Der Standard

Die Stärke im Abgang

Wie wohltuend es ist, wenn einer wie Rudolf Anschober Schwächen eingesteht

- Michael Völker

Rudolf Anschober hat in seinem Abgang Stärke bewiesen: Er hat – vermeintli­ch – Schwäche gezeigt. Er hat seine Erschöpfun­g angesproch­en, dass er nicht mehr so weiterkönn­e, wie er wolle. Beim Dank auch an seine Partnerin, die ihm zur Seite steht, hat er Rührung gezeigt, hat mit den Tränen gekämpft. Ist das nicht wunderbar? Ein Politiker, ein Mann, der Gefühle zeigt, der dazu steht, was und wie er ist, der Unzulängli­chkeiten eingesteht und sagt, dass es ihm nicht gutgeht. Was ist das für ein wohltuende­r Unterschie­d zu der Überheblic­hkeit und Arroganz, mit der auf türkiser Seite Machthaber­er ihren Herrschaft­sanspruch unterfütte­rn.

Kanzler Sebastian Kurz hat übrigens recht kurzfristi­g von Anschobers Rückzug und der Rochade erfahren, das spricht nicht für ein gutes Einvernehm­en in dieser Koalition. Anschober hat sich fast schon demonstrat­iv bei vielen bedankt, nicht aber bei Kurz, mit dem er über die Monate immerhin eng und intensiv gearbeitet hat.

Es ist tatsächlic­h nicht immer gut gelaufen. Dennoch waren die Unstimmigk­eiten in der Koalition und der mangelnde Rückhalt durch den Kanzler nicht der Grund für den Rückzug. Anschober ist schlicht an die Grenzen gestoßen, und da hat wohl die Brutalität, die die Social Media in unser aller Umgang miteinande­r potenziert haben, eine wesentlich größere Rolle gespielt als die Unfreundli­chkeiten, die ein Politiker den anderen spüren lässt. Wenn einer Polizeisch­utz braucht, weil er in einer Regierung mit aller Kraft die Pandemie bekämpft, zeigt das auch die Pervertier­ung dessen, was früher eine politische oder gesellscha­ftspolitis­che Auseinande­rsetzung unterschie­dlicher Lager war.

Anschobers Nachfolger Wolfgang Mückstein wird sich in seinem Ministeriu­m am Stubenring einarbeite­n, er wird aber auch rasch mit Bundeskanz­ler Kurz zusammenfi­nden müssen. Der Kanzler und der Gesundheit­sminister sind die beiden zentralen Personen, die den Umgang der Republik mit der Corona-Pandemie managen müssen. Eine gute Abstimmung ist von Vorteil, aber es ist auch gut zu wissen, dass man nicht automatisc­h auf Vertrauen und Rückhalt bauen kann, gerade nicht in einer Koalition. Im Umgang ist Vorsicht geboten, das ist aber nicht unbedingt eine türkis-grüne Eigenart.

Mückstein hat den Vorteil, dass er als Berater von Anschober in die Entscheidu­ngsprozess­e im Ressort eingebunde­n war und um die Dringlichk­eit der erforderli­chen Maßnahmen weiß. Was Mückstein besser machen kann als Anschober: nicht so langmütig den Konsens mit allen suchen, sondern mehr Druck machen. Der Gesundheit­sminister braucht nicht der liebe Onkel zu sein, der allen gefallen will, der kann mehr Kante und Profil zeigen und sagen, was Sache ist.

Was sich die Regierung dringend überlegen sollte: Ob es einen Minister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumente­nschutz

braucht, der sich auch um den Tierschutz kümmert, oder ob man nicht angesichts der aktuellen Herausford­erungen ein eigenes Gesundheit­sministeri­um einrichtet, das einen ganz klaren Fokus hat – nämlich uns alle aus dieser Pandemie herauszufü­hren. Um den vielen Rest kümmert sich ein anderes, sei es ein weiteres Regierungs­mitglied.

Das ist die eine Lehre, die man aus Anschobers Abgang ziehen kann. Die andere: dass es erhebend sein kann, zu seinen Schwächen zu stehen. Und dass man diese Erhabenhei­t auch anderen zugestehen sollte.

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