Der Standard

Musikraum gegen den Hass

Lukas Ligeti über seine kunstvolle Erforschun­g jüdischen Lebens

- Ljubiša Tošić

Wer bei der Performanc­e dabei war, wurde zum „mitsummend­en“Teil einer komponiert­en Sozialskul­ptur: Lukas Ligeti, 2015 Artist in Residence im Polin, dem Museum der Geschichte polnischer Juden, hatte ja in Warschau seine Wort-KlangIdeen als Mix aus Konzertstü­ck und begehbarer Klanginsta­llation angelegt. That Which Has

Remained ... That Which Will Emerge ... war aber nicht nur eine auf Teilhabe abzielende Kompositio­n, bei der die Musiker per Kopfhörer von Ligeti mit Material und Anweisunge­n versorgt wurden. Es war auch eine Begegnung zwischen Historie und Gegenwart. Für Ligeti befasste sich das Stück, das nun auf CD erschien (Col Legno), auch mit der Frage, wie „sich die Kultur der Unterdruc̈ kung und dem Genozid widersetze­n und apokalypti­sche Zustan̈ de ub̈ erdauern kann“.

Als unsichtbar­e „Mitmusiker“waren für das spielende Ensemble – per Kopfhörer vernehmbar – von Ligeti befragte Menschen mit Sätzen und Erinnerung­smelodien dabei. Der Sohn des Jahrhunder­tkomponist­en György Ligeti hatte im Vorfeld Gespräche mit 20- bis 98-Jährigen geführt. Sie sollten sich an das jüdische Leben in Warschau erinnern – und dies auch singend. „Ich denke, für sie war es eine Gelegenhei­t, sich direkter in Erinnerung­en einzuleben. Besser als bei einem üblichen Gespräch.“Es wäre aber, so der in den USA lebende Wiener, „zu beachten, dass die meisten meiner Interviewp­artner den Holocaust nicht erlebt hatten.“Nur Henryk Prajs und Krystyna Rosikoń-Kochanowsk­a, „die inzwischen gestorben sind“, hatten diese Phase erlitten. „Natürlich gab es aber auch in der kommunisti­schen Zeit und danach Probleme mit Antisemiti­smus!“

Anderersei­ts sei „das jüdische Leben nicht ausschließ­lich eine Beschäftig­ung mit dem Antisemiti­smus“, so Ligeti, der verdeutlic­ht, dass sein Werk Erfahrunge­n einbeziehe­n will, die über den einen historisch­en Erfahrungs­punkt hinausreic­hen. Wer sich auf Ligetis Kosmos aus Sprache, Melodik, Improvisat­ion und Klangverfr­emdung einlässt, vernimmt zudem, dass die Kompositio­n auch abseits politisch-historisch­er Thematik funktionie­rt. Ligetis Konzeption erschuf eine traumhafte Assoziatio­nslandscha­ft. Sprachpart­ikel, Klezmersou­nds, rhythmisch­e Patterns und Überlageru­ngen von Strukturen bewirken durch spontane Verschmelz­ung ein atmosphäri­sch dichtes Gesamtkuns­twerk.

Da fließt einiges an Erfahrung mit ein: Der Kosmopolit Ligeti, der eine Professur an der University of California (Irvine) innehat, war in der New Yorker Downtown-Szene aktiv, spielte u. a. mit John Zorn. Seine Stücke sind vom Kronos Quartet ebenso interpreti­ert worden wie vom Ensemble Modern. Essenziell war für Ligeti auch die Erforschun­g der afrikanisc­hen Musik, die er als Schlagzeug­er mit Formatione­n wie Beta Foly und Burkina Electric umgesetzt hat.

Ligeti glaubt jedoch nicht, „Polystilis­t“zu sein. „Ich ziehe meinen Ideen nur gerne verschiede­ne Gewänder an. Ich denke zwar sehr konzeptuel­l, gleichzeit­ig ist mir aber das Musikalisc­he, sogar Musikantis­che wichtig“, sagt Ligeti, der aus seinem Projekt That Which Has

Remained ... doch auch außermusik­alische Erkenntnis­se mitnahm. „Interessan­t war, Jüngere kennenzule­rnen, die keine Angst hatten, sich in die Sache emotional zu involviere­n.“Auch habe sich gezeigt, dass es möglich ist, „dokumentar­isch-historiogr­afische und künstleris­chkreative Arbeit zu vereinen, ohne dass Ersteres einfach zum Zweiteren erklärt wird. Forschung an sich ist keine Kunst.“Sicher sei aber auch: „Kunst kann Räume schaffen, die Menschen zusammenbr­ingen, was gefährlich­en gesellscha­ftlichen Tendenzen entgegenwi­rkt, in dem etwas Neueres, Besseres aufgezeigt wird. Eine Alternativ­e zu Hass und Verwüstung“, die auch Ligetis Familie erlitten hatte.

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Foto: Markus Sepperer Komponist Lukas Ligeti (Jahrgang 1965).

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