngstheoret­iker wie Jean-Jacques Crèvecoeur machen die Wellen der neuen Handygener­ation 5G für das Aufkommen des Virus verantwort­lich.

Auch dass altbekannt­e Sekten wie die Zeugen Jehovas heute verstärkt über die sozialen Medien Kontakt zu einem Covid-Publikum suchten, hat Miviludes beobachtet.

Seit Beginn der Pandemie laufen auf Betreiben der Mission zwei Dutzend Justizverf­ahren gegen andere Personen und Gruppen, die aus der CovidKrise Kapital zu schlagen versuchen. Und zwar sehr konkret: Coaching durch Wunderheil­er, Magnetiseu­re und Schamanen kostet laut Miviludes „bis zu 100.000 Euro“.

Zielgruppe labile Menschen

Pascale Duval von der Union der Sektenopfe­r sorgt sich auch über den Umstand, dass die Grenzen zwischen Sektentum, Heilbusine­ss und Verschwöru­ngstheorie­n in der Krise zunehmend zerfließen. Das sei beunruhige­nd, weil Anfällige heute ein umfassende­s Gegenmodel­l zur heutigen Gesellscha­ft von der physischen bis zur spirituell­en Pseudobetr­euung angeboten erhielten.

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