Wir haben nicht nur ein Klimaproblem. Pflanzen und Tieren fehlt es zunehmend an Lebensraum.
Wir haben nicht nur ein Klimaproblem. Die Natur ist in der Krise, Pflanzen und Tieren geht der Platz aus, Biologen sehen ein Massensterben von Schmetterlingen, Bienen und Fröschen. Das ist auch ein Problem der Marktwirtschaft.
Das Wort Krise ist ausgelutscht. Aber es gibt kein anderes, das den Zustand der Natur in den verschiedensten Teilen der Welt treffend beschreiben kann. Die Klimakrise ist zum Mainstream geworden. Von Politikern wird erwartet, Pläne dafür zu haben. In Medien wird darüber regelmäßig berichtet. Viel weniger Aufmerksamkeit kommt dem massiven Verlust an Biodiversität, an Tieren, Insekten, Pflanzen, Bäumen, ja ganzen Ökosystemen auf der Welt zu. Dabei machen sich Wissenschafter darum mindestens genauso große Sorgen. Aus Berichten und Studien lassen sich acht Lehren ableiten.
Von geschätzt acht Millionen Tier- und Pflanzenarten sind etwa eine Million vom Aussterben bedroht, viele innerhalb der nächsten Jahrzehnte. Mehr als 40 Prozent der Amphibien, etwa Frösche, und knapp ein Drittel der Haie gelten als gefährdet. Bis 2100 könnten 40 Prozent der Pflanzenarten ausgestorben sein.
Von führenden Wissenschafterinnen wird geschätzt, dass etwa zehn Prozent der Insekten gefährdet sind. Hierzulande ist die Studienlage dünn, um für das ganze Land Aussagen zu treffen. Lokale Studien und Rote Listen legen aber nahe, dass auch in Österreich ein Insektensterben stattfindet. Fänge aus einer Lichtfalle in Theresienfeld zeigen einen Rückgang der gefangenen Schmetterlinge von 6600 (1963) auf 1400 (1998).
Das sechste Massensterben droht. In der Erdgeschichte gab es bisher fünf Episoden, bei denen mindestens 75 Prozent der Arten ausgestorben sind. Bei Vögeln, Säugetieren und Amphibien sind die aktuellen Aussterberaten höher als bei den sogenannten Big Five. Wenn die bereits jetzt gefährdeten Arten in den nächsten 100 Jahren aussterben und das so weitergeht, könnte das sechste Massensterben binnen weniger
Jahrhunderte vollzogen sein. Der perfekte Sturm, der auch zu den Big Five geführt hat, ist wieder da: schnelle klimatische Veränderungen und hoher ökologischer Stress, dieses Mal durch den Menschen. Beim vorigen Mal war es noch ein Komet.
Der Verlust an Lebensraum ist der größte Treiber des weltweiten Naturverfalls. Dafür verantwortlich sind zum Großteil die Land- und Forstwirtschaft. 77 Prozent der Agrarfläche der Welt nehmen Tiere und ihr Futter in Anspruch. In den Tropen, dem Hotspot der natürlichen Vielfalt, schreitet der Verlust an Lebensraum am stärksten voran. Zwischen 1980 und 2000 gingen 42 Millionen Hektar an Tropenwäldern wegen der Viehwirtschaft in Lateinamerika verloren. Für 7,5 Millionen Hektar sind Plantagen in Südostasien
verantwortlich, der Großteil davon produziert Palmöl.
Wir entnehmen der Natur jedes Jahr 60 Milliarden Tonnen an Ressourcen. Das hat sich seit 1980 nahezu verdoppelt. Die Zahl der Menschen auf der Welt ist seither um etwa 70 Prozent gestiegen. Der Ausstoß an Treibhausgasen hat sich verdoppelt. Die Plastikverschmutzung in Ozeanen hat sich verzehnfacht. 80 Prozent des globalen Abwassers geht unbehandelt in die Natur. Der Fischfang hat sich seit 1950 vervierfacht. 33 Prozent der Fischarten gelten als „übernutzt“.
Die Marktwirtschaft hat ein Problem mit der Natur. Die Natur ist mobil, leise und unsichtbar. Vögel und Insekten fliegen. Eigentumsrechte sind daher eher schwierig. Wenn Milliarden Mikroorganismen im Boden durch einen Pflug geschädigt werden, können sie sich schwer beschweren. Wer in den Weltmeeren fischt, die uns allen gehören, zahlt dafür nichts. CO2 lässt sich großteils gratis ausstoßen. Die Politik könnte das ausgleichen, macht aber zum Großteil das Gegenteil: Sie fördert die Intensivlandwirtschaft und fossile Energien.
Das alles ist ein Problem, weil die Natur unsere Lebensgrundlage ist und alles mit allem zusammenhängt. Ein Beispiel aus der Geschichte Chinas: Mao Zedong hat versucht, die Spatzen im Land auszurotten, weil sie Samen fressen. Was Mao nicht bedachte: Ihr Hauptnahrungsmittel waren Heuschrecken. Daraufhin gab es eine fatale Heuschreckenplage im Land.
Auf Tragödien müssen wir aber nicht Jahrzehnte warten. Die Abholzung des Amazonas könnte bald fatal enden. Der Regenwald recycelt Feuchtigkeit vom Atlantik und versorgt sich so selbst mit Regen. Wenn er eine gewisse Größe unterschreitet, funktioniert das nicht mehr, und er wird unumkehrbar zur Savanne.