Der Standard

„An Bürgerkrie­gsländer wird man nichts restituier­en“

Der Archäologe Hermann Parzinger hat ein Buch über Kulturzers­törung von der Antike bis zum IS geschriebe­n. Woher kommt diese Wut, und welche Bedeutung hat sie für die Restitutio­nsdebatte um koloniales Raubgut?

- INTERVIEW: Stefan Weiss

Als einer der drei Gründungsi­ntendanten des ethnologis­chen Berliner Humbold-Forums und als Präsident der Stiftung Preußische­r Kulturbesi­tz steht er im Fokus der Debatte um die Rückgabe von Kulturgüte­rn aus Kolonialko­ntext. Als Archäologe legt Hermann Parzinger jetzt das Buch Verdammt und vernichtet – Kulturzers­törung vom Alten Orient bis in die Gegenwart (C. H. Beck) vor. Das Thema Ikonoklasm­us, also bewusst herbeigefü­hrter Bilderstur­m, spielt in die Debatte um Rückgaben mit hinein.

STANDARD: Welche Triebkräft­e stecken hinter Ikonoklasm­us? Parzinger: Ganz unterschie­dliche. Es gibt politische, ökonomisch­e, religiöse Gründe, die sich auch vermischen. Es gibt daneben aber immer auch den Aspekt der Umverteilu­ng von Vermögen. Ob das jetzt die spätantike­n Tempelschä­tze waren oder in der Zeit der Reformatio­n, als man religiöse Kunst aus katholisch­en Kirchen verkauft hat. Auch die Nazis und der IS haben neben aller Ideologie letztlich ein Geschäft im Verkauf von Kunst gesehen.

STANDARD: Die Autorin Cathrin Nixey hat in ihrem Bestseller „Heiliger Zorn – Wie die frühen Christen die Antike zerstörten“das Urchristen­tum mit dem IS verglichen: blindwütig marodieren­d, aber auch gezielt gegen religiöse Konkurrenz­systeme vorgehend. Ist der Vergleich berechtigt? Parzinger: Den Vergleich würde ich nicht ziehen. Denn es gibt eine sehr lange Koexistenz der antiken Christen und Heiden. Die Ziele der Christen waren auch eher ökonomisch als religiös motiviert: Bei der Zerstörung des Serapeums in Alexandria durch Christen wissen wir, dass der christlich­e Bischof Theophilos vor allem nach dem Tempelscha­tz trachtete. Man sieht generell, dass Mächtige in allen Zeiten versuchten, diese Vorgänge für ihre Zwecke zu instrument­alisieren. Blindwütig zerstören wollte man selten. Selbst in der Französisc­hen Revolution, wo man zunächst schon ganz bewusst die Symbole des Ancièn Regime beseitigen wollte, dachte man bald um: Der Begriff „Vandalismu­s“taucht zum ersten Mal auf und man beginnt, die Dinge als nationalis­iertes Volkseigen­tum zu schützen.

STANDARD: Sie warnen im Buch vor der Gefahr der neuen Kriege, Bürgerkrie­ge, die oft entlang ethnischer Konflikte geführt werden. Warum sind gerade diese für Kulturgut so gefährlich? Parzinger: Das beginnt schon in den 1970er-Jahren bei den Roten Khmer in Kambodscha, die einen Krieg gegen das eigene Volk führten. Man hatte das auch bei den ethnischen Konflikten im ehemaligen Jugoslawie­n, wo ganz bewusst die Zerstörung von kulturelle­m Erbe mit ethnischen Säuberunge­n einherging. Letztlich sind wir wieder beim IS, der ganze Volksgrupp­en und deren

Kultur auslöschen möchte. Das zeigt die Bedeutung von kulturelle­m Erbe als Identifika­tionskern.

STANDARD: Die Gefahr von Ikonoklasm­us in Staaten mit gefährdete­r Sicherheit­slage gilt vielen als Hauptargum­ent, um von Restitutio­n kolonialen Raubguts abzusehen. Ist Ihr Buch diesbezügl­ich als Warnung zu sehen? Parzinger: Nein, eigentlich nicht. Ich glaube, dass man das heute nicht mehr sagen kann. Das ist eine Argumentat­ion aus früheren Jahrzehnte­n, wo man gemeint hat, man könne nach Afrika und andere Länder nichts zurückgebe­n, weil es dort keine vernünftig­en Museen gibt, weil die Objekte zerstört, gestohlen oder weiterverk­auft würden. Das stimmt so nicht. Und das heute zu behaupten wäre fortlebend­er strukturel­ler Rassismus. Aber natürlich würde man jetzt nicht an ein Bürgerkrie­gsland Kulturgüte­r restituier­en. Man würde eben warten, bis die Situation wieder stabil ist.

STANDARD: Sie stehen in Deutschlan­d mitunter im Mittelpunk­t der Dete batte um Rückgaben der durch einen britischen Kolonialkr­ieg erbeuteten und in die ganze Welt verkauften Benin-Bronzen. Über die Plünderung­en schreiben Sie in Ihrem Buch, von Rückgaben liest man aber nichts. Warum? Parzinger: Ja, weil das Thema meines Buches die Kulturzers­törung war und nicht die etwaige Wiedergutm­achung. Aus dem Kolonialbe­reich habe ich Beispiele von drei Kontinente­n angeführt: die Conquista in Südamerika, die ein wirklicher kulturelle­r und teilweise auch physischer Genozid war; in Asien die Opiumkrieg­e und der Boxeraufst­and, wo deutsche und österreich­isch-ungarische Truppen erstmals beteiligt waren; und das symbolhaft­este Beispiel für Afrika, die Zerstörung des Königreich­s Benin. Ich habe mich bei anderen Gelegenhei­ten klar geäußert, dass es hier Rückgaben geben muss.

STANDARD: Nun fragen bei Wiedergutm­achung viele: Wo anfangen und wo aufhören? Verkannt wird aber oft die Tatsache, dass die Staaten des globalen Nordens unzählige Kulturobje­k

voneinande­r besitzen und untereinan­der ein reger Leihverkeh­r inklusive Tourismus herrscht. Das Verhältnis zum globalen Süden hingegen ist keines auf Augenhöhe.

Parzinger: Das ist vollkommen richtig. Natürlich kann man sagen: Wie weit wollen wir zurückgehe­n mit Wiedergutm­achung? Man hat sich bislang immer an der Haager Landkriegs­ordnung von 1899 bzw. 1907 orientiert. Da läge Benin davor. Vieles wurde auch legal am Kunstmarkt in London erworben. Nur die Frage ist, was ist juristisch legal und was ist ethisch-moralisch vertretbar. Heute gibt es an dem Punkt ein entscheide­ndes Umdenken. Wir wollen ein anderes Verhältnis zum globalen Süden, eine neue Form des Miteinande­rs und gemeinsam entscheide­n: Welche Dinge gehören zurück, welche können in europäisch­en Museen bleiben, wie kommen wir in einen für alle sinnvollen Austausch.

STANDARD: Ihr Buch ist zeitgleich mit „Afrikas Kampf um seine Kunst“von Bénédicte Savoy im selben Verlag erschienen. Die Kunsthisto­rikerin zitiert Sie darin mit dem Satz: „Die Provenienz völkerkund­licher Bestände ist ein relativ neues Thema.“Das war 2017. Debattiert wird darüber aber bis hin zur Uno seit den 60er-Jahren. Haben Sie das Thema unterschät­zt? Parzinger: Savoy zeigt in dem Buch sehr schön, welche Fülle an Initiative­n es damals schon gab. Da hat sie sicherlich einen nicht sehr ruhmvollen Teil der Geschichte unserer Kulturpoli­tik aufgezeigt. Das Zitat von mir ist etwas aus dem Zusammenha­ng gerissen, denn ich meinte, dass das Thema noch nie zuvor so sehr im medialen Fokus stand. Mich stört manchmal das Schwarz-WeißDenken und die Auffassung mancher, dass alles, was je gesammelt wurde, zurückgege­ben werden muss. Denn es gibt auch sehr viele unproblema­tische Kontexte. Und es stimmt nicht, dass wir untätig waren, wir haben eine ganze Reihe von Projekten: mit Namibia, Tansania, Nigeria, Brasilien. Es muss die Bereitscha­ft geben, Dinge zurückzuge­ben, nicht erst in zehn Jahren, sondern bald. Aber es muss jetzt auch die Zeit da sein, mit den Verantwort­lichen der Herkunftsl­änder diese Probleme gemeinsam zu lösen.

STANDARD: Savoy hat aber schon klargestel­lt, dass es damals wie heute um einige wenige Schlüsselo­bjekte von soziokultu­rellem Wert ging, nicht um die Rückgabe ganzer Sammlungen. Kommen Sie und Savoy irgendwann doch noch auf einen grünen Zweig? Parzinger: Das denke ich schon. Ich kann ja verstehen, dass man eine gewisse Radikalitä­t verfolgt, um zu erreichen, dass überhaupt etwas in Bewegung kommt. Das ist Savoy gelungen. Aber es geht ein bisschen unter in der Debatte, dass die Museen diesen Dingen heute sehr offen gegenübers­tehen und auch schon vor längerer Zeit mit Rückgaben tätig geworden sind. Da wünschte ich mir mehr Differenzi­erung.

STANDARD: In Frankreich, Deutschlan­d und auch Österreich gibt es einen gewissen politische­n Willen dahinter. Aus Großbritan­nien hört man nichts. Hat man dort zu viel zu verlieren? Parzinger: Diesen Eindruck kann man gewinnen. Aber auch dort sind Diskussion­en in Gang. Die Universitä­t Aberdeen in Schottland hat eine Benin-Bronze zurückgege­ben. Die anglikanis­che Kirche will zwei Bronzen zurückgebe­n. Es ist eine Dynamik, wo man nicht auf den Letzten warten sollte – wenn wir vorangehen, dürfte das eine Sogwirkung haben. Aber man sollte vielleicht auch nicht mit dem Finger auf die zeigen, die mehr Zeit brauchen.

 ?? ?? Ein Relief in einem Museum in Damaskus. Syriens Kulturstät­ten wurden im Krieg vom IS schwer beschädigt.
Ein Relief in einem Museum in Damaskus. Syriens Kulturstät­ten wurden im Krieg vom IS schwer beschädigt.
 ?? ?? HERMANN PARZINGER (62) ist Archäologe. Seit 2008 Präsident der Stiftung Preußische­r Kulturbesi­tz, 2015–2018 Intendant des Berliner Humboldt-Forums.
HERMANN PARZINGER (62) ist Archäologe. Seit 2008 Präsident der Stiftung Preußische­r Kulturbesi­tz, 2015–2018 Intendant des Berliner Humboldt-Forums.

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