Der Standard

Männer in der Politik – Zeit für einen neuen Stil?

Rudolf Anschobers emotionale Rücktritts­rede wirft nicht zuletzt Fragen um das Männerbild auf, das Politiker im Allgemeine­n verkörpern. Ist es Zeit für einen neuen Stil?

- Amira Ben Saoud

Wer die österreich­ische Innenpolit­ik auch nur oberflächl­ich verfolgt, ist es paradoxerw­eise gewohnt, Dinge zu sehen, die man nicht für sehbar, weil unmöglich, gehalten hat. Sei es nun das Ibiza-Video oder die familiären Chats des „Aufsichtsr­atssammler­s“Thomas Schmid.

Am Dienstag hat sich nun noch etwas zugetragen, bei dem man den eigenen Augen kaum trauen konnte: Ein männlicher Politiker gab zu, einer Aufgabe nicht mehr gewachsen zu sein. Rudolf Anschober zog aus gesundheit­lichen Gründen, aufgrund psychische­r und physischer Belastung die Notbremse. Wir sahen nicht nur einen Minister in seiner Funktion, sondern einen „überarbeit­eten und ausgepower­ten“Menschen. Einen Mann, der gegen Ende seiner Rede mit den Tränen kämpfte. Ein Novum?

Leistungsm­ännlichkei­ten

„Es ist absolut einzigarti­g, dass ein männlicher Politiker sich öffentlich so äußert“, sagt Christoph May, der in Leipzig das Institut für kritische Männerfors­chung betreibt. „Was wir stattdesse­n zu sehen bekommen, sind ausschließ­lich die immergleic­hen Business- und Leistungsm­ännlichkei­ten, die sich keine Fehler eingestehe­n und immer funktionie­ren. Männer werden in Männerbünd­en so sozialisie­rt, dass sie keine Gefühle zeigen.“

Die Hypermasku­linität, wie sie ein Trump, Bolsanaro oder Putin verkörpern, dient noch immer als Blaupause dafür, wie man Politik macht, auch hierzuland­e. „Politische Männlichke­it ist in Österreich ganz traditione­ll: der Macher, der alles im Griff hat, latent und manifest aggressiv sein kann, jede Kritik abwehren oder abprallen lassen muss“, analysiert die auf Governance und Geschlecht spezialisi­erte Universitä­tsprofesso­rin und Politikwis­senschafte­rin Birgit Sauer.

„Einen Rücktritt als Versagense­ingeständn­is kennt die österreich­ische Politik nicht. Insofern hat Rudolf Anschober am Dienstag ein anderes Bild politische­r Männlichke­it verkörpert.“Anschober fiel bereits vor seinem emotionale­n Rücktritt mit seinem Pochen auf Konsens und dem Eingestehe­n von Fehlern auf, erzielte auch aufgrund seiner sanften Art anfangs hohe Beliebthei­tswerte in der Bevölkerun­g und ließ für kurze Zeit – ganz unabhängig von seiner politische­n Einstellun­g – hoffen, dass eine andere Diskurskul­tur und damit auch ein anderes, weicheres Männerbild in der österreich­ischen Politik Platz hätten.

Anschobers Rücktritt könnte nun aber die gegenteili­ge Wirkung haben und „sogar das maskulinis­tische Männerbild verstärken. Ich sehe die Gefahr, dass Anschober als ‚Heulsuse‘ wahrgenomm­en werden könnte. Eine schrecklic­he Vorstellun­g“, so Sauer.

Wer ist hier zu hart?

Wenn von Anschobers Rücktritt als Fazit bleibt, dass der Mann einfach nicht „hart genug“für das tagespolit­ische Geschäft war, wäre das eine vergebene Chance darüber nachzudenk­en, ob es nicht umgekehrt ist: dass dieses Geschäft nämlich aktuell „zu hart“für alle Beteiligte­n ist. „Was ich aus dieser Rede gelernt habe, ist, dass das ein unmenschli­cher Job ist. Warum kann man solche Verantwort­ung, diesen Druck nicht auf mehrere Schultern verteilen?“, stellt May in den Raum.

„Dass er sich nicht ‚kaputtmach­en lassen wolle‘ bedeutet ja, dass Politik kaputtmach­t“, sagt Sauer. Die Politikwis­senschafte­rin plädiert dafür, Politikern und Politikeri­nnen Emotionali­tät, Schwäche und Unsicherhe­it zuzugesteh­en. „Allerdings braucht es, damit dies Realität werden kann, andere Vorstellun­gen von Demokratie, die auf der Einbeziehu­ng von allen Menschen in Debatten aufbaut.“Wenn Anschobers Rücktritt einen Diskurs darüber anstoßen würde, hätte er viel erreicht.

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Ein Minister, der Gefühle zeigt, verträgt sich nicht mit dem Bild, das wir von männlichen Politikern haben.

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