Der Standard

Der Lack ist ab – und jetzt?

- Katharina Mittelstae­dt

Seine Maske ist gefallen – und das mit einem einzigen kräftigen Ruck. Vielen galt Sebastian Kurz als politische­r Heilsbring­er; jung, ambitionie­rt, aufstreben­d, anders, angetreten mit dem Verspreche­n einer sauberen Politik und der salonfähig­en Härte gegen Migranten. „Neuer Stil“war das Mantra seiner Kanzlerwer­dung – heute wird es nur noch schmähend von seinen Kritikern wiederholt. Die große Frage ist, was das nun eigentlich heißt.

Kurz ist in Beliebthei­tsrankings abgestürzt, selbst internatio­nale Medien berichten vom Fall des österreich­ischen PolitWunde­rkinds. Gegen Freunde und Parteifreu­nde des Kanzlers wird ermittelt. Von der Justiz sichergest­ellte Chatprotok­olle bringen zutage, wie Kurz und seine Leute gemunkelt und gemauschel­t haben. Gleichzeit­ig erreicht die Pandemie ihren neuen Höhepunkt. Auch in Europa hat Kurz einen nachhaltig­en Imageschad­en erlitten. Das ist Fakt.

Aber kann der Kanzler die Affären rund um ihn aussitzen? Oder ist – wie manche sagen – das Ende der Ära Kurz in Sicht? Man muss jenen, die jubeln, wohl die Stimmung vermiesen: Kurz wird Österreich trotz allem noch länger erhalten bleiben.

Der Aufschrei über das unsaubere, vielleicht korrupte Verhalten der türkisen Truppe ist zwar nicht nur in Qualitätsm­edien laut. Viele halten Kurz dennoch die Stange. Die Causen sind komplex, Ermittlung­en oft langwierig. Nur weil sich viele über die Chats mit peinlichen Emojis amüsieren, heißt das nicht, dass sie die ÖVP nicht mehr wählen.

Kurz hat einen Aufstieg hingelegt, der seinesglei­chen sucht. Der Status des politische­n Messias ist endgültig Geschichte – aber deshalb nicht er selbst. Der rote Kanzler Werner Faymann konnte zeigen, wie man sich längst angezählt an der Macht hält. Der Lack von Kurz ist ab, darunter kommt der ungeschmin­kte Politiker hervor – den weiterhin viele schätzen.

Das wird sich so schnell nicht ändern. Nicht, bis auf der politische­n Bühne jemand erscheint, der ihm ernsthaft Konkurrenz macht. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner legt in Umfragen zu, konnte als Epidemiolo­gin inmitten der Pandemie dennoch nicht annähernd aufschließ­en. Die FPÖ befindet sich in einem internen Machtkampf zwischen Norbert Hofer und Herbert Kickl.

Spannend wird, wie sich Kurz eine Mehrheit sichert, sollte auch die Koalition mit den Grünen platzen. Vermutlich fände er eine Lösung. Kurz ist demaskiert, der talentiert­e Polittakti­ker dahinter wird nun noch sichtbarer werden.

Newspapers in German

Newspapers from Austria