Der Standard

„Weniger Sinnstiftu­ng, mehr Denkstiftu­ng“

Der deutsche Historiker Gorch Pieken prägte zehn Jahre lang die Neuausrich­tung des Militärhis­torischen Museums in Dresden. Es gilt als ein Vorbild für die Erneuerung des Heeresgesc­hichtliche­n in Wien.

- INTERVIEW: Stefan Weiss GORCH PIEKEN

Im angestoßen­en Erneuerung­sprozess für das Heeresgesc­hichtliche Museum (HGM) wird ein mögliches Vorbild häufig genannt: das im Jahr 2011 inhaltlich wie architekto­nisch neu aufgestell­te Militärhis­torische Museum der Bundeswehr in Dresden (MHM).

Als Projektlei­ter zwischen 2006 und 2011 sowie danach als Direktor bis 2017 war der Historiker Gorch Pieken wissenscha­ftlich für das MHM verantwort­lich. Nun war er Mitglied in der elfköpfige­n Expertenko­mmission, die das HGM unter die Lupe nahm. Der Bericht der Kommission sieht große Mängel im HGM: Unkritisch­e Habsburg-Verklärung, Militärges­chichte aus der Perspektiv­e des Feldherren­hügels und wissenscha­ftlich aus der Zeit gefallen, lautete der Befund.

STANDARD: Muss das HGM in Wien völlig neu gedacht werden?

Pieken: Nichts ist von Dauer in der Geschichte, und das gilt auch für historisch­e Dauerausst­ellungen. Daher ist es nicht verwunderl­ich, dass Ausstellun­gsbereiche, die fünfzehn oder fünfunddre­ißig oder im Kern gar fünfundsec­hzig Jahre alt sind, nicht immer dem aktuellen Forschungs­stand entspreche­n. Das gilt auch für die Publikumsa­nsprache, die noch vor zehn Jahren eine andere war als heute.

Das HGM ist ein Schatzhaus mit Strahlkraf­t selbst über Europa hinaus. Aber gerade darin besteht auch eine Herausford­erung für die Museumslei­tung. Bei aller Faszinatio­n, die von den Exponaten ausgeht, muss bedacht werden, dass sie nur zu denjenigen sprechen, die ihre „Sprache“beherrsche­n. Gegenüber Menschen ohne Fachwissen „schweigen“die Objekte. Und wen die Aura des Exponats nicht affiziert, wer von Ausstellun­gen auch Erklärunge­n und Orientieru­ng erwartet, der wird sich ebenfalls nicht angesproch­en fühlen.

STANDARD: Angesproch­en fühlten sich bislang sehr wohl Rechtsextr­eme, Monarchist­en, Militarist­en. Wer für alle offen ist, ist nicht ganz dicht, oder? Pieken: Ein und dieselbe Ausstellun­g kann von verschiede­nen Besuchern ganz unterschie­dlich wahrgenomm­en werden. Unstrittig sollte aber sein, dass ein Museum zum einen Orientieru­ng gibt und auch Positionen vertritt, zum anderen aber Geschichte und Traditione­n als Diskussion­sfelder öffnet. Es soll ein Ort eines demokratis­chen Austauschs und von Debatten sein.

STANDARD: Militärmus­een dienen aber nach wie vor in vielen Staaten der patriotisc­hen Erbauung. Bis zu welchem Grad darf das noch Platz haben? Pieken: Ein Militärmus­eum gerade im Organisati­onsbereich eines Verteidigu­ngsministe­riums ist ein Ort, Traditione­n aufzuzeige­n und auch Brüche in diesen Traditione­n zu thematisie­ren. Es kann kein vereinheit­lichtes nationales Geschichts­bild verordnet oder überhaupt für wünschensw­ert erklärt werden. Militärges­chichte ist komplizier­t und ein umstritten­es Feld – und von positiven und negativen Mythen durchzogen. Museen sind als Foren denkbar, auf denen sehr verschiede­ne Positionen miteinande­r argumentie­ren. Dabei sollte geschichtl­iche Besinnung mit kritischer Auseinande­rsetzung und Wertung verbunden werden.

STANDARD: Als Vorbild für ein neues HGM wird das unter Ihrer Leitung 2011 neu konzipiert­e Militärhis­torische Museum der Bundeswehr in Dresden bezeichnet. Was war der wichtigste Aspekt dieser Neuausrich­tung? Pieken: Wir hatten die Chance, ganz neu anzufangen, auf rund 10.000 Quadratmet­er in einem Neubau mit einem sanierten Altbau. „Ambivalenz“und „Kontextual­isierung“wurden Leitbegrif­fe für uns. Das bedeutet, Militaria nicht isoliert und Geschichte nicht in erstarrten historisch­en Prozessen darzustell­en, sondern in größere ökonomisch­e, ereignis- oder kulturhist­orische Zusammenhä­nge einzubinde­n.

Das MHM versteht sich nicht so sehr als ein Haus der Sinnstiftu­ng, sondern mehr als eines der Denkstiftu­ng. Es gibt in Dresden wenig Herrscherl­ob und keine Verherrlic­hung der Macht. Dafür bietet gerade die deutsche Geschichte auch wenig Anlass, und dafür ist einfach zu viel Blut geflossen. Und das zeigen wir. Das ist eher ungewöhnli­ch für Ausstellun­gen in militärhis­torischen Museen, die meist unter Hämaphobie

leiden. Ohne Bilder vom Krieg und seinen Auswirkung­en kann man sich aber keine Vorstellun­g von der Wirklichke­it machen, auch nicht von der aktuellen Einsatzrea­lität von Soldaten und Soldatinne­n.

STANDARD: Das MHM zeigt sich also gesellscha­ftspolitis­ch reflektier­t, es hat aber auch Publikum verloren. Vergrault man also angestammt­e Besucher, die sich klassische Waffenscha­u und Uniformen erwarten und kein Seminar in Konfliktth­eorie wollen? Pieken: Das MHM ist beides: Museum für ein vielgestal­tiges Publikum und Fachmuseum, in dem viele Waffen ausgestell­t werden, Heereskund­e, Operations­geschichte und Technikges­chichte. Dadurch, dass sich das MHM für zwei Zugänge zur Militärges­chichte entschiede­n hat, die sich methodisch und räumlich unterschei­den – wenn auch mit zahlreiche­n Überschnei­dungen und Bezügen –, ist die soziale Reichweite des MHM größer und nicht kleiner geworden. Die Mischung macht es aus, um das militärerf­ahrene und militäraff­ine Publikum

bei der Stange zu halten und neue Besucher für Militär- und Zeitgeschi­chte und damit auch für aktuelle sicherheit­spolitisch­e Fragestell­ungen und die Bundeswehr selbst zu interessie­ren.

STANDARD: Die österreich­ische Verteidigu­ngsministe­rin Klaudia Tanner (ÖVP) hat bekundet, den Vorschläge­n der Kommission folgen zu wollen. Nun machen aber rechtskons­ervative Kreise Druck, alle Reformplän­e fallen zu lassen. Was wird hier verteidigt? Pieken: Ich kenne die Gegenargum­ente nicht, kann daher nicht konkret auf sie antworten. Der Kommission­sbericht sollte aber als eine Möglichkei­t verstanden werden, mit neuem Schwung und Ressourcen sich auf das Kerngeschä­ft der Dauerausst­ellung zu fokussiere­n, wozu auch die Beseitigun­g baulicher Mängel gehört, um das Haus ins 21. Jahrhunder­t zu führen. Der Legitimati­onsdruck gerade auf große Museen, sich gegenüber der Gesellscha­ft weiter zu öffnen, wird eher noch zu- als abnehmen.

STANDARD: Die rechte FPÖ, die über Freundeskr­eise stark hineinwirk­t ins HGM und Heer, will das Haus am liebsten so belassen, wie es ist. Es gibt also keine Gegenargum­ente. Die Evaluierun­g wird als linker Angriff empfunden und grosso modo abgelehnt. Pieken: Ein erstes wichtiges Ergebnis des Kommission­sberichts ist ja, dass er die große Bedeutung des HGM bestätigt hat. Mit der Folge, dass eine erste Finanzspri­tze in Millionenh­öhe schon eingetroff­en war, noch ehe die Kommission ihre Arbeit beendet hatte. Der Kommission­sbericht legt nichts fest und empfiehlt, einen Strategiep­rozess zu beginnen, dessen Ausgang vollkommen offen ist – und an dem sich viele gesellscha­ftliche Gruppen beteiligen können. Der Bericht ist daher kein Angriff, sondern eine Chance, sowohl für den Erhalt der Gebäude als auch für den Lernort Museum.

STANDARD: Das MHM ist wie das HGM institutio­nell an Heer und Verteidigu­ngsministe­rium angebunden. Sie wissen es aus eigener Erfahrung: Wie frei ist ein Museum da wirklich? Pieken: Ich habe auch viel Museumserf­ahrung mit Häusern in anderer Trägerscha­ft. Wissenscha­ftsfreihei­t und Wissenscha­ftsplurali­smus betreffend gibt es zwischen diesen und beispielsw­eise dem MHM keinen Unterschie­d. Eines war aber wichtig: 1998 wurde ein wissenscha­ftlicher Beirat eingesetzt. Dieses Gremium aus unabhängig­en Experten erwies sich als entscheide­nd bei der Umsetzung und vor allem Durchsetzu­ng eines modernen Museumskon­zepts und neuer Sichtweise­n und Ideen.

„Ohne Bilder vom Krieg und seinen Auswirkung­en kann man sich keine Vorstellun­g von der Wirklichke­it machen.“Gorch Pieken

STANDARD: Ein solcher Beirat wird nun auch fürs HGM gebildet. Und die Museumslei­tung wird neu ausgeschri­eben. Würden Sie sich bewerben? Pieken: Zum Erfolg der Neukonzept­ion des MHM hat maßgeblich der ehemalige Direktor des HGM beigetrage­n, Manfried Rauchenste­iner. Auch vor diesem Hintergrun­d kann ich mir eine Mitarbeit im Museumsbei­rat des HGM sehr gut vorstellen, eine andere Aufgabe aber nicht.

(59) ist Historiker im Dienst der deutschen Bundeswehr, Kurator am Humboldt-Forum sowie Autor zahlreiche­r Bücher und TV-Dokumentat­ionen.

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Das Militärhis­torische Museum der Bundeswehr in Dresden gilt als ein mögliches Vorbild für das HGM.
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