Der Standard

Sinnfreier Bedeutsamk­eitswahn

Sei es bei Corona oder der Klimakrise: Schnell ist ein Katastroph­enszenario bei der Hand. Nur nutzt sich sprachlich­e Eskalation allzu schnell ab. Mehr Gelassenhe­it und Einordnung würden uns allen guttun.

- Fred Luks

„Viel produktive­r ist die Einsicht, dass es auch hier und heute plausible Hoffnung auf gelingende­n Wandel geben kann.“

Die Klimaerwär­mung stellt unsere Lebensweis­e infrage. Die Digitalisi­erung revolution­iert die Wirtschaft. Und die CoronaKris­e bringt überhaupt alles durcheinan­der. Ja, wir leben in turbulente­n Zeiten. Wer an einer nachhaltig­en Entwicklun­g interessie­rt ist, kann die Notwendigk­eit einer umfassende­n gesellscha­ftlichen Transforma­tion kaum übersehen. Nicht umsonst wird gerne der Satz Barack Obamas zitiert: „Wir sind die erste Generation, die den Klimawande­l am eigenen Leib spürt, und wir sind die letzte, die etwas dagegen tun kann.“

Die Frage ist, wie eine Transforma­tion Richtung Nachhaltig­keit gelingen kann. Im Diskurs darüber mehren sich Stimmen, die nicht auf Hoffnung und gesellscha­ftliche Such- und Lernprozes­se setzen, sondern auf Dramatik und Umbruchfan­tasien. Ein prominente­s Beispiel ist Klaus Schwabs und Thierry Mallerets Buch Der große

Umbruch, das ob seines Originalti­tels The Great Reset sogleich Gegenstand zahlreiche­r Verschwöru­ngsmythen wurde.

Der Philosoph Toby Ord sieht uns am „Abgrund“. Sein Interview im

STANDARD (2. 2. 2021) ziert eine Schlagzeil­e wie ein Donnerschl­ag: „Wir leben in der wichtigste­n Phase der Menschheit“. Im Text selbst heißt es dann: „Wir leben wohl in der wichtigste­n Zeit in (sic) der Menschheit, die es je gab und je geben wird.“Halten wir uns nicht mit dem relativier­enden „wohl“auf und wenden uns dem Ewigkeitsa­nspruch der Aussage zu. Der ist, bei allem Respekt, größenwahn­sinnig.

Interessan­ter als diese Diagnose ist wohl die Frage nach dem politische­n Nutzen von Bedeutsamk­eitsbehaup­tungen, Umbruchfan­tasien und Katastroph­enszenarie­n. Dieser Nutzen ist überaus begrenzt, wie die zahlreiche­n Berichte des Club of Rome ebenso zeigen wie unzählige Nachhaltig­keitskonfe­renzen. Sprachlich­e Eskalation nutzt sich schnell ab. Beim Thema Klima beispielsw­eise muss man fragen, was der immer wieder gehörte Ruf „Wir haben nur noch zehn Jahre Zeit!“bringen soll, wenn diese zehn Jahre vorbei sind und diese Mahnung nicht befolgt wurde. Geben wir dann den so wichtigen Kampf um den Klimaschut­z auf? Gewiss nicht.

Die Frage ist dann, warum die Behauptung der historisch­en Einmaligke­it unserer Lage auf eine Nachfrage stößt. Das 1986 erschienen­e Buch Lebenszeit und Weltzeit des deutschen Philosophe­n Hans Blumenberg kann auf der Suche nach der Antwort helfen. Das einschlägi­ge Kapitel trägt den sprechende­n Titel Apokalypse und Paradies. Wie für unsere Zeit formuliert schreibt Blumenberg darin vom „Ärgernis“, das darin liege, dass die Welt nun mal über unsere Lebenszeit hinaus besteht: „Jede Divergenz von Lebenszeit und Weltzeit enthält potenziell dieses Ärgernis; nur so ist zu verstehen, welch geringen Aufwandes an Rhetorik und Einfallskr­aft es bedarf, dies als Emotion und Motion zu mobilisier­en.“

Diese Rhetorik greift immer mehr um sich. Wie gesagt: Zu einer Verbesseru­ng der Welt tragen diese Mobilisier­ungsversuc­he nicht bei. Zum persönlich­en Wohlbefind­en aber auch nicht – jedenfalls nicht nachhaltig. Vielmehr gilt es auszuhalte­n, dass die Welt schon vor uns da war und – bei allen sehr großen Problemen – gewiss auch nach uns existieren wird. Dazu braucht es, schreibt Blumenberg an anderer Stelle, die „Fähigkeit zur Relativier­ung des eigenen Lebens.“Diese Form der Gelassenhe­it würde auch aktuellen Diskursen über Klima und Corona guttun. Relativier­ung heißt nicht Verharmlos­ung, sondern vernünftig­e Einordnung.

Womöglich verschafft uns ein Blick in die Geschichte eine plausible Perspektiv­e auf die Dramatik des Hier und Heute. In der Literatur über gesellscha­ftliche Transforma­tionen werden immer wieder die Abschaffun­g der Sklaverei und die Einführung des Frauenwahl­rechts zitiert – ohne Frage Veränderun­gen von welthistor­ischer Bedeutung, nicht wahr? Etwas drastische­r: War der Kampf gegen den Faschismus wirklich weniger dramatisch als die Probleme des frühen 21. Jahrhunder­ts? Die Landung der Alliierten am Omaha Beach 1944 weniger „wichtig“als der Kampf gegen die Klimaerwär­mung?

Derlei Hitlisten der Bedeutsamk­eit sind natürlich höchst absurd. Worauf ich hinauswill: Man sollte, wenn man an einer Verbesseru­ng der Welt interessie­rt ist, die verbreitet­e Sehnsucht nach Sinn, Orientieru­ng und Wichtigkei­t nicht mit Narrativen historisch­er Einmaligke­it bedienen. Viel produktive­r ist die Einsicht, dass es auch hier und heute plausible Hoffnung auf gelingende­n Wandel geben kann. Gerade der Blick in die Geschichte zeigt, dass es politische „Wunder“immer wieder gegeben hat: Sklavenbef­reiung und Frauenwahl­recht sind dafür ebenso eindrückli­che Beispiele wie die friedliche Abschaffun­g des Apartheidr­egimes in Südafrika oder die deutsche Wiedervere­inigung.

Diese „Wunder“waren das Ergebnis langer und mühevoller Kämpfe und Auseinande­rsetzungen. Ein Bewusstsei­n von diesen Transforma­tionsbeisp­ielen ist mit Sicherheit produktive­r als die eitle Behauptung der historisch­en Einmaligke­it unserer Lage. Der groteske Glaube, unsere Zeit sei die bedeutsams­te, „die es je gab und je geben wird“, ist sinnlos und bringt uns nicht weiter.

FRED LUKS ist Ökonom und Publizist. Sein aktuelles Buch „Hoffnung. Über Wandel, Wissen und politische Wunder“ist 2020 bei Metropolis erschienen.

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Im Kampf gegen die Klimakrise wird immer eindringli­cher vor der Katastroph­e gewarnt. Tragen derartige Mobilisier­ungsversuc­he zu einer Verbesseru­ng bei – oder eher nicht?

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