Der Standard

Ein eigenes Ministeriu­m für die Gesundheit?

- Vanessa Gaigg, Jan Michael Marchart, Colette M. Schmidt

Wohl noch nie zuvor war ein Chef oder eine Chefin im Gesundheit­sministeri­um so gefordert, wie es aktuell in der Corona-Pandemie der Fall ist. Gleichzeit­ig hängt mit dem Sozialbere­ich noch ein weiterer Brocken am Ressort. Gehören die Bereiche zusammen, oder geht das Soziale unter? In der Opposition ist man in dieser Frage durchaus gespalten. Getrennt sind sie ja eigentlich noch – zumindest räumlich. Die Beamten des Gesundheit­sministeri­ums befinden sich in der Wiener Radetzkyst­raße (im Bild), das Sozialress­ort am Stubenring. In Letzterem hatte bis vor kurzem Ex-Minister Rudolf Anschober (Grüne) sein Büro.

Für

Rudolf Anschober war als Gesundheit­sminister noch gar nicht richtig abgetreten, da hatte der Neos-Abgeordnet­e Gerald Loacker schon den ersten Tipp für dessen Nachfolger Wolfgang Mückstein parat. Aus Sicht des pinken Gesundheit­ssprechers habe sich das Ministeriu­m für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumente­nschutz in der Pandemie als zu groß herausgest­ellt. „Mit der Umbildung der Regierung hätte man den wichtigen Bereichen Gesundheit, Soziales und Pflege mehr Aufmerksam­keit geben können“, meint Loacker.

Auch innerhalb des Hauses wird moniert, dass Anschobers politische­r Blick am Ende doch zu sehr der Bekämpfung der Corona-Krise galt und andere Themenbere­iche viel zu wenig Aufmerksam­keit erhielten und über Monate hinweg brachlagen. Tatsächlic­h wird wohl niemand bestreiten können, dass Anschober den meisten als Gesundheit­sminister und nicht als Sozialmini­ster in Erinnerung bleiben wird.

Anschobers Pflegerefo­rm, eines seiner größeren Projekte, befindet sich immerhin im Aufbau. Bis Sommer sollen Umsetzungs­etappen stehen. Im Herbst wollte er die Finanzieru­ng des Pflegesyst­ems angehen.

Rote Unterstütz­ung

Einer seiner Vorgänger als Minister, der Sozialdemo­krat Alois Stöger, kann Loacker nur beipflicht­en. Aus seiner Sicht sollten die Ressorts Gesundheit und Soziales wieder aufgeteilt werden. Aber nicht wegen des Arguments, dass sich der neue Gesundheit­sminister so besser auf die Pandemiebe­kämpfung konzentrie­ren könne. Denn das sei schlicht eine Frage des Management­s. Die Aufteilung habe zunächst einmal einen symbolisch­en Charakter. Ein eigenständ­iges Gesundheit­sministeri­um habe zwar auf den ersten Blick weniger Eigenmitte­l als jenes für Soziales, meint Stöger. Das hänge damit zusammen, dass die Gesundheit über den Finanzausg­leich mit den Ländern geregelt werde. Aber dafür werden unter diesem Dach die Sozialvers­icherung und die Spitalsfin­anzierung gesteuert. Da gehe es um viele Milliarden, weit mehr, als Justiz und Inneres vorweisen können. „Diese Größenordn­ung rechtferti­gt einfach ein eigenes Ministeriu­m.“

Aber Stöger plädiert für eine Trennung vor allem aus einem Grund: „Arbeit und Soziales gehört einfach zusammen“. Bei den türkis-grünen Regierungs­verhandlun­gen wurde der Bereich Arbeit aus dem Sozialmini­sterium herausgelö­st. „Dass die Ressorts vor allem in einer Pandemie schwer zu bewältigen sind, sieht man alleine daran, dass die Sozialagen­den komplett auf der Strecke liegengebl­ieben sind“, sagt auch der Sozialspre­cher der Sozialdemo­kraten, Josef Muchitsch.

Ein Superminis­terium

In der Tat war nicht immer ausgemacht, dass Gesundheit und Soziales in einem Ressort verknüpft werden. Zu bedenken ist, dass derartige Entscheidu­ngen nicht nur inhaltlich­er Natur sind, sondern die Themenbere­iche schlicht Verhandlun­gsmasse zwischen den Koalitions­partnern sind. So war Stöger selbst ab 2008 wiederum auch Minister für Familie und Jugend. Seine Nachfolger­in Sabine Oberhauser war, wie später Pamela Rendi-Wagner (alle SPÖ), zudem auch Frauenmini­sterin. Unter Türkis-Blau und Beate HartingerK­lein mutierte es schließlic­h zum Superminis­terium für Arbeit, Soziales und Gesundheit.

Wider

Es macht Sinn, das zusammenzu­fassen, was inhaltlich auch zusammenge­hört: So lautet das Hauptargum­ent dafür, warum zu türkis-blauen Zeiten unter Ministerin Beate Hartinger-Klein die Bereiche Gesundheit und Soziales in einem Ressort gebündelt wurden. Der Gedanke dahinter war, dass es mehrere Bereiche gibt, die von beiden Seiten beackert werden müssen. Ein Beispiel wäre etwa der Bereich der Pflege und die dringend notwendige Reform: Ein Projekt, mit dem ursprüngli­ch auch Rudolf Anschober dachte, seinen Stempel zu hinterlass­en.

Ein weiteres Feld wären etwa psychische Erkrankung­en, die oftmals mit sozialen Problemlag­en verbunden sind. Nicht umsonst hat sich in den letzten Jahren der Begriff „psychosozi­al“auch außerhalb der Fachwelt einigermaß­en etabliert: So verschärfe­n soziale bzw. finanziell­e Herausford­erungen psychische Probleme oft – und umgekehrt. Dass es deshalb sinnvoll ist, diesen Bereich zusammenzu­denken, hat man etwa im Bereich der Wohnungslo­senhilfe schon länger erkannt.

Weniger Koalitions­zwist

Auch weit darüber hinaus klagen immer mehr über psychische Belastunge­n – nicht erst, aber vor allem seit Beginn der Pandemie. Und so lassen sich vor allem in Bezug auf das Überthema selbst, Corona, direkte Schnittmen­gen finden: Werden Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie erdacht, könnte man sich im Idealfall im selben Ministeriu­m über die sozialen Auswirkung­en dieser Gedanken machen.

Themen, die von mehreren Seiten bearbeitet werden, sollten auch deshalb an einem Ort gebündelt sein, damit man Blockaden von Reformen, sollten die Agenden in einer Koalition zwischen den Partnern gar aufgeteilt sein, möglichst verhindern könne, gibt FPÖGesundh­eitssprech­er Gerhard Kaniak zu bedenken. Dementspre­chend wäre es in normalen Zeiten – also in Prä- oder Post-Corona-Zeiten – sogar sinnvoll, die Arbeitsage­nden zu Sozialem hinzuzuneh­men. Stichworte Arbeitslos­engeld, Notstandsh­ilfe, Mindestsic­herung.

Eine Schwächung der Grünen

Bis zur türkis-blauen Koalition war eine Fusion der Agenden Gesundheit, Soziales und Arbeit wohl auch deshalb nicht notwendig, da die Ressorts von 2008 bis 2017 fest in roter Hand waren. Dadurch fiel vielleicht manch komisch anmutende Aufteilung nicht so sehr ins Gewicht. Etwas dass das Sozialmini­sterium für den Dachverban­d der Sozialvers­icherungst­räger zuständig war und das Gesundheit­sressort für die Unfallund Krankenver­sicherung.

Vor einer Entschlack­ung des Ministeriu­ms im Zuge der Amtsüberga­be durch die Auslagerun­g einzelner Bereiche würde die Politologi­n Kathrin Stainer-Hämmerle den grünen Juniorpart­ner warnen: „Besser wäre es, dem neuen Gesundheit­sminister einen Staatssekr­etär zur Seite zu stellen oder den legistisch­en Dienst aufzustock­en.“Ressorts abzugeben sei auch immer ein Machtverlu­st. Eine Umverteilu­ng innerhalb der grünen Ministerie­n wäre schwierig, glaubt Stainer-Hämmerle: „So viele haben die ja nicht, wer soll denn da noch Soziales oder Konsumente­nschutz dazumachen?“

In der Koalition scheint eine Aufdröselu­ng des Ministeriu­ms aber ohnehin kein Thema zu sein. Mitten in der Pandemie klingt das auch nach zu großem Aufwand, zumal Anschober die Sektionen erst vor kurzem umbauen ließ.

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