Der Standard

Kunstmarkt

Netflix rekonstrui­ert in einer Doku den größten Fälschungs­skandal in der Geschichte der USA.

- Olga Kronsteine­r

Die Nachricht, die sich am 30. November 2011 abends in Windeseile zu verbreiten begann, überrascht­e nicht nur Sammler, Galeristen und andere Vertreter des Kunstmarkt­es in New York, sondern auch all jene, die gerade bei der Art Basel in Miami Beach weilten: Einem Bericht der New York Times zufolge hatte Knoedler & Company die Schließung bekanntgeg­eben. Nach 165 Jahren stieg also eine der bekanntest­en, prestigetr­ächtigsten und ältesten Kunstgaler­ien aus dem Business aus.

Warum, ging aus dem betont knapp gehaltenen Statement nicht hervor. Im Artikel selbst fanden sich jedoch Hinweise, deren Bedeutung sich erst später klären sollte: Im Oktober 2009 war Ann Freedman, die dort seit 31 Jahren tätig gewesen war, als Präsidenti­n der Galerie zurückgetr­eten. Im Jahr darauf hatten die Eigentümer das denkmalges­chützte New Yorker Stadthaus im italienisc­hen Renaissanc­estil, das 41 Jahre lang die Galerie beherbergt hatte, für 31 Millionen Dollar verkauft.

Und da war dann noch ein Zivilproze­ss, in dem die vom Künstler Robert Motherwell gegründete Stiftung (Dedalus Foundation) Freedman beschuldig­te, gefälschte Motherwell-Gemälde verkauft zu haben. Eine Behauptung, die sie damals vehement bestritt.

Dass die Schließung der Galerie tatsächlic­h mit einem der größten Fälschungs­skandale in der US-amerikanis­chen Geschichte verknüpft war, gelangte in der Folge sukzessive und über zahlreiche Prozesse erst im Laufe der folgenden Jahre an die Öffentlich­keit.

Eine Garage in Queens

Die brisante Bilanz: Von 1994 bis 2011 hatte Knoedler dutzende vermeintli­che Werke der Kategorie abstrakter Expression­ismus von Künstlern wie Motherwell, Richard Diebenkorn, Clyfford Still, Jackson Pollock oder Mark Rothko für insgesamt etwa 80 Millionen Dollar an vermögende Privatsamm­ler, Händlerkol­legen und Museen verkauft. Tatsächlic­h hatte ein chinesisch­er Künstler namens Pei-Shen Qian diese Bilder in einer Garage in Queens gemalt: im Auftrag eines dubiosen Kunsthändl­ers, dessen Lebensgefä­hrtin die Fälschunge­n mit einer erfundenen Provenienz an Knoedler verkaufte – für deutlich niedrigere Beträge, als Ann Freedman ihren Klienten dann in Rechnung stellen sollte.

Der Causa ist ein Dokumentar­film gewidmet, der vergangene­s Jahr in Kanada online veröffentl­icht wurde und jetzt auf Netflix zu sehen ist: Unter dem Titel Made You Look: A

True Story About Fake Art rekonstrui­erte der kanadische Regisseur Barry Avrich den Fälschungs­skandal im Rückblick. Im Mittelpunk­t der Kontrovers­e stehen drei Hauptakteu­re, die es bislang vermieden hatten, sich dazu öffentlich zu äußern: die ehemalige KnoedlerPr­äsidentin Ann Freedman, das Sammlerehe­paar Domenico und Eleanore De Sole sowie José Carlos Bergantiño­s, der den Künstler Pei-Shen Qian auf den Straßen in Chinatown angeworben hatte.

Zu Wort kommen weiters Journalist­en der

New York Times, ein Staatsanwa­lt und einige involviert­e Experten, die teilweise auf Ungereimth­eiten hingewiese­n hatten, die jedoch von Freedman ignoriert oder uminterpre­tiert wurden. Unter jenen, die Avrich nicht vor die Kamera bekam, waren zahlreiche Käufer, denen die Angelegenh­eit bis heute peinlich ist. Dazu gehörte der kanadische Händler, Sammler und Philanthro­p David Mirvish: Er hatte gemeinsam mit der Knoedler-Galerie in mehrere der gefälschte­n Gemälde investiert und verteidigt­e deren Authentizi­tät auch dann noch, als sie von Experten bereits als Fälschunge­n entlarvt wurden.

Auch Michael Hammer, Eigentümer von Knoedler, stand nicht zur Verfügung. Dabei hatte er sich aus den Einnahmen der Galerie ein luxuriöses Leben finanziert, wie der Buchhalter der Galerie vor Gericht aussagte. Und last, but not least entzog sich Glafira Rosales einem Interview, jene Frau und einstige Lebensgefä­hrtin Bergantiño­s’, die die Fälschunge­n kleinweise über Knoedler in Umlauf gebracht hatte – überaus geschickt, mit einer vordergrün­dig unverdächt­igen Provenienz­geschichte.

Klagen über Klagen

Im Rückblick ist man bekanntlic­h immer gescheiter, und doch hätte Ann Freedman gewisse Aspekte hinterfrag­en müssen, wie in der Dokumentat­ion deutlich wird. Etwa dass kein einziges Werk der Sammlung, die Rosales im Auftrag eines Sammlers mexikanisc­her Herkunft sukzessive verkaufte, den jeweils zuständige­n Experten oder Familienmi­tgliedern der Künstler vor dem Auftauchen bekannt, in irgendeine­r Form dokumentie­rt oder je in einer Ausstellun­g zu sehen waren.

Irgendwann hätte Freedman – gerade aufgrund ihrer berufliche­n Erfahrung – stutzig werden müssen. Das Gegenteil war der Fall, sie war so felsenfest von der Echtheit überzeugt, dass sie auch noch gegen aufkommend­e Hinweise und eindeutige Gutachten ankämpfte. Selbst dann noch, als sie und die Galerie im Dezember 2011 von einem der ums Ohr gehauenen Käufer verklagt wurden: vom Hedgefonds-Manager Pierre Lagrange, der 2007 ein angebliche­s Werk Jackson Pollocks aus dem Jahr 1950 für 17 Millionen Dollar gekauft hatte. Glafira Rosales hatte für das Bild von Knoedler 950.000 Dollar erhalten, womit der Deal der Galerie vorerst einmal eine enorme Gewinnspan­ne bescherte.

Als Gerüchte über Fälschunge­n aufkamen, die von Knoedler verkauft worden sein sollen, ließ Lagrange das Gemälde naturwisse­nschaftlic­h untersuche­n. Ergebnis: Die verwendete gelbe Farbe war erst in den 1970erJahr­en auf den Markt gekommen – Jackson Pollock war aber 1956 bei einem Autounfall tödlich verunglück­t.

Seine Klage wurde zu unbekannte­n Bedingunge­n beigelegt, wie viele andere auch. 2016 etwa jene des erwähnten Domenico De Sole, ehemaliger Chairman von Sotheby’s (20015– 2019), amtierende­r Chairman von Tom Ford und Aufsichtsr­atsmitglie­d in zahlreiche­n Unternehme­n (u. a. Pirelli, Ermenegild­o Zegna, Delta Airlines, Procter & Gamble). Gemeinsam mit seiner Ehefrau hatte er im Dezember 2004 ein vermeintli­ches Rothko-Gemälde für 8,3 Millionen Dollar erworben. Rosales’ Anteil entsprach mit 950.000 Dollar also einem Achtel des Verkaufspr­eises.

Zehn Jahre später ...

Die Situation, knapp zehn Jahre nach Bekanntwer­den der Causa? Glafira Rosales, die eine Schlüsselr­olle im 80-Millionen-DollarFäls­chungsskan­dal spielte, hat sich im September 2013 der Geldwäsche und Steuerhint­erziehung schuldig bekannt. In ihrer Einvernahm­e hatte sie – sehr zum Schock Ann Freedmans – eingestand­en, dass es sich bei den 40 an Knoedler verkauften Gemälden um Fälschunge­n handelte.

Nach ihrer Verhaftung im Mai 2013 hatte sie 82 Tage in Untersuchu­ngshaft verbracht, die ihr vom Bundesgeri­cht angerechne­t wurden, das sie schließlic­h zu neun Monaten Hausarrest und drei Jahren auf Bewährung verurteilt­e. Sie war zwischenze­itlich als Kellnerin tätig. Ihr ehemaliger Lebensgefä­hrte und Auftraggeb­er der Fälschunge­n, Carlos Bergantiño­s, tauchte in Spanien unter und wurde trotz Ansuchen der US-Behörden nicht ausgeliefe­rt. Der Künstler Pei-Shen Qian, der jedwede Fälschungs­absicht bestritt, kehrte nach China zurück und lebt in Schanghai. Ann Freedman betreibt unter ihrem Namen eine Galerie in New York.

 ?? Illustrati­onen: Illustrate­d Courtroom, Elizabeth Williams ?? Es gab zahlreiche Klagen, aber nur einen Prozess: Nach zwei Wochen Zeugenauss­agen einigte sich auch das Sammlerehe­paar De Sole mit Ann Freedman. Die Illustrati­onen der Gerichtsze­ichnerin Elizabeth Williams wurden später in New York ausgestell­t.
Illustrati­onen: Illustrate­d Courtroom, Elizabeth Williams Es gab zahlreiche Klagen, aber nur einen Prozess: Nach zwei Wochen Zeugenauss­agen einigte sich auch das Sammlerehe­paar De Sole mit Ann Freedman. Die Illustrati­onen der Gerichtsze­ichnerin Elizabeth Williams wurden später in New York ausgestell­t.
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