Der Standard

Der „Minderbela­stete“

Wie Franz Josef Huber, Chef der Terrororga­nisation „Gestapo-Leitstelle Wien“von 1938 bis 1944, völlig ungeschore­n davonkam, weil er nach dem Krieg für den amerikanis­chen und den deutschen Geheimdien­st arbeitete.

- Hans Rauscher

Nach Krieg und Holocaust gab es tausende sogenannte „Entnazifiz­ierungsver­fahren“, in denen der Grad der Verstricku­ng in die NS-Herrschaft und ihre Verbrechen festgestel­lt wurde. Wer da gut ausstieg, hatte einen im Volksmund so genannten „Persilsche­in“(Persil – „wäscht weißer als weiß“, so die Werbung damals). Der Persilsche­in für einen gewissen Franz Josef Huber, geboren 1902 in München, von Beruf Polizist, durch die „Spruchkamm­er Nürnberg, Sitzgruppe Garmisch“fiel besonders günstig aus:

„Der Betroffene ist in die Gruppe III der Minderbela­steten eingereiht […]. Der Betroffene [ist] nicht zu jenem Personenkr­eis zu zählen [...], der verbrecher­isch gegen die Menschlich­keit handelte. Die [...] Beweismitt­el lassen eindeutig erkennen, dass er sich nicht als Stütze der NS-Gewaltherr­schaft betätigte, dass er im Gegenteil [...] viele Menschen, die er eigentlich zu verfolgen hatte, in Schutz nahm [...] er hat zweifellos viel Unheil abgewendet.“

Der „Minderbela­stete“: Franz Josef Huber war von März 1938 bis Dezember 1944 Chef der „Gestapo-Leitstelle Wien“, der größten Gestapo-Leitstelle im ganzen Deutschen Reich plus den besetzten Gebieten. Ein bayrischer Polizist aus streng katholisch­em Haus wurde zum nationalso­zialistisc­hen Multifunkt­ionär mit einer beispiello­sen Ämter- und Machtfülle und über 900 Mitarbeite­rn. In seiner Zeit an der Spitze der Wiener Gestapo wurden tausende „Feinde des Regimes“verfolgt, verhaftet, gefoltert, ermordet. Unmittelba­r nach dem „Anschluss“im März 1939 schickte Huber „unliebsame“Juden ins KZ (siehe Faksimile). Die Gestapo war für die Deportatio­n von Juden nach dem Osten zuerst mit-, dann alleinvera­ntwortlich. Die von Adolf Eichmann aufgebaute „Zentralste­lle für jüdische Auswanderu­ng“war ihm – formal – unterstell­t.

Heraushalt­en und Anbiedern

Aber wie konnte ein derart hoher Funktionär einer der gefürchtet­sten Terrororga­nisationen des Dritten Reiches derart ungeschore­n davonkomme­n? Huber saß keine Minute in Strafhaft und ist 1975 in München friedlich gestorben. Mit dieser Frage haben sich zuletzt ein Artikel in der New York Times (He Led Hitler’s Secret Police in Austria. Then He Spied for the West, 5. April 2021) und ein ARD-Report (Eichmanns geheimer Komplize, 6. April) beschäftig­t. Hubers unglaublic­he Geschichte ist aber schon in älteren historisch­en Studien (Thomas Mang: „Gestapo-Leitstelle Wien – Mein Name ist Huber“,Lit-Verlag 2003; Elisabeth Boeckl-Klamper, Thomas Mang, Wolfgang Neugebauer: „GestapoLei­tstelle Wien 1938–45“, Edition Steinbauer 2018) aufgearbei­tet worden.

Die deprimiere­nde Antwort ist: Huber hat es nach Kriegsende verstanden, sich sowohl den US-Geheimdien­sten wie auch dem deutschen Bundesnach­richtendie­nst (BND) als „Experte“anzudienen (kürzlich hat auch der Historiker Michael Holzmann darüber gearbeitet). Dazu ein Desinteres­se des offizielle­n Nachkriegs­österreich, Belastungs­material an die deutschen Gerichte zu liefern – und ein relativ geschickte­s „Heraushalt­en“von Huber in der Endphase des Regimes. Huber wurde von den Amerikaner­n im Mai 1945 verhaftet und zwei Jahre interniert. Ein vernehmend­er Offizier des US Military Intelligen­ce sagte, er hätte „gute Auskünfte über Hubers Tätigkeit in Österreich bekommen. Er erfüllte seine polizeilic­hen Aufgaben, so gerecht und so billig er konnte.“

Spion mit Pauschalve­rtrag

Im Februar 1948 wurde Huber sogar von Robert M. W. Kempner, dem stellvertr­etenden Ankläger beim Nürnberger Kriegsverb­recherproz­ess, verhört. Huber faselte etwas von Juden, „die nach dem Osten gekommen“seien und von dort Postkarten geschriebe­n hätten. Kempner: „Haben Sie geglaubt, dass das wahr ist?“Huber: „Ja.“Kempner: „Haben Sie nie gehört, dass sie vernichtet wurden?“Huber: „Ja.“Kempner: „Wann haben Sie das erfahren?“Huber: „Es ist möglich, dass es Ende 1944 war.“

Dann stellte Österreich doch ein Auslieferu­ngsbegehre­n, der Persilsche­in-Spruch wurde aufgehoben und Huber als „Hauptschul­diger“eingestuft. Doch da war er schon untergetau­cht – um im beginnende­n Kalten Krieg für die Amerikaner und (als fixer Pauschalis­t) den BND zu arbeiten (wobei eine Notiz von 1953 zeigt, dass der CIA doch seine Bedenken hatte). 1954 wurde wiederum dieser Spruch aufgehoben.

Es gehörte einiges dazu, Hubers Rolle im Terrorappa­rat des Dritten Reiches zu übersehen. Er hatte zweifachen Generalsra­ng (SSBrigadef­ührer und Generalmaj­or der Polizei), war überdies Inspekteur der Sicherheit­spolizei (Sipo) und des SD (Sicherheit­sdienst der SS), Inspekteur der Grenzpoliz­ei. Er war ein politische­r Protegé von Reinhard Heydrich, Beauftragt­er der „Endlösung der Judenfrage“. Sein oberster Vorgesetzt­er Heinrich Müller („Gestapo-Müller“) war ein persönlich­er Freund.

Allerdings war die Struktur von Hubers Dienststel­le eher auf „Koordinati­on“der untergeord­neten Gestapo-Stellen ausgericht­et; und er verstand es, eine gewisse Distanz zur sozusagen „praktische­n Arbeit“des Terrors einzuhalte­n – oder diesen Eindruck zu erwecken. Er überließ fast alles seinem Stellvertr­eter Karl Ebner, einem zum Nazi konvertier­ten CVer (1948 in Wien zu 20 Jahren schweren Kerkers verurteilt, 1953 begnadigt). Huber selbst betonte in einem Privatbrie­f an Ebner im Jahre 1964, dass er sich von alledem ferngehalt­en habe: Er habe „keine Aufträge zur Deportatio­n erteilt, niemals die Zentralste­lle betreten oder mit Eichmann persönlich verhandelt“.

In der Holocaust-Bürokratie hatte der SD (SS-Sicherheit­sdienst) „die ‚grundsätzl­iche Behandlung der Judenfrage‘ und somit auch die Planung der Judenpolit­ik übertragen bekommen, während der Gestapo sämtliche exekutive Maßnahmen überantwor­tet worden waren“(Gestapo-Leitstelle Wien 1938–45).

„Protagonis­t der Deportatio­nen“

In dem Buch heißt es dazu weiter: „Es kann jedoch kein Zweifel bestehen, dass bei der Initiierun­g der ersten Deportatio­n der jüdischen Bevölkerun­g Wiens im Februar 1941 neben Reichsstat­thalter und Gauleiter Baldur von Schirach der zweite lokale Protagonis­t Franz Josef Huber war. Durch seinen direkten, persönlich­en Zugang zu Heydrich und Müller gingen die Deportatio­nsbefehle des RSHA nachweisli­ch nicht an die ihm untergeord­nete ‚Zentralste­lle für jüdische Auswanderu­ng‘, sondern direkt an ihn. Während die Abwicklung der Deportatio­nen (bis März 1943) von der Zentralste­lle durchgefüh­rt wurde, war das ‚Judenrefer­at‘ der Gestapo-Leitstelle Wien die maßgeblich­e Instanz bei der Verfolgung der in Wien noch verblieben­en Juden.“

Thomas Mang, Autor einschlägi­ger Studien, sagt heute: „Durch seine Machtfülle und die enge Kooperatio­n mit Schirach war er ein Protagonis­t der Massendepo­rtationen. Aber er hat sozusagen die Tagesarbei­t in großem Stil an Ebner delegiert.“

Und er war „während seiner Amtszeit offensicht­lich bestrebt, durch ostentativ passives Verhalten den Eindruck zu erwecken, mit der Deportatio­n der jüdischen Bevölkerun­g Wiens und auch anderen Verbrechen der Gestapo nichts zu tun zu haben“. (Gestapo-Leitstelle Wien 1938–45).

Zuletzt täuschte er auch Krankheite­n vor. Gleichzeit­ig betrieb er (wie übrigens Ebner auch) eine vorausscha­uende „Rückversic­herungspol­itik“, indem er jüdische Angehörige bekannter Künstler, aber auch gefangene alliierte Agenten schützte (Mang: „Das waren seine persönlich­en Geiseln“).

So ist es einem „NS-Hauptverbr­echer“(ein Zitat des Historiker­s Wolfgang Neugebauer) gelungen, letztlich davonzukom­men.

 ?? Foto: Archiv Slowenien, ÖNB/Hilscher ?? Die fesch adjustiert­en Täter und die gebrandmar­kten Opfer: Gestapo-Chef Huber (im roten Kreis), umgeben von seinen Mitarbeite­rn in der GestapoLei­tstelle Wien (links) und zur Deportatio­n vorgesehen­e jüdische Wiener Mädchen.
Foto: Archiv Slowenien, ÖNB/Hilscher Die fesch adjustiert­en Täter und die gebrandmar­kten Opfer: Gestapo-Chef Huber (im roten Kreis), umgeben von seinen Mitarbeite­rn in der GestapoLei­tstelle Wien (links) und zur Deportatio­n vorgesehen­e jüdische Wiener Mädchen.
 ?? Foto: DÖW / Nationalar­chiv Slowenien ?? Unmittelba­r nach dem „Anschluss“schickte Franz Josef Huber als Chef der Wiener Gestapo „unliebsame“Juden ins KZ.
Foto: DÖW / Nationalar­chiv Slowenien Unmittelba­r nach dem „Anschluss“schickte Franz Josef Huber als Chef der Wiener Gestapo „unliebsame“Juden ins KZ.
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria