Ein Stich für die Normalität
Von geimpften Personen geht weniger Infektionsrisiko aus. Sie sollten daher mehr dürfen als andere, so der Konsens von Regierung, Ethik und Recht – zumindest in Österreich. Dass dem nicht so ist, liegt vor allem an politischen Konflikten.
Eine halbe Million Menschen in Österreich haben mittlerweile den vollen Impfschutz: Sie können nicht an dem Coronavirus erkranken, dass sie es weitergeben, gilt als unwahrscheinlich. Anders gesagt: Sie sind nicht daran schuld, dass die Infektionszahlen nicht und nicht zurückgehen.
Und dennoch müssen sie sich an die Regeln halten, die auch für alle anderen gelten. Sie müssen die Ausgangssperren beachten, dürfen – je nach Bundesland – kaum Menschen treffen oder shoppen, nicht ins Theater, nicht ins Beisl. Ist das fair? Oder wäre es, umgekehrt, fair, wenn sie es dürften – wenn doch so viele auf eine Impfung warten und sie nicht bekommen, weil die Regierung sich verkalkuliert hat, als sie Impfdosen bestellte?
Die Debatte über Impfprivilegien hat sich hierzulande in den vergangenen Monaten mehrmals gedreht und beginnt schon bei dem Begriff an sich. Ist es ein Privileg, wenn man nicht mehr und nicht weniger als seine Grundrechte zurückbekommt? Nein, meint Christiane Druml. Sie ist die Vorsitzende der Bioethikkommission in Österreich und damit die oberste ethische Instanz, wenn es um derartige Fragen geht. „Wenn diese Gefahr weg ist, dann ist es kein Privileg, wenn wir uns mit Freunden treffen dürfen, um einen Kaffee zu trinken.
Es ist die Rückkehr in die Normalität“, sagte sie schon vor Monaten dem STANDARD.
Juristen pflichten ihr bei. Sie waren die Ersten, die in Österreich das Thema aufs Tapet brachten, für die meisten von ihnen ist die Sache klar: Grundrechte dürfen nur dann beschränkt werden, wenn es einen Grund dafür gibt. Und sobald man keine Gefahr mehr ist, fällt dieser Grund weg, argumentieren die Topjuristen des Landes.
Regierung schloss das lange aus ...
Nur: Zentrale Einschränkung ist die Frage, ob eine Impfung nur dafür sorgt, dass man die Krankheit nicht bekommt, oder ob sie auch bewirkt, dass man sie nicht weitergibt. Den einen Punkt, ab dem das klar war, gab es bisher nicht. Dieser Moment, in dem die Eilmeldungen um den Globus gehen, dass nun endlich Geimpfte wieder ein Stück Freiheit zurückbekommen, trat bisher nicht ein.
Wird er auch nicht. Die Belege dafür kommen stückweise, Puzzleteil für Puzzleteil. Mal ist es eine Primatenstudie, mal sind es Daten aus Zulassungsstudien der einzelnen Impfstoffe, mal sind es Ergebnisse des renommierten Robert-Koch-Instituts: Das Risiko einer Virusübertragung werden durch Impfung „in dem Maß reduziert, dass Geimpfte bei der Epidemiologie der Erkrankung keine wesentliche Rolle mehr spielen“, schreibt es.
Das hat mittlerweile auch die österreichische Regierung erkannt. Im Jänner kamen erstmals Signale, dass man über Freiheiten für Geimpfte nachdenke – eine bemerkenswerte Schubumkehr: Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) meinte noch im Winter, es seien keine Vergünstigungen für geimpfte Personen geplant.
... und entschied sich um
Mittlerweile liegen konkrete Pläne auf dem Tisch. Ein „grüner Pass“soll Geimpften viele Bereiche öffnen: Restaurants, Reisen, die Kultur und Sportereignisse – all das stellten Kurz und Anschober für diese Menschen in Aussicht.
Doch was ist mit jenen, die keine Impfung wollen, aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden können oder schlicht noch nicht dran waren? Die Bevölkerung hat in dieser Sache gemischte Gefühle: In einer aktuellen Umfrage im Auftrag des Kurier sind nur 51 Prozent dafür, dass Geimpfte früher von Einschränkungen befreit werden.
Der grüne Pass, so betont die Regierung, soll allerdings auch für Getestete und Genesene gelten. Bedenkt man, dass momentan täglich an die 60.000 Tests gemacht werden und in den letzten sechs Monaten fast 500.000 Menschen eine Infektion durchgemacht haben, so müssten – folgt man der Argumentation
aus Ethik, Juristerei und Politik – über eine Million Menschen in Österreich eigentlich wieder ein Leben wie früher führen.
Dass sie das nicht tun, liegt an politischer Uneinigkeit. Diese Gleichstellung war ausgerechnet Teil jenes umstrittenen Änderungspakets, das kürzlich vom Bundesrat um acht Wochen verzögert wurde. Die Kritik: Die Novelle hätte dem Gesundheitsminister nach Ansicht von Juristen und Opposition extrem weitreichende Befugnisse gegeben.
Der kündigte nun an, einzelne Punkte vorzuziehen, bisher war die Rede von den Zutrittstests für den Handel. Ob auch die Gleichstellung von Geimpften und Getesteten mit nach vorn rutschen soll, beantwortete das Ministerium dem STANDARD auf Anfrage nicht.
Allerdings steckt man ohnehin in einer Pattsituation. Mit der FPÖ ist da nicht zu rechnen, die SPÖ war bisher zwar eine Verfechterin der Zutrittstests, dafür aber gegen eine Bevorzugung von Geimpften. Die Neos wiederum fordern die Gleichstellung, sehen dafür Zutrittstests für den Handel skeptisch – mit einigen legistischen Abänderungen wäre eine pinke Zustimmung aber prinzipiell denkbar.
Nur: Mit den Stimmen der Neos wäre die Mehrheit im Bundesrat erneut extrem dünn. Dass einzelne Abgeordnete der Regierungsparteien krank waren, reichte aus, um die letzte Abstimmung zu kippen.