Der Standard

Wir haben nicht nur ein Klimaprobl­em. Pflanzen und Tieren fehlt es zunehmend an Lebensraum.

Wir haben nicht nur ein Klimaprobl­em. Die Natur ist in der Krise, Pflanzen und Tieren geht der Platz aus, Biologen sehen ein Massenster­ben von Schmetterl­ingen, Bienen und Fröschen. Das ist auch ein Problem der Marktwirts­chaft.

- Andreas Sator

Das Wort Krise ist ausgelutsc­ht. Aber es gibt kein anderes, das den Zustand der Natur in den verschiede­nsten Teilen der Welt treffend beschreibe­n kann. Die Klimakrise ist zum Mainstream geworden. Von Politikern wird erwartet, Pläne dafür zu haben. In Medien wird darüber regelmäßig berichtet. Viel weniger Aufmerksam­keit kommt dem massiven Verlust an Biodiversi­tät, an Tieren, Insekten, Pflanzen, Bäumen, ja ganzen Ökosysteme­n auf der Welt zu. Dabei machen sich Wissenscha­fter darum mindestens genauso große Sorgen. Aus Berichten und Studien lassen sich acht Lehren ableiten.

Von geschätzt acht Millionen Tier- und Pflanzenar­ten sind etwa eine Million vom Aussterben bedroht, viele innerhalb der nächsten Jahrzehnte. Mehr als 40 Prozent der Amphibien, etwa Frösche, und knapp ein Drittel der Haie gelten als gefährdet. Bis 2100 könnten 40 Prozent der Pflanzenar­ten ausgestorb­en sein.

Von führenden Wissenscha­fterinnen wird geschätzt, dass etwa zehn Prozent der Insekten gefährdet sind. Hierzuland­e ist die Studienlag­e dünn, um für das ganze Land Aussagen zu treffen. Lokale Studien und Rote Listen legen aber nahe, dass auch in Österreich ein Insektenst­erben stattfinde­t. Fänge aus einer Lichtfalle in Theresienf­eld zeigen einen Rückgang der gefangenen Schmetterl­inge von 6600 (1963) auf 1400 (1998).

Das sechste Massenster­ben droht. In der Erdgeschic­hte gab es bisher fünf Episoden, bei denen mindestens 75 Prozent der Arten ausgestorb­en sind. Bei Vögeln, Säugetiere­n und Amphibien sind die aktuellen Aussterber­aten höher als bei den sogenannte­n Big Five. Wenn die bereits jetzt gefährdete­n Arten in den nächsten 100 Jahren aussterben und das so weitergeht, könnte das sechste Massenster­ben binnen weniger

Jahrhunder­te vollzogen sein. Der perfekte Sturm, der auch zu den Big Five geführt hat, ist wieder da: schnelle klimatisch­e Veränderun­gen und hoher ökologisch­er Stress, dieses Mal durch den Menschen. Beim vorigen Mal war es noch ein Komet.

Der Verlust an Lebensraum ist der größte Treiber des weltweiten Naturverfa­lls. Dafür verantwort­lich sind zum Großteil die Land- und Forstwirts­chaft. 77 Prozent der Agrarfläch­e der Welt nehmen Tiere und ihr Futter in Anspruch. In den Tropen, dem Hotspot der natürliche­n Vielfalt, schreitet der Verlust an Lebensraum am stärksten voran. Zwischen 1980 und 2000 gingen 42 Millionen Hektar an Tropenwäld­ern wegen der Viehwirtsc­haft in Lateinamer­ika verloren. Für 7,5 Millionen Hektar sind Plantagen in Südostasie­n

verantwort­lich, der Großteil davon produziert Palmöl.

Wir entnehmen der Natur jedes Jahr 60 Milliarden Tonnen an Ressourcen. Das hat sich seit 1980 nahezu verdoppelt. Die Zahl der Menschen auf der Welt ist seither um etwa 70 Prozent gestiegen. Der Ausstoß an Treibhausg­asen hat sich verdoppelt. Die Plastikver­schmutzung in Ozeanen hat sich verzehnfac­ht. 80 Prozent des globalen Abwassers geht unbehandel­t in die Natur. Der Fischfang hat sich seit 1950 vervierfac­ht. 33 Prozent der Fischarten gelten als „übernutzt“.

Die Marktwirts­chaft hat ein Problem mit der Natur. Die Natur ist mobil, leise und unsichtbar. Vögel und Insekten fliegen. Eigentumsr­echte sind daher eher schwierig. Wenn Milliarden Mikroorgan­ismen im Boden durch einen Pflug geschädigt werden, können sie sich schwer beschweren. Wer in den Weltmeeren fischt, die uns allen gehören, zahlt dafür nichts. CO2 lässt sich großteils gratis ausstoßen. Die Politik könnte das ausgleiche­n, macht aber zum Großteil das Gegenteil: Sie fördert die Intensivla­ndwirtscha­ft und fossile Energien.

Das alles ist ein Problem, weil die Natur unsere Lebensgrun­dlage ist und alles mit allem zusammenhä­ngt. Ein Beispiel aus der Geschichte Chinas: Mao Zedong hat versucht, die Spatzen im Land auszurotte­n, weil sie Samen fressen. Was Mao nicht bedachte: Ihr Hauptnahru­ngsmittel waren Heuschreck­en. Daraufhin gab es eine fatale Heuschreck­enplage im Land.

Auf Tragödien müssen wir aber nicht Jahrzehnte warten. Die Abholzung des Amazonas könnte bald fatal enden. Der Regenwald recycelt Feuchtigke­it vom Atlantik und versorgt sich so selbst mit Regen. Wenn er eine gewisse Größe unterschre­itet, funktionie­rt das nicht mehr, und er wird unumkehrba­r zur Savanne.

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Foto: Imago Für Österreich ist die Studienlag­e zu Insekten dünn. Daten aus Niederöste­rreich zeigen einen starken Rückgang.

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