Der Standard

Versorgen muss man wollen

Die Länge von Lockdowns wird wesentlich an die Zahl verfügbare­r Intensivbe­tten gekoppelt. Diese Zahl ist offenbar gottgegebe­n. Oder ist es politisch signifikan­t, wenn mögliche Mehrversor­gung kaum diskutiert wird?

- DREHLI ROBNIK ist Essayist, Autor, zuletzt von „Ansteckkin­o: Eine politische Philosophi­e und Geschichte des Pandemie-Spielfilms von 1919 bis Covid-19“. Drehli Robnik

Wenn es so oft heißt, wir sollten noch diesen einen Lockdown (samt weiterlauf­ender Arbeit) durchstehe­n, damit Intensivst­ationen in den Spitälern nicht überlastet werden, dann lohnt es, die Referenzgr­öße „Anzahl freier Intensivbe­tten“politisch zu betrachten. Nicht um notwendige Eindämmung­smaßnahmen abzuwerten oder zu behaupten, nur mit „mehr Betten“wäre alles gut. Sondern um ein lange kursierend­es Standardmo­tiv im Regierungs­diskurs zu beleuchten.

Nun könnte man einwenden, dass es nicht um „Betten“geht. Nur weil türkise PR uns strategisc­h verrohtes Sprechen angewöhnt, sollten wir uns unter Intensivbe­tten nicht Spitalsmöb­el mit Schlafwäsc­he vorstellen. Dieses Kürzel benennt ja Infrastruk­turen, Räume, Medizintec­hnik wie etwa Beatmungsg­eräte und Personal. Belegte Betten bedeutet immer auch überlastet­e Belegschaf­ten.

Strukturen und Personal der Intensivme­dizin: Ausbau scheint da schier unmöglich, denn, so eine naheliegen­de Antwort, Intensivbe­tten sind teuer. Aber ist nicht auch ein Lockdown, der diese Kapazitäte­n schonen hilft, teuer? Von sozialen Folgekoste­n gar nicht zu reden. Gar nicht zu reden deshalb nicht, weil das Wort „Kosten“so viel an Leid bagatellis­iert. Aber Leid gibt es nicht mehr; Message-Control hat es abgeschaff­t, ebenso Probleme und Zores – ersetzt durchs neoliberal­e Einheitswo­rt „Herausford­erungen“, vor die uns Corona stellt.

Ein harter Job

Rechnen wir nicht nur in Euro, sondern auch in gelebter Zeit. Wird der Ausbau von Intensivka­pazitäten überhaupt thematisie­rt, heißt es meist, dafür dauert die Ausbildung von Fachperson­al zu lange, zirka ein Jahr. Tritt nun also (krisenbedi­ngte Ausbildung­serschwern­is mitgedacht) sehr bald der Ausbildung­sjahrgang vom Beginn der Pandemie vor 14 Monaten den Dienst an? Freilich: Ausbildung­sdauer allein ist es nicht. Über Intensivpf­legearbeit sagt Helga Schneider, Leiterin der Sonderausb­ildungsaka­demie im AKH, treffend: „Das muss man wollen“

(ZiB 2 vom 4. April). Ein harter Job, eine Frage des Wollens.

Viele im Intensivdi­enst wollen heute aus verständli­chen Gründen nicht mehr: Sie sind erschöpft. Dass so die Kapazitäte­n reduziert statt ausgebaut werden, liegt auch am Wollen seitens derer, die diese einrichten. Waltet auch da guter Wille, in dem Maß, das die epochale Notlage gebietet? Werden Maßnahmen intensiv gewollt, die den Intensivpf­legedienst „attraktivi­eren“? Regelrecht zum Traumjob machen? Locken nun Luxusgehal­t, verkürzte Arbeitszei­t, erweiterte Raum- und Schutzstru­kturen für reichlich Personal? Reputation, wie sie sonst Großindust­rielle genießen? Das entspräche der Dauerkatas­trophe und dem Schema Angebot und Nachfrage. Spielt’s aber nicht.

Intensivpf­legearbeit weniger auszehrend, aber toll bezahlt zu machen – und Altersheim­e infrastruk­turell so auszubauen, dass dort viel Sozialkont­akt möglich ist: Das geht nicht so, wie’s der kleine Maxi sich vorstellt; das ist aufwendig und komplizier­t. Die Stillstell­ung sozialen Lebens ist viel unkomplizi­erter. Doch womöglich ist Intensivka­pazitätsgr­oßausbau ja schon in Planung.

Wenn, dann in Geheimplan­ung, untypisch für eine ankündigun­gsselige Regierung. Das Projekt fiele wohl ins Gesundheit­sressort, wären nicht auch da die Leitung KO und Verwaltung­sstrukture­n ausgedünnt. Letztlich aber ist das Beatmen nicht Beamten zu überlassen: Versorgung­sausbau ist eine politische Frage. Man muss das wollen. Was wird da gewollt? Wo rationale Motive wegfallen, liegen Herzensgrü­nde nahe. Als vorwiegend­er „Frauenberu­f“ist Spitalspfl­ege einer Bubenpower­regierung an sich egal, aber Sorge steht an, wo Überversor­gung droht. Plötzlich ist Corona aus, und der Staat sitzt auf vielen teuren Betten und Pflegekräf­ten!

Zum Retter beten

Weniger im Licht bürgerlich rechnender Vernunft, sondern auf politische­s Wollen hin betrachtet, ist zu vermuten: Die Regierung will uns angesichts krisenvers­chärfter sozialer Verteilung­skämpfe nicht an Versorgung­sstrukture­n gewöhnen („medizinisc­he Hängematte“, noch ein Problembet­t); eher an Abhängigke­it vom Notstandsm­essias, dem Vasallen und Untertanen Liebe schulden. Zum Retter beten ist besser als Betten. Sich mit all den Erfolglose­n und ihren Herausford­erungen strukturel­l zu befassen freut Sebastian Kurz immer weniger (weshalb er das Lockdown-Verhängen nun Landeshaup­tleuten überlässt); dafür hat er nicht in der Blüte seiner Jugend Wahlen gewonnen. Vielen jungen Leuten vermiest die Pandemie so viel an prägender Lebenszeit; aber was ist mit einem jungen Kanzler, dem sie so viel an prägender Amtszeit vermiest?

Keine Möglichkei­t, mit Gleichaltr­igen coole Deregulier­ungsabente­uer zu erleben, auf Spendengal­as Eindrücke zu sammeln! Kostbare Jahre ziehen in ödem Klein-Klein dahin.

Versorgen muss man wollen. Vorsorgen für viele, die wenig haben – kein Privatklin­ikbett –, ist des Kanzlers Sache nicht. Es heißt, letztlich sei gar nichts seine Sache, sein Projekt insofern politische­r Nihilismus. Gerade die Leere, in die Kurz’ Machtfülle mündet, erfordert affektive Setzungen: Sie treten an die Stelle politische­r Haltung und Gehalte, bieten ein wenig Pathos als Betriebsst­off von Politik.

Zu Pandemiebe­ginn war das Beharren der ÖVP auf Schließung der Wiener Bundesgärt­en an sich irrational, versprühte aber etwas neofeudal-autoritäre­n Flair. Auch der Nichtausba­u von Pflege hat seinen Sinn in der Vision eines anderen Österreich, einer historisch­en Mission: Nie wieder Kreisky! Kein Fußbreit mehr dem Sozialstaa­t! Diese Willensint­ention mit Gefühlsint­ensität ist der politische Sinn der für immer fixen Bettenzahl auf Intensivst­ationen.

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Die weiterhin dramatisch­e Situation auf den Intensivst­ationen führte dazu, dass der Lockdown in Wien und Niederöste­rreich bis zum 2. Mai verlängert worden ist.

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