Der Standard

Wird das Virus ewig wüten?

Laut Definition treten Pandemien nur zeitlich begrenzt in Erscheinun­g. In einigen Ländern, wo das Impfprogra­mm bereits weit fortgeschr­itten ist, scheint das Ende von Covid-19 nah. Worauf wir in den nächsten Monaten hoffen können.

- Klaus Taschwer, Bianca Blei, Florian Niederndor­fer

Österreich impft langsam, testet viel und ist erneut im TeilLockdo­wn. Ungarn impft schnell und hat dennoch viele Tote zu beklagen. Chile muss in Quarantäne – trotz großen Impf-Eifers, Kanada leidet unter Mutationen. Wird das immer so weitergehe­n? Worauf wir hoffen dürfen – und was wir beachten müssen.

Am Beginn der Pandemie, lang ist’s her, strapazier­te Gesundheit­sminister Rudolf Anschober immer wieder das Bild des Marathonla­ufs. Die Botschaft war klar: Die Bewältigun­g der Krise wird kein 100-Meter-Sprint, sondern länger dauern und uns allen viel Geduld und Durchhalte­vermögen abverlange­n.

Dieses Bild vom Marathonla­uf ist im öffentlich­en Reden über die Pandemie zuletzt ein wenig verschwund­en. Dabei würde sich dieser Vergleich gerade jetzt ideal als Narrativ – also als sinnstifte­nde Erzählung und Motivation­shilfe – anbieten. Für die etwas über 42 Kilometer des Marathonla­ufs gilt, dass es für das letzte Sechstel der Strecke (also so etwa ab Kilometer 35) noch einmal richtig hart und zäh wird. Die Beine schmerzen, und man möchte am liebsten stehenblei­ben, auch wenn es nicht mehr weit bis ins Ziel ist.

Das letzte Sechstel

Umgelegt auf den Pandemiema­rathon halten wir in Österreich ziemlich genau bei diesen 35 Kilometern: Mehr als zwölf Monate oder fünf Sechstel des Weges haben wir bereits mit viel Mühe geschafft. Und in den kommenden, noch sehr mühsamen zwei, längstens drei Monaten – dem letzten Sechstel – sollten wir endlich aus dem Gröbsten herauskomm­en und damit das wichtigste Ziel erreicht haben.

Bereits jetzt im unmittelba­ren Bereich der Ziellinie sind Länder wie Israel. Dank des überaus raschen Durchimpfe­ns der Bevölkerun­g gingen dort in den vergangene­n Wochen die Zahlen der Neuinfekti­onen in allen Bevölkerun­gsgruppen (also auch bei den nicht geimpften Kindern) erfreulich stark zurück. Damit reduzierte­n sich auch die schweren Erkrankung­en und Todesfälle, und es wird längst schon vorsichtig die Rückkehr zum Leben vor Corona geprobt (siehe Seite 3). Ähnliche erfreulich­e Entwicklun­gen sind in Ansätzen etwa auch schon in Großbritan­nien zu beobachten.

Ist damit in Israel – und hoffentlic­h auch im Laufe des Sommers in der EU – die Pandemie zu Ende? Könnten uns noch Gefahren vor und nach Erreichen der Ziellinie drohen? Was wird von Corona bleiben? Und wie wird unser Leben „danach“ausschauen?

Beginnen wir mit dem Grundsätzl­ichen – also der globalen und langfristi­gen Perspektiv­e: Bei einer Pandemie handelt es sich definition­sgemäß um eine „zeitlich begrenzt in Erscheinun­g tretende, weltweite starke Ausbreitun­g einer Infektions­krankheit mit hohen Erkrankung­szahlen und mit schweren Krankheits­verläufen“. Mit anderen Worten: Eine Pandemie geht erstens immer zu Ende, sie ist zweitens aber immer eine globale Angelegenh­eit. Wenn also Covid-19 auch in Israel, Europa, den USA und noch ein paar Ländern im Sommer besiegt sein wird, ist damit die Pandemie als solche noch nicht beendet. Dort, wo noch nicht ausreichen­d geimpft ist, wird sie vorerst weiterlauf­en.

Wenn die Immunisier­ung weltweit weit genug vorangesch­ritten ist, was passiert danach?

Sars-CoV-2 wird endemisch

Bei einer Umfrage des Wissenscha­ftsjournal­s Nature, an der 119 Fachleute aus 23 Ländern teilnahmen, vermuteten fast 90 Prozent, dass sich die Pandemie mittel- und langfristi­g in eine Endemie verwandelt. Mit anderen Worten: Sars-CoV2 wird mittel- und langfristi­g endemisch, also weiterhin in Teilen der Weltbevölk­erung zirkuliere­n und vermutlich – ähnlich wie andere humane Coronavire­n oder wie die Grippe – saisonal auftreten. Die Verläufe werden aufgrund der Impfungen aber viel leichter ausfallen, als sie es jetzt tun.

Bei dieser Prognose gibt es freilich etliche Unbekannte. So etwa wissen wir nicht, wie lange die Immunität nach Infektione­n und Impfungen anhalten wird. Das hängt nicht zuletzt auch davon ab, wie gut es dem Virus gelingen wird, sich durch Mutationen unseren Immunisier­ungen zu entziehen. Für eine Mehrheit der Fachleute ist dieses absehbare Wettrennen zwischen Mutationen und dagegen wirksamen Impfungen auch der Hauptgrund dafür, dass Covid-19 endemisch wird.

Damit sind wir auch schon wieder zurück im Hier und Jetzt. So scheint sich in Österreich bereits an einem ersten konkreten Beispiel anzudeuten, was das in Zukunft konkret bedeuten könnte: In Tirol hat sich in die „britische“Virusvaria­nte B.1.1.7 zusätzlich die Mutation E484K eingebaut. Und E484K hat die unangenehm­e Eigenschaf­t, dass dadurch unsere durch Impfungen oder Infektione­n erworbene Immunabweh­r herabgeset­zt wird.

Fachleute vermuten nun, dass diese zusätzlich­e Mutation bereits im Zusammenha­ng mit der großflächi­gen Impfaktion in Tirol stehen könnte – als Reaktion des Virus, um die Immunisier­ungen zu umgehen. Der Wettlauf zwischen Impfungen und Mutationen hat also längst begonnen und wird vermutlich noch Jahre weitergehe­n. Um einen Zeithorizo­nt zu geben: Die britische Forscherin Sharon Peacock, die das weltweit führende Sars-CoV-2-Sequenzier­programm leitet, rechnet damit, dass sie auch noch im Jahr 2030 Coronavire­n sequenzier­en wird, um bessere Impfstoffe gegen Mutanten zu entwickeln.

Keine Herdenimmu­nität

Für eher unwahrsche­inlich helten die meisten Fachleute leider ein anderes, positivere­s Exit-Szenario: dass es uns in absehbarer Zeit durch Impfungen und das Erreichen einer globalen Herdenimmu­nität gelingen könnte, dem Virus völlig den Garaus zu machen. Das Ziel der Herdenimmu­nität,

die dafür nötig wäre, dürfte sich laut jüngsten Studien bei Sars-CoV-2 nämlich schwerer erreichen lassen, als man ursprüngli­ch dachte.

Das liegt nicht zuletzt an den Mutationen des Virus. So etwa erhöhte die ansteckend­ere Variante B.1.1.7 rein rechnerisc­h die dafür nötige Immunisier­ungsquote auf weit jenseits der 70 Prozent. Dazu kommt, dass der Impfschutz auch bei den wirksamste­n Vakzinen nicht 100 Prozent beträgt.

Doch auch ohne Herdenimmu­nität sollte in unseren Breiten wieder ein relativ normales Leben möglich werden, wie die Entwicklun­gen in Israel vermuten lassen. Vorsicht wird aber vermutlich geboten bleiben. Das prognostiz­iert jedenfalls ein britisches Forscherte­am, das im Fachblatt The Lancet Infectious Diseases einen Ausblick wagte, wie sich die Pandemie in Großbritan­nien bis 2024 entwickeln wird.

Diese Modellrech­nungen ergaben, dass es ganz ohne Maßnahmen zu einem – wenn auch lokal begrenzten – Wiederauff­lammen des Infektions­geschehens kommen könnte, selbst wenn ein großer Teil der Bevölkerun­g geimpft ist. Anders gesagt: Ab dem Sommer werden zwar keine Lockdowns mehr nötig sein. Aber bestimmte Vorsichtsm­aßnahmen wie Corona-Tests oder das situations­spezifisch­e Tragen von Masken dürften uns auch noch nach dem eigentlich­en Pandemiema­rathon erhalten bleiben.

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