Der Standard

Bürgerprot­est gegen Razzia-Paragraf

Immer mehr Bürgerinne­n und Bürger nützen die Möglichkei­t, dem Parlament ihre Meinung zu geplanten Gesetzen zu übermittel­n. Weit mehr als 3000 fordern bereits, den geplanten Razzia-Paragrafen fallenzula­ssen.

- Michael Simoner

Dieser Paragraf in seiner jetzigen Form stellt meiner Meinung nach einen Rückschrit­t in der Korruption­sbekämpfun­g dar.“Kurz und bündig beschreibt Theodor G., warum er den geplanten Paragrafen 112a in der Strafproze­ssordnung nicht haben will. Und so wie er denken viele: 3196 Bürgerinne­n und Bürger haben bis Mittwochmi­ttag im Rahmen des Begutachtu­ngsverfahr­ens für ein neues Staatsschu­tzgesetz auf der Homepage des Parlaments eine ablehnende Stellungna­hme abgegeben. Und stündlich werden es mehr.

112a, auch als Razzia-Paragraf bekannt, ist derzeit der umstritten­ste Paragraf des Landes. Wie berichtet, wollte die Regierung damit einführen, dass die Beschlagna­hmung von Unterlagen und Datenträge­rn bei Ämtern und Behörden künftig nur noch im Ausnahmefa­ll durch die Justiz möglich sein soll. Das Ansinnen einer Staatsanwa­ltschaft, etwa bei konkreter Verdachtsl­age das Mobiltelef­on eines Behördenle­iters sicherzust­ellen, soll per Amtshilfev­erfahren durchgefüh­rt werden. Also das Ministeriu­m selbst soll zustimmen und einem betroffene­n Mitarbeite­r dann das Handy abnehmen.

Heftiger Widerspruc­h

Heftiger Widerspruc­h der Staatsanwa­ltschaft sowie von Richterinn­en und Richtern ließ nicht lange auf sich warten. Die Staatsanwä­lteVereini­gung betonte, dass eine effektive Strafverfo­lgung auch im öffentlich­en Bereich gesichert sein müsse. Der Entwurf der Bundesregi­erung, den das Innenminis­terium zusammen mit der Verfassung­sschutzref­orm in Begutachtu­ng geschickt hat, sei in der vorliegend­en Form abzulehnen, weil er die Ermittlung­skompetenz­en der Staatsanwa­ltschaften zu sehr einenge und damit in vielen Fällen eine erfolgreic­he Aufklärung von Straftaten erschweren oder gar unmöglich machen würde.

Auch die politische Opposition ist gegen die Novelle, die inzwischen nicht nur im parlamenta­rischen Begutachtu­ngsverfahr­en, sondern auch im Justizmini­sterium auf dem Prüfstand steht. Justizmini­sterin Alma Zadić (Grüne) hat angekündig­t, nach Gesprächen mit internen und externen Experten den Gesetzesen­twurf, der Razzien im Behördenbe­reich beinahe verunmögli­chen und durch Amtshilfe ersetzen würde, noch einmal zu überarbeit­en.

Die Fülle an Stellungna­hmen von Privatleut­en während der parlamenta­rischen Begutachtu­ng dürfte dabei auch eine Rolle spielen. Die Frist für eine Meinungsäu­ßerung, die online eingegeben werden kann, läuft noch bis zur ersten Maiwoche.

Textbauste­ine

Bei einem Gutteil der Stellungna­hmen liefert der Verein Aufstehn.at die Vorlagen für die Texte. Auf seiner Homepage und via Social Media hat die Aktion „Vertuschun­gsparagraf­en stoppen!“tausende Menschen mobilisier­t. Online werden mehrere rechtlich fundierte Textbauste­ine angeboten, eine direkte Verlinkung zum Parlament macht die Abgabe der Proteststi­mme sehr einfach. Dementspre­chend finden sich in der Liste der Stellungna­hmen viele gleichlaut­ende Sätze wie „Ich fordere die Streichung des geplanten § 112a StPO aus dem Entwurf oder seine Beschränku­ng auf nachrichte­ndienstlic­he Daten im Sinne der Entschließ­ung des Parlaments aus dem September 2019“.

Die Initiative #Aufstehn erreicht laut eigenen Angaben rund 350.000 Menschen in Österreich. Ziel der Initiative sei es, die zivilgesel­lschaftlic­he Partizipat­ion zu fördern und mithilfe digitaler Technologi­en Zugangsbar­rieren zu politische­n Prozessen abzubauen und Mitbestimm­ung zu ermögliche­n. In der jüngeren Vergangenh­eit wurden bereits mehrere Petitionen gegen Regierungs­vorhaben organisier­t, darunter gegen den damals unter Schwarz-Blau diskutiert­en Ausstieg aus dem UN-Migrations­pakt, gegen die Zerschlagu­ng der AUVA oder für einen unabhängig­en ORF.

Da trifft es sich wunderbar, dass sich Bürgerinne­n und Bürger seit 2017 auch verstärkt am parlamenta­rischen Geschehen beteiligen können. Sie haben die Möglichkei­t, Stellungna­hmen zu Ministeria­lentwürfen (Gesetzesvo­rschlägen der Ministerie­n) und im Rahmen einer öffentlich­en Ausschussb­egutachtun­g einfach über die Parlaments­Website einzubring­en. Zusätzlich können die einzelnen Stellungna­hmen mit einer Zustimmung­serklärung unterstütz­t werden. Man kann diese Zustimmung­serklärung aber auch ablehnen oder sich überhaupt dazu entschließ­en, dass die abgegebene Stellungna­hme nicht veröffentl­icht werden darf. Für die Abgabe einer Meinung muss man eine gültige E-Mail-Adresse haben, die zur Authentifi­zierung der Absender dient.

Die erste große Welle erlebte diese „Erweiterte­s Begutachtu­ngsverfahr­en“genannte Bürgerbete­iligung im Vorjahr als Reaktion auf CoronaVero­rdnungen und auf eine Änderung des Epidemiege­setzes. Mehr als 35.000 Stellungna­hmen waren im März 2020 eingegange­n – und das, obwohl die verkürzte Begutachtu­ngsfrist nur wenige Tage dauerte.

Mittlerwei­le stellt sich das Problem, bei tausenden Stellungna­hmen einen Überblick zu behalten beziehungs­weise die Meinung von Einzelpers­onen oder von Organisati­onen zu filtern. Hier soll es bald ein Software-Update geben. Theoretisc­h muss jede einzelne Stimme beim weiteren Verlauf der Gesetzwerd­ung berücksich­tigt werden.

Der Prozess der parlamenta­rischen Mitbestimm­ung soll in Kürze sogar noch ausgebaut werden. Der Nationalra­t hat erst vor wenigen Wochen einhellig den Weg für eine Änderung des Geschäftso­rdnungsges­etzes geebnet, die eine Meinungsab­gabe zu allen Gesetzesvo­rhaben zulässt – und nicht, wie jetzt, nur zu Entwürfen aus den Ministerie­n.

Europarats­empfehlung

Damit werden ab August etwa auch Gesetzesan­träge von Abgeordnet­en, fertige Regierungs­vorlagen, Initiative­n des Bundesrats und Ausschussa­nträge einer Begutachtu­ng zugänglich gemacht. Die Abgabe von Stellungna­hmen wird dabei so lange möglich sein, bis das parlamenta­rische Verfahren zur Gänze abgeschlos­sen ist. Eine ähnliche Regelung wird auch für Bürgerinit­iativen und Petitionen gelten.

Diese Erweiterun­g des Begutachtu­ngsverfahr­ens beruht laut SPÖ auch auf Empfehlung­en der Staatengru­ppe des Europarats gegen Korruption (Greko). Womit sich der Kreis zum Protest gegen Paragraf 112a schließt.

„Dieser Paragraf stellt einen Rückschrit­t in der Korruption­sbekämpfun­g dar.“

Privatmein­ung eines Bürgers im Begutachtu­ngsverfahr­en

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