ZITAT DES TAGES
Korrespondenten und Journalistinnen über persönliche Angriffe auf Medienvertreter in Ungarn und Slowenien
„Wer sich nicht auf die Seite der Regierung stellt, ist ein Feind der Regierung und des Landes.“
Cathrin Kahlweit, Korrespondentin der „Süddeutschen Zeitung“, über persönliche Angriffe auf Medienvertreter in Ungarn
Wien – Von einer neuen Qualität persönlicher Angriffe auf ausländische Medienvertreter in Ungarn spricht Cathrin Kahlweit, Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung.
„Das kenne ich so nicht“, sagte Kahlweit bei der Diskussion des Presseclubs Concordia über Angriffe auf Journalisten und Journalistinnen in Österreichs Nachbarländern.
Sloweniens Premier Janez Janša griff den ARD-Korrespondenten Nikolaus Neumaier gerade auf Twitter an, er betreibe „Zensur im Stil von
Prawda oder Der Stürmer“, er berichte einseitig, sei „eine Schande für die ARD“.
„Mit Fragen provoziert“
Das ungarische Staatsfernsehen wiederum griff die Profil-Journalistin Franziska Tschinderle in einem dreiminütigen Beitrag an. Tschinderle und ihre Kollegin Siobhán Geets mailten EU-Abgeordneten der ungarischen Regierungspartei Fidesz Fragen zur Bildung einer Rechtsfraktion im EU-Parlament nach einem Treffen von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán mit dem Chef der italienischen Lega, Matteo Salvini, und Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki. Warum, wollten die Journalistinnen wissen, sollte das diesmal klappen nach mehreren Anläufen, die an Differenzen etwa im Umgang mit Russland und über Antisemitismus gescheitert seien.
Geets vermutet, der Begriff Antisemitismus habe so provoziert, dass statt Antworten ein Beitrag im Staatsfernsehen folgte, der Tschinderle als naiv bezeichnete. Nur „Amateurjournalisten“könnten so fragen. Der Beitrag zeigte Screenshots der Mails, ein Foto Tschinderles; sie habe Abgeordnete „mit Fragen provoziert“, hieß es.
„Wir sind nicht eingeschüchtert, sondern überrascht. Diese Heftigkeit ist selbst für ungarische Verhältnisse ungewöhnlich“, sagt Geets über die Attacke. Österreichs Außenministerium protestierte.
Als Kahlweit kritisch über das Familienbild der ungarischen Regierung berichtete, wurde ihr vorgeworfen, sie sei „eine Manipulatorin und verbreite Fake-News“. Kahlweit spricht von Arroganz der Macht: „Wer sich nicht auf die Seite der Regierung stellt, ist ein Feind der Regierung und des Landes.“Kritik an der Regierung werde als Beleidigung des Volks umgedeutet.
Repression durch die Regierung und willfährige Medien, Drohungen und Hassmails machten der Bevölkerung Angst: „Die Menschen wollen in Ungarn nicht mehr mit mir reden. Das kennt man nur aus autoritären Regimen, das ist unfassbar bedrohlich“, sagt Kahlweit. „Eine Armada wird losgeschickt, um einzelne Journalisten fertigzumachen.“Ungarn fördere auch Medien in Slowenien, Nordmazedonien und Serbien: „Da wird strategisch gearbeitet, das muss zu denken geben.“
„Wer sich nicht auf die Seite der Regierung stellt, ist ein Feind der Regierung und des Landes.“
Cathrin Kahlweit Foto: Andy Urban
Radio Free Europe
Die Lage der Medien sei aber nur ein Puzzleteil eines viel größeren Problems: eines grundlegenden Demokratieabbaus, den Orbán und seine Fidesz-Partei immer weiter betrieben. „Die haben es nicht mehr nötig, nach den Regeln zu spielen.“
Ein neues Radio Free Europe – ein US-finanziertes Programm in Landessprachen aus Zeiten des Kalten Kriegs – fände Kahlweit „eine wahnsinnig gute Idee“. Für ARDKorrespondent Neumaier könnte ein solcher Sender für „objektive Berichterstattung“sorgen und damit in Ländern wie etwa Ungarn verlorene Medienpluralität wettmachen.