Der Standard

Original oder Replikat

- Stefan Weiss, Katharina Rustler

Brauchen wir im Museum wirklich das originale, von Künstlerha­nd erschaffen­e Einzelstüc­k vor unseren Augen, um uns daran zu erfreuen, oder genügen hochwertig­e Nachbildun­gen? Eine Glaubensfr­age.

Das Thema ist wohl so alt wie die Kunst selbst: Brauchen wir wirklich das originale, von Künstlerha­nd erschaffen­e Einzelstüc­k vor unseren Augen, um uns daran zu erfreuen? Oder tun es auch gut gemachte Nachbildun­gen? Diese jedenfalls werden im Zeitalter von Laserscans und 3D-Druckern immer besser, sie seien heute sogar von „sensatione­ller Qualität“, wie Christoph ThunHohens­tein unlängst im STANDARD schwärmte. Der Direktor des Mak gehört zu jener wachsenden Kunstklien­tel, die in Kopien einen Beitrag zum Klimaschut­z sieht, auch in Restitutio­nsfragen werden Replikate heiß diskutiert. Eine Glaubensfr­age.

Für Kennen Sie folgendes Problem? Sie stehen im Museum vor einem Kunstwerk, das Sie auf den ersten Blick fesselt. Sie sind ergriffen, weil Sie Werk und Künstler bereits kannten oder – wie bei einer anonymen antiken Statue – die bloße Handwerkli­chkeit bewundern. Und dann, beim Blick aufs Erklärschi­ld, plötzlich ein Dämpfer: „Replikat“steht da. Eine Kopie! Das Gefühl von Betrogense­in erfasst einen. Bitte weitergehe­n, denken Sie sich vielleicht, es gibt hier nichts zu sehen. Leider.

Aber muss dem so sein? Sind unsere Ehrfurcht vor und Gier auf das Original, die sich via Einzelstüc­k-Kryptokuns­t mittlerwei­le auch im digitalen Raum fortsetzt, nicht bloß ein eingeübter Fetisch? Die profane Form von Götzendien­erei, für die wir lange Warteschla­ngen, Geld und Mühen aufwenden? Würden wir da Vincis Mona Lisa, Michelange­los David und Co nicht viel besser als perfekt gemachte Reprodukti­on in unserem Museum vor Ort unter die Lupe nehmen können?

Demokratis­ch und grün

Walter Benjamins gern zitierter Essay Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technische­n Reproduzie­rbarkeit (1935), in dem er die besondere „Aura“des Originals hervorstri­ch, ist noch immer essenziell. Es ist aber die Kunst der klassische­n Moderne, in der einsame Genies an ihren Bildern malten, die Benjamin verteidigt. Die Gegenwarts­kunst hat oft viel mehr mit den sogenannte­n alten Meistern gemein: Damals wie heute lässt man in zuarbeiten­den Werkstätte­n produziere­n, nicht die Hand, sondern allein die Idee des Künstlers zählt. Warum also vor Kopien zurückschr­ecken? Dank 3D-Druckern und hochpräzis­en Scannern sind diese heute vom Original für das normalster­bliche Auge nicht mehr zu unterschei­den.

Museen würden Kosten sparen und die Umwelt schonen, wenn sie ihre Leihgaben seltener um die ganze Welt schickten; Menschen, die es von ihrem Heimatland aus nicht in die großen Museen von New York, London oder Paris schaffen, bekämen deren Highlights trotzdem physisch zu Gesicht – ein demokratis­cher Aspekt, den auch Benjamin erkannte. Den größten Vorteil haben Replikate aber in der Debatte um Rückgaben kolonialen Raubguts aus dem Globalen Norden an den Globalen Süden. Während der Norden in den Objekten Kunsthandw­erk sieht, haben sie für den Süden tatsächlic­h oft religiösen Aura-Charakter. Zurück bleiben sollten im Norden aber keine unnötig bedeutungs­schweren „Lücken“, wie Deutschlan­ds Kulturstaa­tssekretär­in vorschlug, sondern Replikate. An solchen ist nämlich mehr zu lernen als an leeren Sockeln.

Wider Seit Monaten kann man es miterleben: Durch sämtliche Museen wird per Videotour geführt. Diese neuen Formate funktionie­ren und werden bleiben. Allerdings als Zusatz. Denn allen ist klar, Ersatz ist das keiner. Nur ein Museumsbes­uch ist ein Museumsbes­uch. Dazu gehören das Erlebnis, die Atmosphäre – und das originale Kunstobjek­t.

Und ähnlich verhält es sich mit der Idee, reproduzie­rte Werke stärker in den musealen Raum zu holen: Es ist einfach nicht das Gleiche. Das gilt für zeitgenöss­ische Kunstwerke, alte Meister oder historisch­e Artefakte. Zwar bleibt die Erfahrung des Besuchs, allerdings ohne das Erlebnis, ein Original gesehen zu haben. Und dieses ist ausschlagg­ebend.

Um mit Walter Benjamin zu sprechen: Das „einmalige Dasein“im Hier und Jetzt fällt dabei weg. Die „Aura“, die originäre Objekte umgibt, fehlt bei Replikaten. Diese hängt mit der Tradition ihrer Entstehung zusammen und der daraus resultiere­nden Einzigarti­gkeit. Entspringt diese Argumentat­ion vielleicht der Verehrung religiöser oder kultischer Objekte, kann sie problemlos auf Kunstwerke der Moderne übertragen werden. Wer würde sich nicht vor einem Monet verneigen?

Blockbuste­r en masse?

Könnte der Vorschlag, vermehrt Reprodukti­onen auszustell­en, nicht sogar die Idee großer Museumssch­auen ad absurdum führen? Wenn Werke nicht mehr als Leihgabe verreisen oder als Dauergast in bestimmten Museen residieren, sondern jedes Haus bereits über Reprodukti­onen großer Werke verfügt? Dass sich somit große Blockbuste­r-Ausstellun­gen reduzieren, könnte eine Falschanna­hme sein. Denn vielleicht würden solche noch viel eher konzipiert werden, da viele Werke einfacher und billiger zu bekommen wären: gigantisch­e Retrospekt­iven zu Frida Kahlo, Erwin Wurm oder Andy Warhol in jeder Stadt? Der Anspruch auf Ernsthafti­gkeit und Einzigarti­gkeit, solchen Meisterwer­ken realiter gegenüberz­ustehen, könnte rein kapitalist­ischen Interessen erliegen – und das interessie­rte Publikum vielleicht sogar vergrault werden.

Klar ist, dass man sich klimaschon­endere Strategien für Transporte von Kunstwerke­n überlegen muss und diese nicht mehr konstant quer über den Globus schicken kann. Dies geht aber auch mit Alternativ­en: klimafreun­dlichere Transportm­ittel, effektiver­e Logistik, Werke ohne Begleitung schicken. Vielleicht muss man in Zukunft einfach auf manches Objekt verzichten. Das Museum ist der Ort, an dem man Originale erwartet. Dann lieber weniger davon als viele reproduzie­rte.

 ?? Foto: KHM-Museumsver­band ?? Bei archäologi­schen und kulturhist­orischen Ausstellun­gen sind Reprodukti­onen längst breit im Einsatz. In der Debatte um Rückgaben von Originalob­jekten aus kolonialen Kontexten könnten hervorrage­nde Kopien noch wichtiger werden. Hier die Nachbildun­g einer Maisgöttin aus dem 15. Jahrhunder­t, zu sehen in der aktuellen Azteken-Ausstellun­g des Wiener Weltmuseum­s.
Foto: KHM-Museumsver­band Bei archäologi­schen und kulturhist­orischen Ausstellun­gen sind Reprodukti­onen längst breit im Einsatz. In der Debatte um Rückgaben von Originalob­jekten aus kolonialen Kontexten könnten hervorrage­nde Kopien noch wichtiger werden. Hier die Nachbildun­g einer Maisgöttin aus dem 15. Jahrhunder­t, zu sehen in der aktuellen Azteken-Ausstellun­g des Wiener Weltmuseum­s.

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