Der Standard

Höhere Mindestlöh­ne als Mittel gegen Produktion­sverlageru­ngen?

Löhne in Osteuropa liegen bei einem Drittel jener in Westeuropa – Bei Facharbeit­ern würden Untergrenz­en wenig bringen

- Andreas Schnauder Diskurs

MAN Steyr hat ein Problem, das für Werke in hochindust­rialisiert­en Ländern typisch ist. Saftige Lohnkosten sind nur zu rechtferti­gen, wenn höhere Qualität und Produktivi­tät gewährleis­tet sind. Diese Kriterien sieht MAN offenbar als nicht erfüllt an und plant eine Verlagerun­g der LkwHerstel­lung nach Polen, sollte der Kauf durch Siegfried Wolf scheitern.

Wie VW haben in den letzten Jahrzehnte­n namhafte Konzerne Fabriken in Westeuropa geschlosse­n, weil es sich im Osten günstiger produziere­n lässt. Ob Auto-, Maschinenb­auoder Elektrokon­zerne: Sie alle setzen vor allem seit der Ostöffnung auf niedrigen Lohnkosten in Ungarn, Tschechien oder Polen. Die große EU-Erweiterun­g 2004 sorgte für einen zusätzlich­en Schub bei der Verlagerun­g, nach der Finanzkris­e ebbte der Trend aber deutlich ab.

Studien kommen zu dem Schluss, dass die Standortve­rschiebung­en innerhalb Europas mit Abstand die größte Bedeutung haben. Michael Landesmann vom Wiener Institut für Internatio­nale Wirtschaft­svergleich­e (WIIW) bestätigt das: Investitio­nen nach Asien – insbesonde­re nach China – dienten eher der Marktersch­ließung, weniger Kostensenk­ung.

Des einen Leid des anderen Freud: In Osteuropa sorgten neue Produktion­sstätten westlicher Unternehme­n für eine „dramatisch­e Reindustri­alisierung nach dem Kollaps“, wie Landesmann sich ausdrückt. Der Wohlstand stieg, allerdings zogen die Löhne nicht voll mit, weshalb die Wettbewerb­svorteile blieben. So liegen die Lohnkosten in Polen bei gut einem Drittel jener in Österreich, vor dem EU-Beitritt war es ein Fünftel. Dazu kommt, dass die Qualifikat­ion der Mitarbeite­r meist gut und der gewerkscha­ftliche Organisati­onsgrad gering ist.

Milder Vorschlag

Sollten Verlagerun­gen mit einem höheren Mindestloh­n in Osteuropa, wie er auch von der EU-Kommission geplant ist, gebremst werden? Den Brüsseler Vorschlag sieht Landesmann mehr als Mittel, um gegen Armut und Working Poor anzukämpfe­n. Das liegt daran, dass als Untergrenz­e der Bezahlung ein Wert von 50 Prozent des Durchschni­ttseinkomm­ens

gewählt wurde. Facharbeit­er – wie bei MAN – werden deutlich besser bezahlt, sagt der Experte zum STANDARD. Der EU-Vorschlag sei auch deshalb „milde“, weil sich die Mitgliedss­taaten bei der Lohnfindun­g nicht gerne dreinreden lassen wollen und um Standortvo­rteile bangen.

Aus Sicht des deutschen Ökonomen und Soziologen Thorsten Schulten sind geringe gesetzlich­e

Mindestlöh­ne und eine schwache Abdeckung mit Kollektivv­erträgen verantwort­lich dafür, dass die Löhne in Osteuropa nicht stärker anziehen, wie er in der Publikatio­n

meint. Da würde die diskutiert­e Richtlinie der EU helfen. Unverständ­lich ist es in den Augen Schultens, dass Österreich auf der Bremse stehe, obwohl der Standort von höheren Löhnen im Osten profitiere­n würde.

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