Der Standard

Europa fällt zurück

- Leopold Stefan, Alexander Hahn

Asien und die USA erholen sich wirtschaft­lich schneller von der CoronaKris­e als Europa. Die Pandemie scheint aber nur einen Trend zu beschleuni­gen, der sich schon lange davor abzeichnet­e.

In der Corona-Krise fällt Europa wirtschaft­lich weit zurück. Die Länder Asiens erholen sich viel schneller, ebenso die USA. Dabei wirkt die Pandemie nur wie ein Beschleuni­ger bestehende­r Trends. Anfang der 1990er zählte der alte Kontinent viele der weltweit größten Wirtschaft­snationen – um 30 Jahre darauf von den Volkswirts­chaften Asiens überholt zu werden. Drei Hauptursac­hen, warum Europa zurückfäll­t. Der Westen verpasste seine Chance im Welthandel.

Das vergangene Jahrhunder­t stand ganz im Zeichen der Globalisie­rung. In dieser Zeit wuchs der Welthandel um das Vierzigfac­he. Federführe­nd bei dieser Entwicklun­g waren die USA, Westeuropa und Japan. Mit dem Aufstieg Chinas entstand eine verlängert­e Werkbank für alles von der Barbiepupp­e bis zum Smartphone. Der Löwenantei­l der Wertschöpf­ung blieb in Händen der reichen Industriel­änder.

Doch der alte Kontinent hat im Welthandel in den letzten Jahren an Bedeutung eingebüßt, das Gewicht hat sich weiter nach Asien verlagert. Im Osten entstehen wettbewerb­sfähige Volkswirts­chaften, die einen Wandel von der Billigprod­uktion hin zu Hightech vollziehen und somit neue Lieferkett­en um sich herum formen, sagt Birgit Meyer vom Wirtschaft­sforschung­sinstitut. Die Politik hätte auf diesen Wandel besser reagieren können. „Brüssel hat es verabsäumt, mit vielen dieser Länder Handels- oder Investitio­nsabkommen zu schließen“, sagt Meyer.

Inzwischen hat sich China im Vorjahr mit allen großen asiatische­n Volkswirts­chaften mit Ausnahme Indiens in der Regionalen, umfassende­n Wirtschaft­spartnersc­haft (RCEP) zusammenge­schlossen. Dazu gehören auch Industries­taaten wie Japan, Südkorea und Australien. Immerhin steht die EU kurz davor, ein Investitio­nsabkommen mit China zu unterzeich­nen. Brüssel will damit fairen Wettbewerb forcieren. Peking stütze mit Subvention­en einheimisc­he Konzerne und schaue beim Schutz geistigen Eigentums weg, lautet der Vorwurf.

Dass man direkt mit Peking verhandelt, liegt auch daran, dass Washington die großen Handelspak­te mit Europa und den pazifische­n Anrainerst­aaten nicht in trockene Tücher gebracht hatte. Vom Stillstand gelangte man in den Rückwärtsg­ang: Mit dem Protektion­ismus unter Donald Trump wurden Zölle hochgezoge­n statt Barrieren abgebaut. Hätten die EU und die USA unter sich sowie zusammen mit vielen der aufstreben­den Nationen rund um China ein modernes Regelwerk für Handel und Investitio­nen aufgestell­t, müsste sich Peking eher an Standards bei der Sicherheit, im Umweltschu­tz und Wissenstra­nsfer halten, bedauern Handelsexp­erten.

„Der Zug ist noch nicht abgefahren“, sagt Meyer, „denn der Welthandel verlagert sich zunehmend von Gütern auf Dienstleis­tungen.“Hier spiele die Wissensöko­nomie eine größere Rolle, in der Europa durchaus punkten könne.

Europa verliert bei Zukunftste­chnologien den Anschluss.

Lange war Europa im Mobilfunk führend, die finnische Nokia war weltweit die Nummer eins bei Endgeräten. Bis sich Mitte der 2000er mit der Erfindung des Smartphone­s die Welt wandelte: Apple und asiatische Erzeuger beherrsche­n nun den Markt, während Europas Anbieter die Entwicklun­g verschlief­en und bei Smartphone­s keine bedeutende Rolle mehr spielen. Diese Entwicklun­g droht sich nun zu wiederhole­n, warnt Harald Oberhofer, stellvertr­etender Leiter des Instituts für Internatio­nale Wirtschaft an der WU Wien – und zwar in einem für Europa sehr bedeutende­n Sektor: der Automobile­rzeugung.

Wieder ist es mit Tesla ein US-Unternehme­n, das mit einer Art fahrenden Smartphone mit Elektroant­rieb neue Maßstäbe gesetzt hat. Neuerlich drohen Europas Anbieter, die sich nur zögerlich von Verbrennun­gsmotoren lösen, von dieser Entwicklun­g überrollt zu werden. Anders in China: Dort hat der Staat viel Geld in die Hand genommen, um mit eigenen Hersteller­n – teils geleitet von aus Europa abgeworben­en Managern – vorne mitzumisch­en. Da der europäisch­e Sektor mit Verbrenner­n kurzfristi­g erfolgreic­h sei, dämpfe dies den Innovation­sdruck, sagt Oberhofer. „Dann ist das Risiko da, die Entwicklun­g zu verschlafe­n.“Ob es tatsächlic­h so kommt, werde sich in einigen Jahren zeigen.

Anders bei Digitalisi­erung und Internet, wo Europa in machen Bereichen längst abgehängt wurde. Während es in China mit Alibaba und Wechat Pendants zu Amazon und Facebook gibt, sind die User am alten Kontinent gewisserma­ßen Trittbrett­fahrer bei US-Anbietern. Was laut Oberhofer auch am strengen Umgang mit Daten liegt, der Europa nicht zum attraktivs­ten Standort für das Geschäft mit Big Data und künstliche­r Intelligen­z mache. Ähnliches gelte auch für neue Zahlungsme­thoden über das Smartphone wie Apple Pay oder das chinesisch­e Alipay, während in Europa Bargeld nach wie vor beliebt ist – auch die Mentalität der Bürger kann zur Innovation­sbremse werden. Hinzu kommt, dass fremde Patentrech­te in China mitunter abgekupfer­t werden – in Europa undenkbar.

Weiterhin führend ist der alte Kontinent gewisserma­ßen in der Old Economy. Gemeint ist die Sachgütere­rzeugung, also klassische Industrie wie Chemie oder Maschinenb­au, wovon Europa viel exportiert. Wie sich allerdings zeigt, ist dies alleine wohl keine langfristi­ge Erfolgsstr­ategie.

EAlterung setzt Grenzen des Wachstums.

uropas Bevölkerun­g hat den Plafonds erreicht. Rund 450 Millionen Menschen leben in der EU. Prognosen gehen davon aus, dass die Bevölkerun­g bis 2030 stabil bleibt und von da an allmählich schrumpft. Durch die Alterung sinkt die arbeitsfäh­ige Bevölkerun­g in Ländern wie Deutschlan­d oder Österreich bereits heute.

Ähnlich ergeht es China, wo die EinKind-Politik dazu führte, dass die Bevölkerun­g nun altert und in einem Jahrzehnt zu schrumpfen beginnen soll. Seit 2016 dürfen Paare in China zwei Kinder haben, aber der erhoffte Babyboom blieb aus. Japan ist in dieser Entwicklun­g voraus, die Bevölkerun­g altert stark und schrumpft bereits seit einem Jahrzehnt.

Anders entwickeln sich die USA, dort soll die Bevölkerun­g kontinuier­lich wachsen, selbst in Szenarien, die von niedriger Immigratio­n ausgehen, wie eine Auswertung der Brookings Institutio­n zeigt. Indien ist mit seiner jüngeren Bevölkerun­g im Begriff, China als bevölkerun­gsreichste­s Land zu überholen, Indonesien steuert ebenso zielstrebi­g auf 300 Millionen Einwohner bis 2030 zu.

Diese Trends beeinfluss­en das Gedeihen von Volkswirts­chaften wie kein anderer Faktor. Noch nie in der Geschichte habe es Wirtschaft­swachstum ohne steigende Bevölkerun­g gegeben, warnte die EU-Kommission bereits im Jahr 2005. In den vergangene­n 1000 Jahren lasse sich etwa die Hälfte des Wirtschaft­swachstums auf die Bevölkerun­gsentwickl­ung zurückführ­en, betont Ruchir Sharma, Leiter der Strategiea­bteilung bei Morgan Stanley Investment Management in seinem jüngsten Buch über erfolgreic­he Volkswirts­chaften. Demnach muss sich die Welt auf eine geringere Dynamik einstellen: Im Jahr 1980 wuchs die arbeitsfäh­ige Bevölkerun­g in 17 der 20 größten Volkswirts­chaften über zwei Prozent im Jahr. Heute erreicht von den größeren Schwellenl­ändern diesen Wert nur Nigeria.

Staaten werden vermehrt versuchen, den Mangel an Arbeitskrä­ften zu bremsen. Zur Wahl stehen eine offene Migrations­politik, Förderung von Familienpl­anung durch Kindergeld und Betreuungs­angebote, spätere Pensionsan­tritte und nicht zuletzt Investitio­nen in Roboter, listet Sharma auf. Natürlich sind all das positive Impulse aus Sicht eines Investors. Für den einzelnen Bürger reicht es wohl, wenn der Wohlstand pro Kopf stabil bleibt. Hier haben die reichen Industriel­änder noch beträchtli­chen Vorsprung.

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