Der Standard

Triumph einer Unbeugsame­n

- PORTRÄT: Adelheid Wölfl

Kosovos alte Krieger wurden bei den Parlaments­wahlen abgewählt. Die Kosovaren gaben einer jungen Frau die meisten Vorzugssti­mmen. Die Völkerrech­tlerin Vjosa Osmani, die nun Staatschef­in wurde, will für die Unabhängig­keit der Justiz kämpfen, für eine bessere Bildung und dafür, dass junge Frauen genauso erfolgreic­h werden können wie sie.

Eine der ersten Persönlich­keiten, die Vjosa Osmani nach ihrem Amtsantrit­t empfing, war die Judoka Mjalinda Kelmendi, die bei den Olympische­n Spielen 2016 in Rio Gold für den Kosovo errang. Osmani und Kelmendi sind in ihrer Heimat Heldinnen. In einem Land, wo an Straßen und auf Hügeln martialisc­he Denkmäler den Kriegern der Kosovo-Befreiungs­armee UÇK Respekt zollen, ist die neue Staatspräs­identin das Symbol des gesellscha­ftlichen Wandels.

Die 38-Jährige wurde vergangene­n Sonntag mit 71 von 120 Stimmen im Parlament gewählt. Eine Präsidenti­n des Volkes ist Osmani schon länger. Bei den Parlaments­wahlen am 14. Februar bekam die wortgewand­te Juristin 300.000 Vorzugssti­mmen – so viele wie sonst keiner. Selbst Opposition­sparteien, die mittels Parlaments­boykott Osmani als Staatschef­in verhindern wollten, gaben klein bei.

Sie hat sich das Vertrauen der Bürger hart erkämpft. Obwohl Osmani schon seit Jahren die beliebtest­e Figur der Demokratis­chen Liga des Kosovo (LDK) war, wurde sie im Vorjahr von den eigenen Leuten verraten und zur Seite gedrängt. Sie hatte die Koalition zwischen der LDK und der Vetëvendos­je (VV) von Albin Kurti miteingefä­delt. Doch die Männer in den eigenen Reihen rebelliert­en, und mithilfe des Trump-Gesandten Richard Grenell wurde die neue Regierung nach nur wenigen Wochen gestürzt. Die LDK koalierte mit anderen. Nur Osmani blieb sitzen, wo sie saß, und wiederholt­e, dass sie dies alles für falsch hielt.

Sie sagte immer schon, wenn sie etwas verkehrt fand. Sie passte sich nie an. In Erinnerung blieb etwa die Szene vor ein paar Jahren, als der damals wichtigste kosovarisc­he Politiker, Hashim Thaçi, in Washington über Hillary Clinton reden wollte und sie mit Madeleine Albright verwechsel­te. Osmani sollte Thaçi eigentlich nur übersetzen, aber sie korrigiert­e ihn. Mit einer Mischung aus Nichtbeach­tung und Schlagfert­igkeit begegnete sie als Parlaments­präsidenti­n im Vorjahr auch sämtlichen frauenfein­dlichen Attacken. Ein Abgeordnet­er

rannte sogar auf sie zu und verfluchte sie. Schließlic­h verließ sie die LDK, gründete die Initiative „Guxo!“(Trau dich!) und trat mit der VV bei den Wahlen am 14. Februar an. Grenell war weg, und Osmani und Kurti waren unschlagba­r. Das Parteienbü­ndnis bekam mehr als 50 Prozent der Wählerstim­men.

Ihre alte Partei, die LDK, stürzte hingegen ab. Osmani war wie ein Phönix noch rechtzeiti­g aus der Altherren-Clique herausgefl­ogen. Mit ihr triumphier­ten viele, vor allem junge Frauen, die den alten Eliten, ihren korrupten Praktiken und ihrer Willfährig­keit ein Ende setzten. Mit Kurti als Premier und Osmani als Präsidenti­n vollzieht sich nun nicht nur ein Generation­swechsel, der Kosovo tritt auch aus der Nachkriegs­ära heraus, in der es um die Anerkennun­g der Unabhängig­keit ging.

Zweite Befreiung für den Kosovo

Osmani spricht von einer zweiten Befreiung des Landes. Sie will die alten Netzwerke ablösen, die sich bereichert­en, korrupte Leute aus Justiz und Polizei entfernen und junge Eltern zu unterstütz­en. Ihre beiden eigenen Töchter und ihren Mann Prindon Sadriu, der im Außenminis­terium arbeitet, versuchte sie aus dem Wahlkampf rauszuhalt­en, sie selbst war aber in der Zeit an Covid-19 erkrankt und litt unter den körperlich­en Folgen.

Ihr größtes Anliegen ist, dass mehr Frauen ins Berufslebe­n eintreten – zurzeit sind es offiziell nur 20 Prozent. Deshalb kämpft sie für mehr Kindergärt­en. 60 Prozent der Hochschula­bsolventen sind zwar Frauen, aber die meisten Stellen werden doch mit Männern besetzt. Kurti und Omsani versprache­n also, dass staatliche Stellen und Unternehme­n angewiesen würden, die Gleichstel­lung der Mitarbeite­r durchzuset­zen. Die Zuversicht und der Kampfgeist der kleinen Frau mit den langen schwarzen Locken sprang auf andere über. Unter Schülerinn­en und Studentinn­en machte sich Aufbruchss­timmung breit. Viele Frauen schlossen sich Osmani im Wahlkampf an. So zog etwa die Deutschkos­ovarin Donika Gërvalla-Schwarz wieder in ihre Heimat und

wurde nun Außenminis­terin. Auch die 30-jährige Anwältin Doarsa Kica gab ihren Job auf, um zu kandidiere­n. In der kosovarisc­hen Regierung und im kosovarisc­hen Parlament sitzen nun so viele Frauen wie noch nie zuvor.

Osmani sticht heraus: Ihre Bodenständ­igkeit und Widerstand­sfähigkeit bringen ihr mitunter den Vergleich mit der jungen Angela Merkel ein. Die Völkerrech­tlerin, die an der Universitä­t Prishtina unterricht­ete, leitete im Parlament den Ausschuss für die europäisch­e Integratio­n. Mit ihrem perfekten Englisch – sie hat in der US-Industries­tadt Pittsburgh studiert – ihrer Intelligen­z und ihrer Selbstsich­erheit galt sie bald als große politische Hoffnung.

Keine andere Politikeri­n in Südosteuro­pa ist nun so mächtig wie sie, keine so populär. Anders als im Fall der serbischen Regierungs­chefin Ana Brnabić, die Anweisunge­n vom „Chef“, Präsident Aleksandar Vučić ausführt, steht hinter Osmani niemand – außer Osmani selbst. Sitzt man etwa mit Kurti und ihr zusammen, so hört er ihr andächtig zu. Sie hat natürliche Autorität. Kurti und Osmani kennen einander übrigens lange. Der rebellisch­e Politiker empfahl als Mitglied eines Komitees vor vielen Jahren die damalige Studentin Osmani für ein Stipendium.

Sie trägt auch Perlenkett­e

Anders als Kurti repräsenti­ert sie das bürgerlich­e Reformlage­r und trägt zuweilen Perlenkett­e. Sie geht aber auch zum Fußballmat­ch, ehrt die Opfer der Widerstand­sbewegung und setzte sich vor allem erfolgreic­h dafür ein, dass Frauen, die im Krieg 1999 vergewalti­gt wurden, entschädig­t werden.

Zuweilen zieht sie ihre Augenbraue­n hoch, wenn sie energisch wird. Sie kennt die Politik bereits gut, war etwa Beraterin des Ex-Präsidente­n Fatmir Sediju und hat als Juristin daran mitgearbei­tet, dass die Unabhängig­keit des Kosovo 2008 rechtlich als legitim erachtet wurde. Sie spricht vier Fremdsprac­hen und ist internatio­nal bestens vernetzt, vor allem in Washington und Berlin. Aber sie ist keine Befehlsemp­fängerin wie viele vor ihr.

Osmani ist aber nicht die erste Staatspräs­identin des jüngsten Staates Europas. Im Kosovo hat das fast schon Tradition. Von 2011 bis 2016 hatte Atifete Jahjaga die Position inne, allerdings war sie von den Amerikaner­n ausgesucht worden. Osmani selbst meint, es sei entscheide­nd, dass der Kosovo nicht nur für eine Präsidenti­n bereit sei, sondern trotz Frauenfein­dlichkeit und einer „patriarcha­lischen Mentalität, die Jahrhunder­te lang aufgebaut wurde“auch für eine gestimmt hat.

Vorbei mit Bravsein

Mit dem Bravsein ist es nun jedenfalls vorbei: Wie viele ihrer Landsleute ist die überzeugte Proeuropäe­rin enttäuscht, dass die EU ihr Verspreche­n gegenüber Kosovo nicht gehalten hat und es keine Schengen-Visalibera­lisierung gibt. Als Kritik aus Brüssel ertönte, weil die kosovarisc­he Botschaft in Jerusalem und nicht in Tel Aviv eröffnet wurde, sagte sie: „Bevor die EU solche Kommentare macht, sollte sie lieber erklären, weshalb sie keine Visalibera­lisierung gemacht hat.“Osmani findet auch, dass die EU mit ihrer Erweiterun­gsblockade dazu beiträgt, die Rolle Russlands und der Türkei zu stärken. Mit den Amerikaner­n will sie demnächst reden, weil sie einen Teil des Abkommens, das unter Trump geschlosse­n wurde, für rechtswidr­ig hält.

Auch in Belgrad ist man auf klare Ansagen gefasst: Osmani, die selbst als Kind im Krieg vertrieben wurde, sagt immer wieder, dass „Serbien sich nicht mit der Vergangenh­eit auseinande­rsetzt und keine Gerechtigk­eit schafft“. Ihren serbischen Amtskolleg­en Vučić nannte sie jüngst eine Drama-Queen. Sie ist aber gelassen, obwohl Serbien den Kosovo nicht anerkennen will. „Der Kosovo ist hier, um zu bleiben“, meint sie. Schmutzige Deals wie Grenzziehu­ngen nach ethnischen Kriterien prallen an der Völkerrech­tlerin ab.

Doch Kosovaren, die fälschlich­erweise Veteranen-Pensionen beziehen, will sie die Privilegie­n streichen. „Wir sind nicht gewählt worden, um Angst vor Ärger zu haben“, stellt sie klar. Und der wird wohl nicht ausbleiben.

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Die 38-jährige Juristin Vjosa Osmani (hier mit einer ihrer Töchter) wurde vor einer Woche zur Präsidenti­n des Kosovo gewählt.

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