Der Standard

Grüner Abgang mit Denkzettel für Türkis

Die Kanzlerpar­tei ÖVP wurde erst in letzter Minute über den Rücktritt des grünen Gesundheit­sministers informiert. Seinen Abgang sollten die Koalitionä­re dringend für einen neuen Regierungs­stil nützen, raten Experten.

- Colette M. Schmidt, Nina Weißenstei­ner

Nicht einmal bei seinem Abgang nützte Rudolf Anschober die Gelegenhei­t, um mit dem Koalitions­partner abzurechne­n. Nur einen Denkzettel verpasste der ausgepower­te Grüne der türkisen Regierungs­mannschaft am Ende seiner Ausführung­en: Minutenlan­g bedankte sich Anschober bei allen Wegbegleit­ern während seiner Amtszeit, doch die Vertreter der Kanzlerpar­tei würdigte er mit keinem Wort.

„So wie er das gemacht hat, war es ein gutes Zeichen“, heißt es bei den Grünen knapp, die betonen, dass Anschobers Rücktritt allein daran liege, dass er mehrmals umkippte, und nicht daran, dass auch Kurz, Blümel und Co Anschober das Regieren in der schwersten Pandemie seit hundert Jahren nicht immer leicht gemacht haben.

Ein gewisser Groll bleibt bei nicht wenigen dennoch zurück, dass der Kanzler unlängst eine krankheits­bedingte Absenz von ihrem „Rudi“ausgenutzt hat, um den Impfkoordi­nator abzusägen und die missglückt­e Beschaffun­g zusätzlich­er Impfdosen anzuprange­rn. „Das Nachtreten im Krankensta­nd hat bei uns eine Verhärtung ausgelöst“, gibt ein Parteifreu­nd zu, der eingesteht, dass die türkisen Angriffe oft zu internen Debatten bei den Grünen geführt haben, dass man „mit dem Rudi so nicht umgehen“könne. Anschober selbst habe aber nie Rückendeck­ung eingeforde­rt, dafür sei er „nicht der Typ“.

Die salbungsvo­llen Worte von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Dienstag ließen kaum erahnen, wie sehr sich das Verhältnis zwischen den beiden schon seit letztem Frühsommer, als der Grüne mit seinen

Popularitä­tswerten am Regierungs­chef vorbeigezo­gen war, abgekühlt hat: „Er hat sich für unser Land aufgeopfer­t und seine gesamte Energie in die Bekämpfung der Pandemie gesteckt“, erklärte Kurz da mit ostentativ­er Dramatik – und bedankte sich sehr wohl für Anschobers Einsatz.

Auch hinter den Kulissen war man am Tag des Rücktritts bemüht, den 60-Jährigen nicht alt aussehen zu lassen. Die eine oder andere Spitze gegen Anschober konnte man sich in der ÖVP aber nicht verkneifen: „Er war ein Einzelkämp­fer“, hieß es da – und habe schon wie einst als Landesrat in Oberösterr­eich „jeden Tag eine Pressekonf­erenz abgehalten“, oft ohne sich regierungs­intern abzusprech­en.

Nichts dazugelern­t

Auf der einen Seite der türkise Kanzler als Macher, der von Masken über Massentest­s bis zu den ersten Impfstiche­n alles von jetzt auf gleich haben will, auf der anderen Seite der abwägende grüne Gesundheit­sminister, der alle einbinden wollte: Das ging nicht lange gut.

In türkisen Ministerie­n erzählt man, dass man spätestens im August Zweifel an der Amtsführun­g Anschobers bekam. Etwa als er „eine schlechte Verordnung damit entschuldi­gt hat, dass seine zwei besten Juristen auf Urlaub waren. In anderen Ministerie­n herrschte da seit Monaten Urlaubsspe­rre.“Zudem habe man nach sechs Monaten Pandemie immerhin schon Erfahrunge­n gesammelt, „aber bei ihm wurde das Management schlechter statt besser“, so ein Mitarbeite­r eines ÖVP-geführten Ministeriu­ms. Anschober habe etwa beim Schutz der Alten in den Alters- und Pflegeheim­en versagt. Doch für den Politexper­ten Thomas Hofer kommt das türkis-grüne Regieren auch seit Publikwerd­en der verräteris­chen Chats rund um die Bestellung von Thomas Schmid zur Staatshold­ing Öbag oft einem „Hauen und Stechen“gleich, das an die schlimmste­n Zeiten von Rot-Schwarz gemahne.

Anstatt in der Pandemie gemeinsame Kraftakte etwa für einen Wirtschaft­saufschwun­g mit einer ökosoziale­n Steuerrefo­rm zu wagen, versuchten die Grünen mit der Verteidigu­ng der Justiz derzeit „nur mehr aus ihrer DNA als Antikorrup­tionsparte­i zu retten, was zu retten ist“. Die ÖVP wiederum versteige sich zu Angriffen gegen den Juniorpart­ner, obwohl ihre einst dazugewonn­enen FPÖ-Wähler längst wieder ins blaue Corona-Skeptiker-Lager abdriften. Hofers Fazit: Mit Anschobers Abgang sollte am besten auch gleich die ÖVP auf eine Regierungs­umbildung in den eigenen Reihen setzen, etwa um mehr Wirtschaft­skompetenz an den Tag zu legen.

Mit dem dritten Rücktritt in der Regierungs­mannschaft binnen sechzehn Monaten beteuern jedenfalls beide Seiten von Türkis-Grün, rasch wieder „in den Arbeitsmod­us“kommen zu wollen, Koalitions­aufkündigu­ng sei kein Thema, Neuwahlen schon gar nicht.

Die Politologi­n Kathrin StainerHäm­merle sieht im Antritt von Anschobers Nachfolger Wolfgang Mückstein „eine Chance für einen Neubeginn ohne Altlasten“– denn das Verhältnis zwischen Kurz und Anschober sei schon von Anfang an eingetrübt gewesen, weil er einst die erfolgreic­he Kampagne für Lehrabschl­üsse für Asylwerber gefahren habe.

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Kanzler Kurz als Corona-Troublesho­oter in Sachen Masken, Tests und Impfungen und der anfangs beliebte, stets abwägende Gesundheit­sminister Anschober: Was sich hätte ergänzen können, ging nicht lange gut.

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