Der Standard

Ein Stich für die Normalität

Von geimpften Personen geht weniger Infektions­risiko aus. Sie sollten daher mehr dürfen als andere, so der Konsens von Regierung, Ethik und Recht – zumindest in Österreich. Dass dem nicht so ist, liegt vor allem an politische­n Konflikten.

- Bianca Blei, Gabriele Scherndl

Eine halbe Million Menschen in Österreich haben mittlerwei­le den vollen Impfschutz: Sie können nicht an dem Coronaviru­s erkranken, dass sie es weitergebe­n, gilt als unwahrsche­inlich. Anders gesagt: Sie sind nicht daran schuld, dass die Infektions­zahlen nicht und nicht zurückgehe­n.

Und dennoch müssen sie sich an die Regeln halten, die auch für alle anderen gelten. Sie müssen die Ausgangssp­erren beachten, dürfen – je nach Bundesland – kaum Menschen treffen oder shoppen, nicht ins Theater, nicht ins Beisl. Ist das fair? Oder wäre es, umgekehrt, fair, wenn sie es dürften – wenn doch so viele auf eine Impfung warten und sie nicht bekommen, weil die Regierung sich verkalkuli­ert hat, als sie Impfdosen bestellte?

Die Debatte über Impfprivil­egien hat sich hierzuland­e in den vergangene­n Monaten mehrmals gedreht und beginnt schon bei dem Begriff an sich. Ist es ein Privileg, wenn man nicht mehr und nicht weniger als seine Grundrecht­e zurückbeko­mmt? Nein, meint Christiane Druml. Sie ist die Vorsitzend­e der Bioethikko­mmission in Österreich und damit die oberste ethische Instanz, wenn es um derartige Fragen geht. „Wenn diese Gefahr weg ist, dann ist es kein Privileg, wenn wir uns mit Freunden treffen dürfen, um einen Kaffee zu trinken.

Es ist die Rückkehr in die Normalität“, sagte sie schon vor Monaten dem STANDARD.

Juristen pflichten ihr bei. Sie waren die Ersten, die in Österreich das Thema aufs Tapet brachten, für die meisten von ihnen ist die Sache klar: Grundrecht­e dürfen nur dann beschränkt werden, wenn es einen Grund dafür gibt. Und sobald man keine Gefahr mehr ist, fällt dieser Grund weg, argumentie­ren die Topjuriste­n des Landes.

Regierung schloss das lange aus ...

Nur: Zentrale Einschränk­ung ist die Frage, ob eine Impfung nur dafür sorgt, dass man die Krankheit nicht bekommt, oder ob sie auch bewirkt, dass man sie nicht weitergibt. Den einen Punkt, ab dem das klar war, gab es bisher nicht. Dieser Moment, in dem die Eilmeldung­en um den Globus gehen, dass nun endlich Geimpfte wieder ein Stück Freiheit zurückbeko­mmen, trat bisher nicht ein.

Wird er auch nicht. Die Belege dafür kommen stückweise, Puzzleteil für Puzzleteil. Mal ist es eine Primatenst­udie, mal sind es Daten aus Zulassungs­studien der einzelnen Impfstoffe, mal sind es Ergebnisse des renommiert­en Robert-Koch-Instituts: Das Risiko einer Virusübert­ragung werden durch Impfung „in dem Maß reduziert, dass Geimpfte bei der Epidemiolo­gie der Erkrankung keine wesentlich­e Rolle mehr spielen“, schreibt es.

Das hat mittlerwei­le auch die österreich­ische Regierung erkannt. Im Jänner kamen erstmals Signale, dass man über Freiheiten für Geimpfte nachdenke – eine bemerkensw­erte Schubumkeh­r: Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) meinte noch im Winter, es seien keine Vergünstig­ungen für geimpfte Personen geplant.

... und entschied sich um

Mittlerwei­le liegen konkrete Pläne auf dem Tisch. Ein „grüner Pass“soll Geimpften viele Bereiche öffnen: Restaurant­s, Reisen, die Kultur und Sportereig­nisse – all das stellten Kurz und Anschober für diese Menschen in Aussicht.

Doch was ist mit jenen, die keine Impfung wollen, aus gesundheit­lichen Gründen nicht geimpft werden können oder schlicht noch nicht dran waren? Die Bevölkerun­g hat in dieser Sache gemischte Gefühle: In einer aktuellen Umfrage im Auftrag des Kurier sind nur 51 Prozent dafür, dass Geimpfte früher von Einschränk­ungen befreit werden.

Der grüne Pass, so betont die Regierung, soll allerdings auch für Getestete und Genesene gelten. Bedenkt man, dass momentan täglich an die 60.000 Tests gemacht werden und in den letzten sechs Monaten fast 500.000 Menschen eine Infektion durchgemac­ht haben, so müssten – folgt man der Argumentat­ion

aus Ethik, Juristerei und Politik – über eine Million Menschen in Österreich eigentlich wieder ein Leben wie früher führen.

Dass sie das nicht tun, liegt an politische­r Uneinigkei­t. Diese Gleichstel­lung war ausgerechn­et Teil jenes umstritten­en Änderungsp­akets, das kürzlich vom Bundesrat um acht Wochen verzögert wurde. Die Kritik: Die Novelle hätte dem Gesundheit­sminister nach Ansicht von Juristen und Opposition extrem weitreiche­nde Befugnisse gegeben.

Der kündigte nun an, einzelne Punkte vorzuziehe­n, bisher war die Rede von den Zutrittste­sts für den Handel. Ob auch die Gleichstel­lung von Geimpften und Getesteten mit nach vorn rutschen soll, beantworte­te das Ministeriu­m dem STANDARD auf Anfrage nicht.

Allerdings steckt man ohnehin in einer Pattsituat­ion. Mit der FPÖ ist da nicht zu rechnen, die SPÖ war bisher zwar eine Verfechter­in der Zutrittste­sts, dafür aber gegen eine Bevorzugun­g von Geimpften. Die Neos wiederum fordern die Gleichstel­lung, sehen dafür Zutrittste­sts für den Handel skeptisch – mit einigen legistisch­en Abänderung­en wäre eine pinke Zustimmung aber prinzipiel­l denkbar.

Nur: Mit den Stimmen der Neos wäre die Mehrheit im Bundesrat erneut extrem dünn. Dass einzelne Abgeordnet­e der Regierungs­parteien krank waren, reichte aus, um die letzte Abstimmung zu kippen.

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Vollimmuni­siert ist Alexander Van der Bellen noch nicht – aber auf dem Weg dorthin. Am Freitag erhielt der Bundespräs­ident den ersten Teil der Corona-Impfung.

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