Ein Retter in Nöten
Von Österreich bis in die USA stößt der Impfstoff von Astra Zeneca auf massive Widerstände. Der französische Konzernchef Pascal Soriot muss seine hochfliegenden ethischen Ansprüche begraben.
Früher, in der Banlieue-Schule außerhalb von Paris, musste sich Pascal Soriot mit seinen Fäusten nur gegen ein paar böse Buben zur Wehr setzen. Jetzt hat er die halbe Welt gegen sich. Eigentlich verrückt: Da wollte der 61-jährige Franzose den Planeten vor dem nicht minder bösen Virus schützen, und das wohlgemerkt ohne jede Gewinnmarge. Während die US-Konkurrenten Pfizer und Moderna mit ihren Vakzinen zweistellige Milliardenprofite lukrieren, liefert Soriots Unternehmen Astra Zeneca zum Selbstkostenpreis von weniger als zwei Euro.
Da sein Mittel in einem gewöhnlichen Kühlschrank haltbar bleibt, eignet es sich auch für Lieferungen in ärmere Länder. Ohne Astra Zeneca, ohne Pascal Soriot, käme die globale WHO-Initiative Covax für faire Vakzinverteilung bis in Drittweltstaaten kaum vom Fleck.
Im Auftrag seiner Kinder
Der unprätentiöse Idealist aus der Pariser Banlieue erzählt gerne, das sei nicht sein Werk: Die Oxford University habe im Hinblick auf eine Kooperation verlangt, dass er den Vektorimpfstoff als Non-Profit-Unternehmung aufziehe. „Und meine Kinder hätten mich umgebracht, wenn ich nicht mitgemacht hätte“, bemerkt Soriot selbstlos.
Warum droht nun, was so gut begann, in einem Fiasko zu enden? Einiges erklärt sich aus der Biografie des untypisch anglophilen Franzosen. Der Pferdenarr und Sohn eines einfachen Steuerbeamten, der als 20-Jähriger die mehrköpfige Familie des verstorbenen Vaters durchgebracht hatte, absolvierte zuerst eine Veterinär-, dann eine Businessschule. Rund um den Planeten arbeitete er für Pharmakonzerne wie Roussel, Hoechst, Aventis/Sanofi, Genentec und Roche. 2012 übernahm er die Leitung der angeschlagenen und ideenlosen britisch-schwedischen Astra Zeneca. In wenigen Jahren machte er daraus einen Branchenprimus; den Börsenwert von 43 Milliarden Euro steigerte er unter anderem dank Diabetes- und Magensäuremitteln auf 110 Milliarden.
Nur etwas ließ Soriot beiseite: die Entwicklung der Impfsparte. Der CEO legte das Gewicht lieber auf neue Krebsmittel. In seinen Laboren galt der expansive Franzose als Retter, der vom Abspeckkurs der Aktionäre nicht viel hielt. Soriot selbst begnügte sich mit einem gerade einmal korrekten Salär; oft erschien er allein zu Laborbesuchen, setzte sich schlicht an den nächstbesten Tisch, wo er den Laptop aus seinem Citybag holte. Als die Covid-Krise ausbrach, verschrieb sich ganz Astra Zeneca der Rettung der Menschheit vor dem Virus. Zuerst lief alles rund, und vor Weihnachten reiste Soriot zu seiner Familie nach Australien. Aus Quarantänegründen konnte – oder wollte – er die Seinen seither nicht mehr verlassen. Seit Monaten dirigiert er den Konzern aus Down Under, wenn auch zumeist in europäischer Zeitverschiebung.
Ist Soriot damit zu weit weg vom Geschehen? Fakt ist: Im November verschwieg Astra Zeneca, dass die 70-prozentige Wirksamkeit seines Vakzins nur ein Mittelwert war. Bis März reichte Astra Zeneca weitere, intransparente Messdaten nach. Die USA sahen sie sogar als „veraltete Werte“an und verschleppen die Zulassung des AZ-Mittels. Norwegen und Dänemark verzichten ihrerseits auf das Mittel, und in Ländern wie Deutschland oder Frankreich steht laut Umfragen nur noch ein Viertel bis ein Drittel der Bevölkerung hinter dem umstrittenen Vakzin. Viele Länder haben zudem ein Mindestalter für die Abgabe eingeführt.
Ärger mit den Behörden
Zu diesen Kommunikationspannen kommt der Ärger der EU-Behörden. Im Jänner musste Soriot mitteilen, dass er wegen Problemen in zwei seiner vier Impffabriken der EU nur ein Drittel der versprochenen 120 Millionen Dosen liefern könne. Seither muss sich der Franzose mit dem fließenden, wenngleich akzentstarken Englisch selbst von Landsleuten wie Emmanuel Macron die Leviten lesen lassen. Die impfpolitisch unerfahrene EU-Kommission begnügte sich naiverweise mit Astra-Lieferungen nach „bestem Bemühen“, wie es im Vertrag heißt. Soriot bemüht sich aber nicht mehr in erster Linie, die Welt oder die EU zu retten, sondern seinen eigenen Kopf.
Die Financial Times, die das AstraVakzin 2020 noch als „das wichtigste Firmenprojekt sozialer Verantwortung in der Geschichte“bezeichnete, stellt lapidar fest: „Bisher“seien bei dem britisch-schwedischen Unternehmen „noch keine Köpfe gerollt“. Angesprochen ist auch der Mann, der derzeit down under ist, ziemlich weit unten.