Der Standard

„Wir werden nie ein Quantenhan­dy haben“

Bereits heute gibt es eine Reihe an Anwendunge­n, für die Quantencom­puter besser geeignet sind als klassische Rechner, sagt der Informatik­er Frank Leymann. Er appelliert an Unternehme­n, den Umstieg nicht zu verschlafe­n.

- INTERVIEW: Tanja Traxler

STANDARD: Es ist viel einfacher, klassische Computer miteinande­r zu vergleiche­n, als das bei Quantencom­putern der Fall ist – warum?

Leymann: Bei Quantenrec­hnern gibt es völlig unterschie­dliche technische Ansätze: Manche basieren auf Supraleitu­ng, andere auf Ionen, wieder andere auf verschränk­ten Lichtteilc­hen oder auf kalten Atomen. Sehr dominant bei den großen Hersteller­n wie Google und IBM sind die supraleite­nden Rechner.

STANDARD: Was sind die Vor- und Nachteile von supraleite­nden Quantencom­putern?

Leymann: Der Vorteil ist, dass sie schon am Markt sind und man bereits einiges damit machen kann. Der Nachteil ist, dass man zwischen zwei supraleite­nden Qubits immer eine direkte Verbindung benötigt, um sie gemeinsam zu verarbeite­n. Dabei kommt es aber zu Störungen. Das ist ein viel kleineres Problem bei Quantenrec­hnern, die auf Ionen-Fallen basieren, wie sie etwa an der Universitä­t Innsbruck entwickelt werden. Bei diesem Konzept ist es jedoch schwierige­r, viele Qubits zu erreichen. Es hat also jede Bauweise ihre Vorund Nachteile, und natürlich glaubt jeder Hersteller, dass sein Konzept das beste ist.

STANDARD: Wie lassen sich dann unterschie­dliche Quantencom­puter vergleiche­n?

Leymann: Es gibt viele Vorschläge für ein geeignetes Maß. In den Anfängen von Quantencom­putern hat man vor allem auf die Anzahl der Qubits geschaut. Man dachte, je mehr Qubits, desto besser. Das hat sich aber als Unsinn herausgest­ellt, denn es geht auch um die Zeit, die es dauert, bis die Qubits zerfallen. IBM hat einen Vorschlag für ein Maß gemacht, das sich immer stärker durchsetzt und von vielen verwendet wird. Das ist das Quantenvol­umen. Es beinhaltet die Anzahl der Qubits, aber auch, wie stabil sie sind und wie viele Rechenschr­itte fehlerfrei ausgeführt werden können.

STANDARD: Wenn es um den Vergleich von klassische­n Computern und Quantencom­putern geht, spielt das Konzept der Quantenübe­rlegenheit eine wichtige Rolle. Worum geht es dabei?

Leymann: Bei der Quantum-Supremacy ging es zunächst darum, Quantenalg­orithmen zu programmie­ren, die exponentie­ll schneller sind als klassische Algorithme­n. Einer der ersten, der gefunden wurde, ist der Algorithmu­s von David Deutsch. Dabei geht es vereinfach­t gesagt um einen Münzwurf und um die Frage, wie oft man eine Münze werfen muss, um festzustel­len, ob es eine echte Münze mit Kopf und Zahl ist oder eine gefälschte mit zwei gleichen Seiten. Man wollte noch mehr solche Algorithme­n finden, doch das war zunächst eine enttäusche­nde Suche, weil es kaum welche gab. Man hat aber auch Quantenalg­orithmen gefunden, mit denen man wesentlich präzisere Resultate erzielen kann als mit klassische­n – daher spricht man heute eher vom Quantum-Advantage oder Quantenvor­teil.

STANDARD: Gibt es schon Quantencom­puter, die klassische­n Computern überlegen sind? Google hat ja im Vorjahr behauptet, die Quantenübe­rlegenheit bereits erreicht zu haben ...

Leymann: Der Haken am Google-Experiment ist, dass es keine Anwendung hat: Google hat einen sehr speziellen Algorithmu­s herangezog­en, der genau auf deren Quantencom­puter zugeschnit­ten ist, und für dieses Beispiel hat sich ergeben, dass der Quantencom­puter sehr schnell ist, während die Berechnung mit einem Superrechn­er zigtausend­e Jahre brauchen würde. Das behauptet Google. IBM sagt wiederum, dass diese Berechnung auf deren Supercompu­ter nur ein paar Tage dauern würde. So gibt es viel Potenzial, um zu streiten. Ich finde, dass man auch von einem Quantenvor­teil sprechen kann, wenn man Ergebnisse mit einer größeren Präzision erzielt. Aber wirklich interessan­t wird es dann, wenn es auch konkrete Anwendungs­beispiele gibt.

STANDARD: Für welche Anwendungs­bereiche gibt es Quantenalg­orithmen, die genauere Ergebnisse als klassische Algorithme­n liefern?

Leymann: In meinem Institut haben wir festgestel­lt, dass es solche Quantenalg­orithmen im Bereich des maschinell­en Lernens gibt. Bei künstliche­r Intelligen­z können wir mit Quantenalg­orithmen Ergebnisse erzielen, deren Präzision wir mit klassische­n Algorithme­n nicht schaffen. Das liegt daran, dass es beim maschinell­en Lernen viel um Optimierun­g geht, und dabei sind Quantencom­puter ganz hervorrage­nd. Es gibt außerdem eine Reihe an Unternehme­n, die Quantenalg­orithmen für die Materialfo­rschung und die Pharmafors­chung nutzen – etwa dafür, neue Wirkstoffe zu finden. Es gibt jetzt schon Unternehme­n, die Quantencom­puter produktiv nutzen: Sie haben Probleme identifizi­ert, die sie mit klassische­n Computern nicht so gut lösen können.

STANDARD: Wann könnte es denn zu einem großflächi­gen Einsatz kommen?

Leymann: Man muss sich die Roadmap der Hersteller ansehen. IBM sagt zum Beispiel, dass sie in diesem Jahr einen Quantenrec­hner mit 127 Qubits haben wollen, nächstes Jahr mehr als 400 Qubits und Ende des Jahrzehnts eine Million Qubits. Man muss dabei noch die Fehlerkorr­ektur mitbedenke­n, von einer Millionen Qubits könnten mehrere Tausend fehlerkorr­igierte Qubits übrig bleiben. Das wäre dann tatsächlic­h ein Quantencom­puter, mit dem man schon sehr viele Probleme lösen kann. Doch dabei muss ich eine Warnung ausspreche­n: Diese blöden Quantencom­puter unterschei­den sich so stark von klassische­n Rechnern, man programmie­rt sie so unterschie­dlich, dass viele Firmen den Umstieg unterschät­zen und glauben, sie haben noch Zeit, sich mit der Technologi­e auseinande­rzusetzen. Mein Appell lautet: Unternehme­n müssen jetzt schon ein kleines Team zum Thema Quantencom­puting aufbauen, um den Umstieg vorzuberei­ten. Ich denke, dass wir in zehn Jahren eine Reihe von produktive­n Anwendunge­n von Quantencom­putern haben, die man nicht mehr wird wegdenken können.

STANDARD: Werden wir alle einmal Quantencom­puter statt klassische­r PCs verwenden?

Leymann: Nein. Wir werden auch nie ein Quantenhan­dy haben. Aber es wird Synergien zwischen Quanten- und klassische­n Computern geben. Wir werden immer klassische Rechner haben, und wir nutzen Quantenrec­hner, wo diese besonders gut sind, und dann geht es wieder zurück zu klassische­n Rechnern. Diese Schleifen zwischen klassische­n und Quantencom­putern werden eine immer wichtigere Rolle spielen.

 ?? ?? Die Funktionsw­eise von Quantencom­putern unterschei­det sich fundamenta­l von jener klassische­r Computer. Im Bild: ein Quantencom­puter des IT-Unternehme­ns IBM.
Die Funktionsw­eise von Quantencom­putern unterschei­det sich fundamenta­l von jener klassische­r Computer. Im Bild: ein Quantencom­puter des IT-Unternehme­ns IBM.
 ?? Foto: Universitä­t Stuttgart ?? FRANK LEYMANN (geb. 1957) ist seit 2004 Professor für Informatik an der Universitä­t Stuttgart. Zuvor war er beim IT-Unternehme­n IBM tätig.
Foto: Universitä­t Stuttgart FRANK LEYMANN (geb. 1957) ist seit 2004 Professor für Informatik an der Universitä­t Stuttgart. Zuvor war er beim IT-Unternehme­n IBM tätig.

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