Der Standard

Zärtliche Cousine und politische­r Niedergang

Daniel Wisser hat ein Buch über einen Mann geschriebe­n, der mit vielem abschließt, nur nicht mit einer verbotenen Liebe.

- Mia Eidlhuber

Es beginnt mit einer Option auf eine Caroline mit C, so könnte das Kind heißen, das noch nicht einmal erfolgreic­h gezeugt wurde, aber da haben die gewaltig komplizier­ten Umstände einer Kinderwuns­chbehandlu­ng die Beziehung zwischen Iris (44) und Victor (47) schon ganz und gar unmöglich gemacht. Dann geht im neuen Roman vom Österreich­ischen-Buchpreis-Gewinner (2018) Daniel Wisser alles ganz schnell, vor allem der Protagonis­t aus seiner Wohnung und ehelichen Beziehung, und gleich kommt Karoline oder auch Karo mit K ins Spiel und verändert das gesamte Leben von Victor Jarno. Das durch und durch österreich­ische Romansetti­ng von

Wir bleiben noch hat durchaus hohes

Identifika­tionspoten­zial: Victors bisschen tristes 40+-Leben in Wien, sein Frust mit der Welt, das 99. Geburtstag­sfest seiner Urli, die mit Pflegerin Ariana in einem kleinen Haus auf dem niederöste­rreichisch­en Land lebt, die weitere Familienba­nde, die sich über die Jahrzehnte politisch gespalten hat, in Victor und Urli, die scheinbar letzten standhafte­n Sozialdemo­kraten in der Familie, und in jene, die jetzt ganz offen einem Mitte-rechts-Lager zuzurechne­n sind. Eine weitere Ausnahme: die schöne Karoline, Victors Cousine, eine Ärztin, die gerade frisch zurück aus Norwegen ist, wo sie länger gelebt hat, aber eigentlich immer schon Victors heimliche Liebe war. Die beiden, so viel wird verraten, werden ein Paar

– übrigens nach zahllosen, teilweise lustigen SMS-Konversati­onen, inklusive Verwendung zahlreiche­r Emojis (die aber derzeit, das nur nebenbei bemerkt, durch die aktuelle, korrupte, österreich­ische Politlands­chaft endgültig in Verruf geraten sind). So engagiert dieser Victor in Liebessach­en mit Karoline ist, so erfolgreic­h scheint er sich aber etwa der Familien-Chatgruppe zu verweigern. Verweigeru­ng und Rückzug sind überhaupt die Stichworte für diesen, ja was eigentlich, Politik-, Familien-, Liebesroma­n? Es geht um österreich­ische Politikges­chichte, Generation­ensprünge, familiäre Geheimniss­e und Erbstreite­reien, um einen kulturpess­imistische­n Umgang mit der Jetztzeit, und obwohl es ein Prä-Covid-19-Roman ist, um die Verfassthe­it einer haarsträub­end unkritisch­en Konsumgese­llschaft, die an allen Ecken und Ende ansteht.

Die Urli stirbt, Victor erbt das Haus, er und Karoline ziehen, gegen den Widerstand der restlichen Familie, ein und sich zurück aus dem urbanen Treiben. Dem Roman Wir

bleiben noch geht es bei alldem vielleicht ein bisschen wie seinem Antihelden Victor. Er interessie­rt sich abgesehen von seiner neuen Liebe zu seiner altbekannt­en Cousine für nicht mehr viel, nur noch für Lesen. In einem Brief gegen Ende schreibt Karoline, jetzt Landärztin mit eigener Praxis, dem Hausmann Victor in einem Brief: „Wenn wir uns jetzt zurückzieh­en, geben wir der Bösartigke­it der Welt, der Gemeinheit meiner Mutter, der Lächerlich­keit der Politik nur noch mehr Bedeutung. Wenn du dich aufgibst, Victor, ist das noch schlimmer, als wenn du weggehst.“Das ist möglicherw­eise aber schon passiert. Flüssiger Lesestoff ist das Buch allemal, wer Wissers Königin der

Berge, seinen rasend komischen Roman über einen Schwerkran­ken, der sterben will, gelesen hat, wird möglicherw­eise ein bisschen enttäuscht sein: Zwinkersmi­ley.

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„Wir bleiben noch“. € 22,90 / 478 Seiten. Luchterhan­d-Verlag, 2021
Daniel Wisser, „Wir bleiben noch“. € 22,90 / 478 Seiten. Luchterhan­d-Verlag, 2021

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