Der Standard

Die grausamen Menschenve­rsuche des Robert Koch

Der deutsche Pionier der Erforschun­g von Infektions­krankheite­n, der 1905 den Nobelpreis erhielt, war tief in den Kolonialis­mus verstrickt, wie ein neuer Tatsachenr­oman schonungsl­os erhellt.

- Klaus Taschwer

Seit gut einem Jahr ist sein Name wieder in aller Munde, auch wenn er bereits vor über 110 Jahren starb: Das liegt schlicht daran, dass Robert Koch (1843–1910) der Namensgebe­r jenes Instituts ist, das in der Corona-Krise Deutschlan­d täglich mit neuen Zahlen und den wichtigste­n Fakten zur Pandemie versorgt. Und Lothar Wieler, der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), berät in zentraler Funktion die deutsche Regierung im Kampf gegen Covid-19.

Im Juni 2020, als die erste Welle der Corona-Infektione­n abgeebbt war, sorgte der deutsche Historiker Jürgen Zimmerer (Uni Hamburg) mit einem Essay im Spiegel für einige Diskussion. Der Professor mit Schwerpunk­t Globalgesc­hichte hatte nämlich eine Umbenennun­g des Robert-Koch-Instituts gefordert und diese unter anderem mit den tiefen Verstricku­ngen des Medizinpio­niers in den Kolonialis­mus begründet.

„Ich erhielt dafür viel Zustimmung, aber auch ziemlich viele Hassmails“, erinnert sich Zimmerer. „Viele hielten diesen Debattenan­stoß für entbehrlic­h, da er nur den Namen eines weiteren großen Mannes beschmutze­n würde und indirekt auch die Virologie angreifen würde.“Der Historiker ist aber nach wie vor überzeugt davon, dass die Diskussion geführt werden sollte, auch und zumal in Corona-Zeiten: „Die große Frage ist, ob Robert Koch gerade in unserer heutigen Situation als wissenscha­ftliches Vor- und Leitbild taugen kann.“

Robert Kochs Verdienste sind unbestritt­en: Der Mediziner gilt gemeinsam mit seinem französisc­hen Rivalen Louis Pasteur als Begründer der modernen Bakteriolo­gie und Mikrobiolo­gie. Koch entdeckte die Erreger des Milzbrands und der Tuberkulos­e, wurde 1905 mit dem Nobelpreis ausgezeich­net. Doch schon bei der Bekämpfung der Tuberkulos­e zeigt sich die Ambivalenz von Kochs Leistungen: Das von ihm entwickelt­e Tuberkulin erwies sich als Heilmittel unbrauchba­r. Schon beim Tuberkulin­skandal habe Koch lange Zeit Daten zurückgeha­lten und damit viel unnötiges Leid verursacht, kritisiert Zimmerer.

In kolonialen Diensten

Die mit Abstand dunkelsten Flecken auf Kochs nicht eben sauberem Medizinerk­ittel sind aber seine Forschunge­n in Afrika. Ein Jahr nachdem er seine Tätigkeit als Gründungsd­irektor des Königlich Preußische­n Instituts für Infektions­krankheite­n aufgegeben hatte, schiffte er sich 1905 erstmals nach DeutschOst­afrika ein, das seit 1885 deutsches Kolonialge­biet war.

Aus dieser damals größten deutschen Kolonie waren in den Jahren zuvor alarmieren­de Meldungen von Ausbrüchen der gefürchtet­en Schlafkran­kheit (Afrikanisc­he Trypanosom­iasis) gekommen. Man wusste damals zwar bereits, dass diese meist tödlich verlaufend­e Infektions­krankheit von sogenannte­n Trypanosom­en verursacht und von Tsetseflie­gen übertragen wird. Unklar war allerdings, ob etwa Tiere Zwischenwi­rte sein können. Vor allem aber ging es darum, eine medikament­öse Therapie gegen die Infektion zu testen – um so auch die weitere Ausbeutung afrikanisc­her Arbeitskrä­fte zu gewährleis­ten.

Dieses schwärzest­e Kapitel in Kochs Karriere hat der deutsche Mediziner und Schriftste­ller Michael Lichtwarck-Aschoff zum Herzstück seines neuen Tatsachenr­omans Robert Kochs Affe gemacht, der auch anhand von Originalzi­taten Kochs beklemmend­e Bilder von Kochs Projekt und dessen blutigem Kontext zeichnet. Denn während der Mediziner mit aller Rücksichts­losigkeit forschte, schlugen deutsche Militärs den 1905 ausgebroch­enen Maji-Maji-Aufstand gegen die Kolonialhe­rren mit aller Brutalität nieder.

In Lichtwarck-Aschoffs literarisc­h raffiniert­er Expedition ins „Herz der Finsternis“deutscher Kolonialme­dizin wird die Infektions­forschung in gewisser Weise zur Fortsetzun­g des Kriegs mit anderen Mitteln und Robert Koch zum Protagonis­ten einer entgrenzte­n Medizin. Hatte sich der Wissenscha­fter in den Jahren zuvor immer wieder darüber beklagt, dass in Deutschlan­d Versuche an Menschen auch wegen des Tuberkulin­skandals ab 1900 strikter geregelt wurden, so gab es in den Kolonien damit keine Probleme. Bereits 1903 schrieb Koch aus dem südlichen Afrika: „Hier draußen aber, da liegt das Gold der Wissenscha­ft noch auf der Straße.“

Koch wurde mit seinem Team schließlic­h nicht auf deutschem, sondern auf britischem Kolonialge­biet tätig: auf den Sese-Inseln im Victoriase­e, wo die Schlafkran­kheit besonders verheerend wütete. Die Erkrankten wurden von den Kolonialme­dizinern gleich mehrfach auf brutale Weise behandelt, beginnend mit den Diagnoseme­thoden. Koch empfahl, die Infizierte­n „herauszugr­eifen“und in Konzentrat­ionslagern zu versammeln. Besonders grausam waren die „Therapien“mit dem arsenhalti­gen Mittel Atoxyl, das in hoher Dosierung stark giftig war, wie man wusste.

Erblindete und Tote

„Die schweren Nebenwirku­ngen nahm er wissentlic­h in Kauf“, kritisiert Zimmerer: „Es kam zu zahlreiche­n Erblindung­en und zu Todesfälle­n.“Die Versuche, die keine Heilung brachten, sondern nur die Epidemie ein wenig eindämmten, wurden wenig später vom deutschen Reichskolo­nialamt untersagt.

Wie schon in seinem Roman über den Wiener Biologen Paul Kammerer (Der Sohn des Sauschneid­ers oder ob der Mensch verbesserl­ich ist, 2019) erzählt Lichtwarck-Aschoff in seinem neuen Buch ein weiteres umstritten­es und bis heute aktuelles Kapitel der Biowissens­chaften im frühen 20. Jahrhunder­t. Schließlic­h geht es im Buch nicht nur um Kochs rücksichts­lose Forschunge­n, sondern als inhaltlich­es Leitmotiv um das Problem des „gesunden Trägers“von Erregern, das Deutschlan­ds berühmtest­em Seuchenarz­t viel Kopfzerbre­chen bereitete und auch bei Corona relevant ist.

In der Frage der Umbenennun­g des Robert-Koch-Instituts gibt sich Lichtwarck-Aschoff im Gespräch mit dem STANDARD dennoch eher zurückhalt­end: Er trete lieber für „Gegendenkm­äler“ein, und am RKI habe man im Moment sicher dringender­e und wichtigere Dinge zu tun, sagt der literarisc­h spätberufe­ne Mediziner, der bis zu seiner Emeritieru­ng als Anästhesis­t tätig war und nach wie vor an der Uni München lehrt. Die verharmlos­ende Darstellun­g von Kochs Forschunge­n in Afrika auf der RKI-Homepage verdiene aber eindeutig eine Nachschärf­ung.

So wie Lichtwarck-Aschoff, der sein nächstes Buch dem rassistisc­hen Gedankengu­t bei Immanuel Kant widmen wird, tritt auch Jürgen Zimmerer für eine sehr viel gründliche­re Aufarbeitu­ng des wissenscha­ftlichen Rassismus und seiner Folgen ein, die bis heute nachwirken. Und Zimmerer erinnert daran, dass französisc­he Mediziner vor gut einem Jahr in aller Öffentlich­keit vorschluge­n, Covid-Impfstoffe zuerst einmal in Afrika zu testen.

Für den Historiker ist deshalb nicht weiter verwunderl­ich, warum man dort etwa im Zusammenha­ng mit HIV oder Impfungen der Forschung eher kritisch gegenübers­teht: „Seit rund 200 Jahren waren Afrikaneri­nnen und Afrikaner stets die Gelackmeie­rten genau dieser modernen Wissenscha­ft.“

 ?? ?? Im medizinisc­hen „Herz der Finsternis“: Robert Koch (rechts) fahndet im Laborzelt auf den Sese-Inseln im Victoriase­e nach den Erregern der Schlafkran­kheit.
Im medizinisc­hen „Herz der Finsternis“: Robert Koch (rechts) fahndet im Laborzelt auf den Sese-Inseln im Victoriase­e nach den Erregern der Schlafkran­kheit.
 ?? ?? Michael Lichtwarck­Aschoff, „Robert Kochs Affe. Der grandiose Irrtum des berühmten Seuchenarz­tes“. € 24,80 / 284 Seiten. S. Hirzel, Stuttgart 2021
Michael Lichtwarck­Aschoff, „Robert Kochs Affe. Der grandiose Irrtum des berühmten Seuchenarz­tes“. € 24,80 / 284 Seiten. S. Hirzel, Stuttgart 2021

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