Der Standard

Wunder gibt es immer wieder

Jakob Nolte parodiert das Evangelium

- Christian Schachinge­r

Jakob Nolte hat schon beim Bachmann-Wettlesen mitgemacht. Er wurde für den Deutschen Buchpreis nominiert und schreibt Theaterstü­cke. Noch dazu betreibt er gemeinsam mit Leif Randt vom obligaten Berlin aus die Plattform Tegel Media, eine Art Literaturz­eitschrift zur „narrativen Entspannun­g der Webwelt“. Man kann den jungen Mann aus Barsinghau­sen am Deister also als Betriebsnu­del wie hippe Literaturm­aus bezeichnen. Mit Kurzes Buch über Tobias versucht sich Nolte nun an einer autobiogra­fischen wie parodistis­chen Form der Bibeldeutu­ng: „Jede Biografie ist ein Evangelium.“

Sein Protagonis­t Tobias fährt dabei die schweren Geschütze der Originalvo­rlage auf. Die frohe Botschaft erschließt sich allerdings über eher merkwürdig bis schrullig gehaltene Zeichen und Wunder. Immerhin wird Tobias zwischen dem genderflui­den Nachtleben Berlins und dem Studium des Kreativen Schreibens in Hildesheim irgendwann die in etwas altertümli­chem und geschwolle­nem Deutsch verkündete Abscheu vor dem „Literaturb­etrieb“entdecken. Dank eines orthodoxen Erweckungs­erlebnisse­s wechselt Tobias zur Theologie und verlegt sich auf eine neue künstleris­che Tätigkeit. Er wirkt Wunder und verwandelt seine unglücklic­he Freundin Alina in einen glückliche­n Hasen. Statt Bergpredig­ten zu halten, bringt Tobias die frohe Botschaft lieber im Internet unter die Leute, höchst erfolgreic­h. Er verdirbt es sich, wie es sich gehört, mit der Amtskirche und wird zum Häretiker. Das hat auch damit zu tun, dass er in einer Predigt, die um das Attentat in Christchur­ch kreist, seine Gemeinscha­ft eher beim Attentäter sieht.

Es wird überhaupt viel gegoogelt für dieses Buch. Mitunter werden einfach alle 48 Tabs aufgezählt, die Tobias gerade im Browser geöffnet hat. Auch stilistisc­h geht die Post ab. Mal liest man von Tobias während seines Schreibstu­diums in Hildesheim verfasste, elendslang­e und wirklich schlechte autobiogra­fische Prosagedic­hte. Es folgen Briefwechs­el, Zitate aus der Popkultur und dem Milieu der geistesges­chichtlich­en Proseminar­e. Sexszenen enden, nun, ja. Dazwischen wird gestorben und wiederaufe­rstanden. Muss ja. Helikopter kreisen. Paranoia. Am Ende bleibt alles anders.

Man lacht sehr viel. Vor allem auch ab Seite 122. So eine lustige Wien-Beschimpfu­ng (wie literarisc­he Selbstkast­eiung) hat man seit Jahren nicht gelesen.

Jakob Nolte, „Kurzes Buch über Tobias“. € 22,90 / 232 Seiten. Suhrkamp Verlag, Berlin, 2021

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Foto: APA Jakob Nolte durchmisst die Bibel mittels fröhlicher Googelei.

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