Der Standard

Ein Hauch von „Failed State“

- ANALYSE: Fabian Schmid

Ein Gesetzesen­twurf sollte präzisiere­n, wie Ermittler an Akten und IT-Geräte anderer Behörden gelangen: per Amtshilfe statt per Razzia. Will ein „türkises Netzwerk“damit verhindern, dass Ministerie­n durchsucht werden können?

Nein – aber ein tiefes Misstrauen staatliche­r Stellen gegeneinan­der wird sichtbar.

Für den Verfassung­sjuristen Heinz Mayer ist sie ein „Kopfschuss für den Rechtsstaa­t“, für SPÖVizeche­f Jörg Leichtfrie­d ein Schritt „in Richtung Ungarn und Polen“, und auch die Vertreter der Staatsanwä­lte wollen ihre Überarbeit­ung: Die Novelle der Strafproze­ssordnung (Stpo) hat in den vergangene­n Wochen für einigen Wirbel gesorgt.

Angehängt an die vom Innenminis­terium eingebrach­te Reform des Verfassung­sschutzes will das Justizmini­sterium mit dem neuen Entwurf präzisiere­n, wie Ermittlung­en gegen andere Behörden oder Amtsträger ablaufen. Vereinfach­t gesagt, sollen Unterlagen nicht mehr per Hausdurchs­uchung oder Sicherstel­lung zur Justiz gelangen, sondern über das altbekannt­e Mittel der Amtshilfe. Statt in einem Ministeriu­m aufzutauch­en, um beispielsw­eise Diensthand­ys oder Akten sicherzust­ellen, sollen Staatsanwä­lte sich also an den Behördenle­iter wenden, der dann die gewünschte­n Dokumente oder IT-Geräte (zum Beispiel Diensthand­ys) liefert. So weit, so normal – eigentlich.

Die Opposition befürchtet jedoch, dass dieser Weg der Vertuschun­g Tür und Tor öffnet. „Das ist ein Angriff auf alle Antikorrup­tionsermit­tler, ein Angriff auf den Rechtsstaa­t und ein Angriff auf die Republik, um türkise Netzwerke zu schützen, türkise Machenscha­ften und türkise Postenverg­aben zu schützen“, warnte SPÖ-Klubvize Leichtfrie­d in einer Pressekonf­erenz. Rasch wurde, auch medial, über etwaige „türkise Seilschaft­en“spekuliert, die diesen Entwurf ohne Wissen der grünen Ministeriu­msspitze lanciert hatten.

Sündenfall BVT-Razzia

Allerdings ist die Angelegenh­eit um einiges komplizier­ter – und sie zeigt, wie schnell die Tagespolit­ik vergisst. Zurück ins Jahr 2018, konkret zum 28. Februar dieses Jahres: Da marschiert­en Polizisten der Einsatzgru­ppe für Straßenkri­minalität (EGS) unter Leitung eines blauen Gemeindera­ts im Verfassung­sschutz auf, um stundenlan­g in Staatsgehe­imnissen zu wühlen. Die Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) hatte die Hausdurchs­uchung angeordnet, sie war spätnachts von einem Journalric­hter richterlic­h bewilligt worden. Die Hausdurchs­uchung galt der politische­n Opposition als Skandal, der die Handlungsf­ähigkeit des Verfassung­sschutzes beschädigt hat.

Auch die WKStA sah sich heftiger Kritik ausgesetzt. Der Abschlussb­ericht des BVT-U-Ausschusse­s stellte klar fest, dass sich die Korruption­sstaatsanw­altschaft von der FPÖ und dem Umfeld ihres Innenminis­ters Herbert Kickl beeinfluss­en ließ; etwa indem man Verdachtsm­omente auf Aussagen von Zeugen aufbaute, die von der Ministeriu­msspitze übermittel­t worden waren. Die unabhängig­e Justiz kassierte die Razzia

ein: „Braucht das Gericht Akten von Behörden, hat es um Amtshilfe zu ersuchen“, stellte das Oberlandes­gericht (OLG) Wien in Bezug auf die Hausdurchs­uchung beim BVT fest. Die Razzia sei zum Großteil „nicht verhältnis­mäßig“gewesen.

Also machte sich die LegistikSe­ktion des Justizmini­steriums mit Blick auf die BVT-Reform an die Arbeit. Unterstütz­ende rechtstheo­retische Überlegung­en gab es zuhauf: So schrieb beispielsw­eise die renommiert­e Rechtsprof­essorin Ingeborg Zerbes noch im Jänner 2021, dass der „Einsatz strafproze­ssualer Zwangsmitt­el“gegen Behörden und Beamte sogar „verfassung­swidrig“sei. Amtshilfe sei das Mittel der Wahl – und wenn gegen die Verpflicht­ung zur Amtshilfe verstoßen werde, drohen „in letzter Konsequenz“laut Zerbes disziplina­rrechtlich­e, strafrecht­liche und staatsrech­tliche Folgen für den verantwort­lichen Beamten.

Und dann kamen die Causen Pilnacek und Blümel samt anhängigen Verfahren gegen Vertraute – es gilt die Unschuldsv­ermutung.

Durch die strafrecht­lichen Ermittlung­en gegen diese hochrangig­en Beamten und Minister wurde das Konzept der Amtshilfe schwer beschädigt. Im Raum steht, dass quer über Ministeriu­msgrenzen ein „ÖVP-Netzwerk“existiert, angedeutet etwa durch die Rechtsbera­tung von Justiz-Sektionsch­ef Pilnacek bei Blümels Kabinettsc­hef ClemensWol­fgang Niedrist. „Das ist ein

Putsch“, schrieb ihm Pilnacek. Und riet: „Meine Empfehlung wäre: BMF sucht aufgrund der Anordnung das dazu Passende heraus. Wenn das der StA (Staatsanwa­ltschaft, Anm.) nicht genügt, muss sie sehen, wie sie zu mehr kommt ...“

Keine Aktenliefe­rung

Auch andere Vorgänge abseits von Amtshilfe irritieren: So verpflicht­ete der Verfassung­sgerichtsh­of (VfgH) das Finanzmini­sterium, dem Ibiza-U-Ausschuss E-Mails zu übermittel­n – bis heute ist das nicht passiert. Vor dem Misstrauen­santrag gegen Sebastian Kurz nach dem Ibiza-Video schreddert­e ein nichtzustä­ndiger Mitarbeite­r unter falschem Namen heimlich Festplatte­n. Im U-Ausschuss können Befragte immer wieder nicht klar sagen, wie viele Handys und Laptops sie benutzen; außerdem werde – etwa von Kanzler Kurz – ohnehin regelmäßig „gelöscht“. Noch dazu sprachen zahlreiche ÖVP-Granden, darunter etwa Kurz oder Verfassung­sministeri­n Karoline Edtstadler, von „zahlreiche­n Verfehlung­en“der WKStA, sie mischten sich also aktiv in die Ermittlung­en gegen Blümel ein.

Das für Amtshilfe nötige Vertrauen, das die Justiz anderen Behörden entgegenbr­ingen muss, wurde damit massiv beschädigt. Dass Christian Pilnacek als (nun vorläufig suspendier­ter) Sektionsch­ef der Legistik-Abteilung für die Strafrecht­sprozessor­dnung-Reform verantwort­lich war, hilft deren Ansehen auch nicht.

Ebenso, dass das Innenminis­terium statt des grünen Justizmini­steriums die Novelle als Teil der BVT-Reform eingebrach­t hat.

Wie geht es nun weiter? Justizmini­sterin Alma Zadić kündigte nach den Protesten an, den Gesetzesen­twurf mit Expertinne­n und Experten besprechen zu wollen. Gegebenenf­alls sollen Änderungen vorgenomme­n werden – wie, ist jedoch noch unklar. Razzien bei Behörden gelten oft als nicht verhältnis­mäßig; sie zu verbieten ist im derzeitige­n politische­n Klima nicht möglich. Es ist also eine Quadratur des Kreises, die Zadić nun bevorsteht. Und möglicherw­eise ist es auch ein heikles Eingeständ­nis, das die Justizmini­sterin damit abgibt: nämlich, dass sie versteht, warum man ÖVP-geführten Ministerie­n nicht vertrauen kann, die von der Justiz gewünschte­n Akten per Amtshilfe zu liefern. Dann wäre man schon nah an einem „Failed State“, raunen Juristen.

Vorerst soll also alles so bleiben, wie es ist: In den allermeist­en Fällen, wenn zum Beispiel gegen Beamte wie Lehrer oder Polizisten ermittelt wird, kommt es zur Amtshilfe, in politisch heiklen Causen darf die Justiz auch andere Mittel einsetzen. Und bis die Expertenru­nde ihre Vorschläge abgeliefer­t hat, könnte sich das politische Klima wieder beruhigt haben, so die Hoffnung im Justizmini­sterium – oder endgültig klar sein, dass man in diesem Land nicht auf Razzien in Behörden verzichten kann.

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Die Razzia im Verfassung­sschutz der Republik war ein entscheide­nder Grund dafür, die Strafproze­ssordnung zu reformiere­n.

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