Wird das Virus ewig wüten?
Laut Definition treten Pandemien nur zeitlich begrenzt in Erscheinung. In einigen Ländern, wo das Impfprogramm bereits weit fortgeschritten ist, scheint das Ende von Covid-19 nah. Worauf wir in den nächsten Monaten hoffen können.
Österreich impft langsam, testet viel und ist erneut im TeilLockdown. Ungarn impft schnell und hat dennoch viele Tote zu beklagen. Chile muss in Quarantäne – trotz großen Impf-Eifers, Kanada leidet unter Mutationen. Wird das immer so weitergehen? Worauf wir hoffen dürfen – und was wir beachten müssen.
Am Beginn der Pandemie, lang ist’s her, strapazierte Gesundheitsminister Rudolf Anschober immer wieder das Bild des Marathonlaufs. Die Botschaft war klar: Die Bewältigung der Krise wird kein 100-Meter-Sprint, sondern länger dauern und uns allen viel Geduld und Durchhaltevermögen abverlangen.
Dieses Bild vom Marathonlauf ist im öffentlichen Reden über die Pandemie zuletzt ein wenig verschwunden. Dabei würde sich dieser Vergleich gerade jetzt ideal als Narrativ – also als sinnstiftende Erzählung und Motivationshilfe – anbieten. Für die etwas über 42 Kilometer des Marathonlaufs gilt, dass es für das letzte Sechstel der Strecke (also so etwa ab Kilometer 35) noch einmal richtig hart und zäh wird. Die Beine schmerzen, und man möchte am liebsten stehenbleiben, auch wenn es nicht mehr weit bis ins Ziel ist.
Das letzte Sechstel
Umgelegt auf den Pandemiemarathon halten wir in Österreich ziemlich genau bei diesen 35 Kilometern: Mehr als zwölf Monate oder fünf Sechstel des Weges haben wir bereits mit viel Mühe geschafft. Und in den kommenden, noch sehr mühsamen zwei, längstens drei Monaten – dem letzten Sechstel – sollten wir endlich aus dem Gröbsten herauskommen und damit das wichtigste Ziel erreicht haben.
Bereits jetzt im unmittelbaren Bereich der Ziellinie sind Länder wie Israel. Dank des überaus raschen Durchimpfens der Bevölkerung gingen dort in den vergangenen Wochen die Zahlen der Neuinfektionen in allen Bevölkerungsgruppen (also auch bei den nicht geimpften Kindern) erfreulich stark zurück. Damit reduzierten sich auch die schweren Erkrankungen und Todesfälle, und es wird längst schon vorsichtig die Rückkehr zum Leben vor Corona geprobt (siehe Seite 3). Ähnliche erfreuliche Entwicklungen sind in Ansätzen etwa auch schon in Großbritannien zu beobachten.
Ist damit in Israel – und hoffentlich auch im Laufe des Sommers in der EU – die Pandemie zu Ende? Könnten uns noch Gefahren vor und nach Erreichen der Ziellinie drohen? Was wird von Corona bleiben? Und wie wird unser Leben „danach“ausschauen?
Beginnen wir mit dem Grundsätzlichen – also der globalen und langfristigen Perspektive: Bei einer Pandemie handelt es sich definitionsgemäß um eine „zeitlich begrenzt in Erscheinung tretende, weltweite starke Ausbreitung einer Infektionskrankheit mit hohen Erkrankungszahlen und mit schweren Krankheitsverläufen“. Mit anderen Worten: Eine Pandemie geht erstens immer zu Ende, sie ist zweitens aber immer eine globale Angelegenheit. Wenn also Covid-19 auch in Israel, Europa, den USA und noch ein paar Ländern im Sommer besiegt sein wird, ist damit die Pandemie als solche noch nicht beendet. Dort, wo noch nicht ausreichend geimpft ist, wird sie vorerst weiterlaufen.
Wenn die Immunisierung weltweit weit genug vorangeschritten ist, was passiert danach?
Sars-CoV-2 wird endemisch
Bei einer Umfrage des Wissenschaftsjournals Nature, an der 119 Fachleute aus 23 Ländern teilnahmen, vermuteten fast 90 Prozent, dass sich die Pandemie mittel- und langfristig in eine Endemie verwandelt. Mit anderen Worten: Sars-CoV2 wird mittel- und langfristig endemisch, also weiterhin in Teilen der Weltbevölkerung zirkulieren und vermutlich – ähnlich wie andere humane Coronaviren oder wie die Grippe – saisonal auftreten. Die Verläufe werden aufgrund der Impfungen aber viel leichter ausfallen, als sie es jetzt tun.
Bei dieser Prognose gibt es freilich etliche Unbekannte. So etwa wissen wir nicht, wie lange die Immunität nach Infektionen und Impfungen anhalten wird. Das hängt nicht zuletzt auch davon ab, wie gut es dem Virus gelingen wird, sich durch Mutationen unseren Immunisierungen zu entziehen. Für eine Mehrheit der Fachleute ist dieses absehbare Wettrennen zwischen Mutationen und dagegen wirksamen Impfungen auch der Hauptgrund dafür, dass Covid-19 endemisch wird.
Damit sind wir auch schon wieder zurück im Hier und Jetzt. So scheint sich in Österreich bereits an einem ersten konkreten Beispiel anzudeuten, was das in Zukunft konkret bedeuten könnte: In Tirol hat sich in die „britische“Virusvariante B.1.1.7 zusätzlich die Mutation E484K eingebaut. Und E484K hat die unangenehme Eigenschaft, dass dadurch unsere durch Impfungen oder Infektionen erworbene Immunabwehr herabgesetzt wird.
Fachleute vermuten nun, dass diese zusätzliche Mutation bereits im Zusammenhang mit der großflächigen Impfaktion in Tirol stehen könnte – als Reaktion des Virus, um die Immunisierungen zu umgehen. Der Wettlauf zwischen Impfungen und Mutationen hat also längst begonnen und wird vermutlich noch Jahre weitergehen. Um einen Zeithorizont zu geben: Die britische Forscherin Sharon Peacock, die das weltweit führende Sars-CoV-2-Sequenzierprogramm leitet, rechnet damit, dass sie auch noch im Jahr 2030 Coronaviren sequenzieren wird, um bessere Impfstoffe gegen Mutanten zu entwickeln.
Keine Herdenimmunität
Für eher unwahrscheinlich helten die meisten Fachleute leider ein anderes, positiveres Exit-Szenario: dass es uns in absehbarer Zeit durch Impfungen und das Erreichen einer globalen Herdenimmunität gelingen könnte, dem Virus völlig den Garaus zu machen. Das Ziel der Herdenimmunität,
die dafür nötig wäre, dürfte sich laut jüngsten Studien bei Sars-CoV-2 nämlich schwerer erreichen lassen, als man ursprünglich dachte.
Das liegt nicht zuletzt an den Mutationen des Virus. So etwa erhöhte die ansteckendere Variante B.1.1.7 rein rechnerisch die dafür nötige Immunisierungsquote auf weit jenseits der 70 Prozent. Dazu kommt, dass der Impfschutz auch bei den wirksamsten Vakzinen nicht 100 Prozent beträgt.
Doch auch ohne Herdenimmunität sollte in unseren Breiten wieder ein relativ normales Leben möglich werden, wie die Entwicklungen in Israel vermuten lassen. Vorsicht wird aber vermutlich geboten bleiben. Das prognostiziert jedenfalls ein britisches Forscherteam, das im Fachblatt The Lancet Infectious Diseases einen Ausblick wagte, wie sich die Pandemie in Großbritannien bis 2024 entwickeln wird.
Diese Modellrechnungen ergaben, dass es ganz ohne Maßnahmen zu einem – wenn auch lokal begrenzten – Wiederaufflammen des Infektionsgeschehens kommen könnte, selbst wenn ein großer Teil der Bevölkerung geimpft ist. Anders gesagt: Ab dem Sommer werden zwar keine Lockdowns mehr nötig sein. Aber bestimmte Vorsichtsmaßnahmen wie Corona-Tests oder das situationsspezifische Tragen von Masken dürften uns auch noch nach dem eigentlichen Pandemiemarathon erhalten bleiben.