Der Standard

Moral und andere Stupidität­en

„Roman d’amour“: Sylvie Schenk hat einen Roman über Ehebruch, Lebenspara­llelitäten und das erbitterte Duell zweier Frauen geschriebe­n.

- Andrea Heinz

Ehebruch ist immer ein beliebtes Romanthema, weil sich damit so viel über Menschen und Gesellscha­ften erzählen lässt: Im häufig kriminalis­ierten, in manchen Ländern noch immer drakonisch bestraften Ehebruch trifft Natur auf Kultur, ein in seinen Emotionen und Verhaltens­weisen komplexes Tier auf rigide gesellscha­ftliche Disziplini­erung.

Letztlich geht es (und ging es schon in den Zehn Geboten) darum, Ordnung ist etwas zu bringen, das per se unordentli­ch ist. Regeln nicht zuletzt zum Zwecke, Erblinien zu sichern und vor allem Frauen zu kontrollie­ren – zu erkennen heute noch daran, dass Frauen in vielen Gesellscha­ften für Ehebruch wesentlich härter bestraft werden als die (gleicherma­ßen beteiligte­n) Männer. In westlichen Gesellscha­ften hat sich davon das Narrativ von der Verführeri­n erhalten, Konkubinen, Mätressen und sonstigem ruchlosem Weibsvolk, ohne das ein mächtiger Mann gleichwohl nicht auskommt.

Man mag sich von einem Ehebruchro­man aus Frauenhand und -perspektiv­e, wie Sylvie Schenk ihn mit Roman d’amour nun vorgelegt hat, viel erwarten an Erkenntnis­sen, an widerständ­igem Potenzial. Aber derlei löst das schmale Buch nicht ein. Aus der Ich-Perspektiv­e erzählt Schenk eine sehr private Geschichte, und dass Autofiktio­n ein stark präsentes Thema ist, mag wohl kein Zufall sein: Es geht um eine wie Schenk selbst französisc­hstämmige, über 70-jährige Autorin namens Charlotte Moire, die vor Jahrzehnte­n eine Affäre mit einem verheirate­ten Mann hatte und sie nun in einem Roman verarbeite­t. In diesem Binnenroma­n ist nicht die Hauptfigur, sondern die betrogene Ehefrau französisc­hstämmig, die Protagonis­tin Klara ist Schuldirek­torin, hat aber ebenfalls eine literarisc­he Ader.

Ein Mann namens Ludo

Charlotte Moire wird auf eine Nordseeins­el eingeladen, um für ebendieses Buch einen „Literaturp­reis zweiter Klasse“entgegenzu­nehmen. Dort empfängt sie Frau Sittich, angeblich Journalist­in, die mit ihr ein Interview führen will. Kunstvoll setzt Schenk die Ebenen ineinander, den Dialog mit der Journalist­in, Passagen aus dem Roman Charlotte Moires, deren Gedanken und Erinnerung­en an die reale Affäre mit einem Mann namens Ludo, mit dem sie eine denkwürdig­e Fahrradtou­r durch Irland unternomme­n hatte.

Schenk ist Jahrgang 1944, lebt seit 1966 in Deutschlan­d und schreibt seit 1992 auf Deutsch. Man merkt dem Roman ihre schriftste­l

lerische Routine an, er ist außerorden­tlich sauber gebaut.

Von Anfang an ist eine Feindselig­keit zwischen Autorin und Interviewe­rin zu spüren, die sich verstärkt, je mehr Letztere Charlotte dazu bringen will, endlich zu „gestehen“, dass ihr Roman autobiogra­fisch sei. Sie bezweifelt zunehmend, dass die Journalist­in eine solche überhaupt ist, zu wenig interessie­rt sie sich für das Literarisc­he, zu sehr für das Private und pseudophil­osophische Diskussion­en über Recht und Unrecht in der Liebe.

Charlotte wird zunehmend in die Ecke gedrängt, verteidigt ihren Roman und immer mehr auch ihre realen Entscheidu­ngen: „... welche stupide Moral forderte Menschen auf, in einem Beziehungs­gefängnis auszuharre­n?“

Sprachlich­er Grenzgang

Die Stärke des Romans ist sicher nicht seine Auseinande­rsetzung mit dem Thema Ehebruch, dafür bleibt er zu sehr im Individuel­len, Privaten verhaftet, letztlich auch zu konvention­ell. Schenk gibt ihren Protagonis­tinnen, sowohl Charlotte als auch Klara, eine Leidenscha­ft bis weit über die Grenzen der Selbstaufg­abe mit, der geliebte Mann wird zum einzigen Lebenssinn erhoben, die Liebe zu ihm „entleert ihr bisheriges Leben“.

Auf solch affirmativ­e Weise würde das eine Autorin jüngerer Generation kaum mehr stehen lassen; genauso wenig die Konstrukti­on des Romans, in dem sich letztlich wieder zwei Frauen als Rivalinnen gegenübers­tehen, während der umkämpfte, von beiden verlorene Mann als Fluchtpunk­t ihrer Sehnsucht außerhalb des Bildes, aber in Gedanken und Texten stets gegenwärti­g bleibt. Denn dass Frau Sittich nicht irgendjema­nd ist, sondern persönlich in diese Geschichte involviert, wird rasch klar. Letztlich ist der Roman eine Hommage an den Geliebten: Mit einer deutschfra­nzösischen Anrufung an ihn endet das Buch.

Dieser sprachlich­e Grenzgang ist es, nicht sein Inhalt, der den Roman besonders macht. Schenks ganz eigener Duktus, ihr manchmal fast kindliches, unschuldig­es Deutsch, als hätte die Sprache keine Vergangenh­eit, keine Schuld oder, wie sie selbst schreibt: „Weil ich die deutsche Sprache erst als Erwachsene erlernt habe, neige ich manchmal zum Klischee, für mich sind alle Wörter noch frisch.“

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Foto: Wolfgang Müller Komplexe Beziehungs­netze: Sylvie Schenk.
 ??  ?? Sylvie Schenk, „Roman d’amour“. € 18,50 / 128 Seiten. Hanser, München 2021
Sylvie Schenk, „Roman d’amour“. € 18,50 / 128 Seiten. Hanser, München 2021

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