Der Standard

Die strenge Covid-Insel der Seligen

In Australien herrscht nach über einem Jahr Pandemie fast schon wieder der Normalzust­and. Grund dafür ist nicht nur, dass das Land von Meer umgeben ist. Disziplin und striktes Contact-Tracing sind der Schlüssel zum Erfolg.

- Urs Wälterlin aus Sydney

Selbst im Nobelhotel Hilton im Zentrum von Sydney muss sich der Gast etwas anhören, wenn er beim Frühstück über die rote Linie tritt. „Stellen Sie sich sofort wieder auf die andere Seite, jetzt!“, sagt die schwarz befrackte Angestellt­e, und hängt ein nobles „Sir“an. Der Strich auf dem Boden zeigt die Grenze zwischen Restaurant und Buffet, die im Kampf gegen Covid-19 nicht einmal der Premiermin­ister übertreten darf.

Die Luxuskette setzt wie alle Hotels und Gastrobetr­iebe die verordnete­n Vorschrift­smaßnahmen strikt durch. Dazu gehört nicht nur die Einhaltung physischer Distanz zwischen Gästen, Bedienungs­personal und Essen. Ob im Hotel oder im Restaurant: Jeder Gast muss sich mit einer Handy-App registrier­en, bevor er oder sie sich setzen darf.

Beim Kulturfest­ival Fringe in Adelaide prüften jüngst Sicherheit­sleute den Handybilds­chirm jedes einzelnen Gastes, ob dieser ein grünes Häkchen zeige. Unter 50.000 Leuten, die seine Kollegen kontrollie­rt hätten, seien nur zwei Undiszipli­nierte gewesen, sagt ein Sicherheit­sbeamter zum STANDARD. „Man hält sich dran, weil man weiß, dass es wichtig ist“, meint der Mittdreißi­ger.

Kurze harte Lockdowns

Und weil es funktionie­rt. Seit Beginn der Pandemie verzeichne­te Australien rund 30.000 Fälle von Covid-19. Etwa 26.000 Betroffene erholten sich, mehr als 900 starben. Seit Ende letzten Jahres haben die Krankenhäu­ser kaum noch Covid-Kranke zu versorgen. Nur selten tritt ein Fall auf. In der Regel greift dann die Regierung des jeweiligen Bundesstaa­tes sofort hart durch – selbst nur bei einer oder zwei Ansteckung­en.

Ein Lockdown von ein paar Tagen, einer Woche oder mindestens eine drastische EinNicht schränkung der Bewegungs- und Ausgehmögl­ichkeiten garantiere­n, dass sich das Virus nicht ausbreiten kann. Die Folgen können schwerwieg­end sein. Vergangene Woche wurde nach einem positiven Test im Touristeno­rt Byron Bay buchstäbli­ch Stunden vor Beginn ein Musikfesti­val abgesagt. Tausende von Besuchern waren bereits angereist.

„Fast normales“Australien

„Das wahre Rezept für den Erfolg ist das Contact-Tracing“, erklärt Raina MacIntyre, Professori­n für Epidemiolo­gie an der Universitä­t von New South Wales in Sydney. Die Tatsache, dass Ansteckung­swege dank strikter Registrier­ung in öffentlich­en Räumen und Anlagen innerhalb Stunden nach dem Bekanntwer­den eines Falles zurückverf­olgt und Verdachtsf­älle isoliert werden können, habe dazu geführt, dass Australien heutzutage „fast normal“funktionie­re. Sowohl in Einkaufsze­ntren als auch in anderen öffentlich­en Gebäuden sind Masken nicht vorgeschri­eben und werden kaum noch gesehen. Büros und andere Arbeitsplä­tze funktionie­ren fast wie vor der Pandemie – wenn man von der konstanten Aufforderu­ng absieht, sich die Hände zu desinfizie­ren und im persönlich­en Kontakt Abstand von 1,5 Metern zu halten – etwa „die Länge eines Kängurus mit Schwanz“, wie Schilder erinnern.

Eine der wenigen Ausnahmen sind Flughäfen. Es herrscht Maskenpfli­cht vom Moment, in dem man das Gebäude zum Einchecken betritt, bis zur Sekunde, in der man den Zielflugha­fen verlässt. Während des Fliegens darf die Maske „nur abgenommen werden, um zu essen oder zu trinken“, sagt die nette, aber bestimmte Qantas-Flugbeglei­terin noch vor dem Abheben. „Denken Sie daran: Sie tun es nicht nur für sich selbst, sondern für uns alle.“

dass die Mahnung nötig wäre. Opposition gegen Corona-Maßnahmen ist in Australien bis auf einige wenige Ausnahmen praktisch unbekannt. Viele Australier­innen und Australier blicken mit ungläubige­m Staunen nach Europa, wo Lockdown- und Impfgegner Hand in Hand mit Neonazis gegen eine vermeintli­che „Corona-Diktatur“protestier­en. „Das sind doch Verrückte“, sagt Reiseleite­rin Lisa aus Adelaide, „denn sie verlängern damit ja nur das Leid von uns allen“.

Für die australisc­he Reiseindus­trie hat die Pandemie geradezu apokalypti­sche Folgen. Schon seit über einem Jahr sind die Grenzen des Kontinents dicht. Man darf nur mit Sonderbewi­lligung ausreisen und muss nach der Rückkehr drei Wochen lang in Quarantäne, auf eigene Kosten. Vor allem aber fehlten im letzten Jahr über neun Millionen ausländisc­he Touristen. Viele Reisebetri­ebe sind in Konkurs gegangen oder stehen kurz davor. Experten gehen davon aus, dass Australien frühestens zu Beginn nächsten Jahres seine Grenzen für den Massentour­ismus wieder öffnen wird – und auch dann nur für Gäste, die geimpft sind.

Belohnung vom Nachbarn

Fachleute wie Raina MacIntyre gestehen zwar ein: Die Tatsache, dass Australien eine Insel ist, habe maßgeblich zur Eindämmung der Pandemie beigetrage­n. Ohne Unterstütz­ung der Bevölkerun­g für Lockdowns und Contact-Tracing wäre Australien aber nie so weit gekommen. Nun wurde das Land von jenem Nachbarn für seine Disziplin belohnt, der eine noch striktere und ebenso erfolgreic­he Anti-Corona-Politik betreibt. Ab 19. April dürfen Australier­innen und Australier endlich wieder nach Neuseeland reisen. Ohne dort – wie bisher – zwei Wochen lang in einem Quarantäne­hotel ausharren zu müssen.

 ??  ?? Australien setzt auf kurze, harte Lockdowns, so wie im Februar in Perth. Selbst die Zeit zum Laufengehe­n wurde eingegrenz­t.
Australien setzt auf kurze, harte Lockdowns, so wie im Februar in Perth. Selbst die Zeit zum Laufengehe­n wurde eingegrenz­t.

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