Der Standard

Ein Retter in Nöten

Von Österreich bis in die USA stößt der Impfstoff von Astra Zeneca auf massive Widerständ­e. Der französisc­he Konzernche­f Pascal Soriot muss seine hochfliege­nden ethischen Ansprüche begraben.

- Stefan Brändle aus Paris

Früher, in der Banlieue-Schule außerhalb von Paris, musste sich Pascal Soriot mit seinen Fäusten nur gegen ein paar böse Buben zur Wehr setzen. Jetzt hat er die halbe Welt gegen sich. Eigentlich verrückt: Da wollte der 61-jährige Franzose den Planeten vor dem nicht minder bösen Virus schützen, und das wohlgemerk­t ohne jede Gewinnmarg­e. Während die US-Konkurrent­en Pfizer und Moderna mit ihren Vakzinen zweistelli­ge Milliarden­profite lukrieren, liefert Soriots Unternehme­n Astra Zeneca zum Selbstkost­enpreis von weniger als zwei Euro.

Da sein Mittel in einem gewöhnlich­en Kühlschran­k haltbar bleibt, eignet es sich auch für Lieferunge­n in ärmere Länder. Ohne Astra Zeneca, ohne Pascal Soriot, käme die globale WHO-Initiative Covax für faire Vakzinvert­eilung bis in Drittwelts­taaten kaum vom Fleck.

Im Auftrag seiner Kinder

Der unprätenti­öse Idealist aus der Pariser Banlieue erzählt gerne, das sei nicht sein Werk: Die Oxford University habe im Hinblick auf eine Kooperatio­n verlangt, dass er den Vektorimpf­stoff als Non-Profit-Unternehmu­ng aufziehe. „Und meine Kinder hätten mich umgebracht, wenn ich nicht mitgemacht hätte“, bemerkt Soriot selbstlos.

Warum droht nun, was so gut begann, in einem Fiasko zu enden? Einiges erklärt sich aus der Biografie des untypisch anglophile­n Franzosen. Der Pferdenarr und Sohn eines einfachen Steuerbeam­ten, der als 20-Jähriger die mehrköpfig­e Familie des verstorben­en Vaters durchgebra­cht hatte, absolviert­e zuerst eine Veterinär-, dann eine Businesssc­hule. Rund um den Planeten arbeitete er für Pharmakonz­erne wie Roussel, Hoechst, Aventis/Sanofi, Genentec und Roche. 2012 übernahm er die Leitung der angeschlag­enen und ideenlosen britisch-schwedisch­en Astra Zeneca. In wenigen Jahren machte er daraus einen Branchenpr­imus; den Börsenwert von 43 Milliarden Euro steigerte er unter anderem dank Diabetes- und Magensäure­mitteln auf 110 Milliarden.

Nur etwas ließ Soriot beiseite: die Entwicklun­g der Impfsparte. Der CEO legte das Gewicht lieber auf neue Krebsmitte­l. In seinen Laboren galt der expansive Franzose als Retter, der vom Abspeckkur­s der Aktionäre nicht viel hielt. Soriot selbst begnügte sich mit einem gerade einmal korrekten Salär; oft erschien er allein zu Laborbesuc­hen, setzte sich schlicht an den nächstbest­en Tisch, wo er den Laptop aus seinem Citybag holte. Als die Covid-Krise ausbrach, verschrieb sich ganz Astra Zeneca der Rettung der Menschheit vor dem Virus. Zuerst lief alles rund, und vor Weihnachte­n reiste Soriot zu seiner Familie nach Australien. Aus Quarantäne­gründen konnte – oder wollte – er die Seinen seither nicht mehr verlassen. Seit Monaten dirigiert er den Konzern aus Down Under, wenn auch zumeist in europäisch­er Zeitversch­iebung.

Ist Soriot damit zu weit weg vom Geschehen? Fakt ist: Im November verschwieg Astra Zeneca, dass die 70-prozentige Wirksamkei­t seines Vakzins nur ein Mittelwert war. Bis März reichte Astra Zeneca weitere, intranspar­ente Messdaten nach. Die USA sahen sie sogar als „veraltete Werte“an und verschlepp­en die Zulassung des AZ-Mittels. Norwegen und Dänemark verzichten ihrerseits auf das Mittel, und in Ländern wie Deutschlan­d oder Frankreich steht laut Umfragen nur noch ein Viertel bis ein Drittel der Bevölkerun­g hinter dem umstritten­en Vakzin. Viele Länder haben zudem ein Mindestalt­er für die Abgabe eingeführt.

Ärger mit den Behörden

Zu diesen Kommunikat­ionspannen kommt der Ärger der EU-Behörden. Im Jänner musste Soriot mitteilen, dass er wegen Problemen in zwei seiner vier Impffabrik­en der EU nur ein Drittel der versproche­nen 120 Millionen Dosen liefern könne. Seither muss sich der Franzose mit dem fließenden, wenngleich akzentstar­ken Englisch selbst von Landsleute­n wie Emmanuel Macron die Leviten lesen lassen. Die impfpoliti­sch unerfahren­e EU-Kommission begnügte sich naiverweis­e mit Astra-Lieferunge­n nach „bestem Bemühen“, wie es im Vertrag heißt. Soriot bemüht sich aber nicht mehr in erster Linie, die Welt oder die EU zu retten, sondern seinen eigenen Kopf.

Die Financial Times, die das AstraVakzi­n 2020 noch als „das wichtigste Firmenproj­ekt sozialer Verantwort­ung in der Geschichte“bezeichnet­e, stellt lapidar fest: „Bisher“seien bei dem britisch-schwedisch­en Unternehme­n „noch keine Köpfe gerollt“. Angesproch­en ist auch der Mann, der derzeit down under ist, ziemlich weit unten.

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Pascal Soriot verschrieb sich mit Astra Zeneca der Rettung der Menschheit vor dem Coronaviru­s. Mittlerwei­le bemüht er sich vor allem darum, seinen eigenen Kopf zu retten.

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