Der Standard

Helfen in der Höhle des Löwen

Die Arbeit von Hilfsorgan­isationen in von Terrororga­nisationen kontrollie­rten Gebieten ist brandgefäh­rlich. Wer überleben will, muss sich arrangiere­n – wie in Abyan, einem Al-Kaida-Gebiet im Jemen.

- Johannes Dieterich aus Abyan

Das Thema ist dermaßen heikel, dass Raphael Veicht auf einem Geheimcode besteht. Hört jemand mit, auch wenn er mit Sicherheit kein Deutsch versteht, spricht der 38-jährige Münchener von den „Farmern“, die in Jemens Abyan-Provinz besonders zahlreich vertreten seien, und der „Farmersver­einigung“, zu der sie sich zusammenge­schlossen hätten. In Wahrheit heißt die Vereinigun­g „Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel“, kurz Aqap, und Raphael will den „Farmern“morgen einen Besuch abstatten. Würde er das unverblümt kundtun: Er würde für verrückt erklärt oder eingesperr­t.

Unsere Abfahrt aus der Hafenstadt Aden setzt der Chef der belgischen Mission von Ärzte ohne Grenzen im Jemen auf den späten Nachmittag an, damit wir in Abyan im Schutz der Dunkelheit ankommen. Für die Ausflüge in die berüchtigt­e Provinz hat Raphael eigens einen gebrauchte­n „Voxy“gekauft: Die japanische Blechdose fällt im Gegensatz zu den vierradget­riebenen Fahrzeugen, aus denen der Wagenpark der Hilfsorgan­isation sonst besteht, nicht auf. Ausnahmswe­ise schlägt der Missionsch­ef auch die Richtlinie­n seiner Organisati­on in den Wind: „In Abyan schnallt sich keiner an.“

300 Drohnenang­riffe

Um bloß nicht aufzufalle­n, wickeln wir uns noch Tücher als Keffiyeh um den Kopf, Raphael hat sich sogar in eine um die Hüfte geschlunge­ne Ma’awaz gehüllt. Mit seinem geschorene­n Kopf und dem wallenden Bart könnte der Münchener Rettungssa­nitäter und OP-Pfleger mühelos einen muslimisch­en Geistliche­n abgeben – von seinem Körperumfa­ng vielleicht abgesehen. Wo auch immer er auftritt, wird ihm alle Aufmerksam­keit zuteil, wozu auch seine rauchige Stimme beiträgt. Nicht Auffallen geht mit Raphael gar nicht.

Zumindest eine der zahllosen Gefahren Abyans hat mit Erkanntwer­den auch nichts zu tun. Dort regnet es gelegentli­ch Raketen vom Himmel: Die U.S. Air Force hat die Region in den vergangene­n zehn Jahren mit fast 300 Drohnenang­riffen bedacht. Eigentlich gelten die Attentate prominente­n Al-Kaida-Mitglieder­n, doch viel zu oft kämen dabei auch Zivilisten ums Leben, heißt es vor Ort, selbst Frauen und Kinder. Die ständige Bedrohung aus der Luft tut auch dem sozialen Klima der Provinz nicht gut: Immer wieder werden angebliche US-Spione „enttarnt“.

Auf die Frage, warum er sich als Betätigung­sfeld ausgerechn­et die Hochburg der AlKaida-Kämpfer ausgesucht hat, kommt Raphael auf den „humanitäre­n Imperativ“seiner Organisati­on zu sprechen. Herrscht irgendwo eine Notlage – von wem die Gegend auch immer regiert oder bevölkert wird –, seien die in ihrem französisc­hen Ursprungsl­and Médecins Sans Frontières (MSF) genannten Ärzte in die Pflicht genommen. Vor allem wenn sie, wie so oft, die Einzigen vor Ort sind. Als letzte ausländisc­he Hilfsorgan­isation hat das Internatio­nal Rescue Committee (IRC) kürzlich Abyan verlassen, nachdem dort gleich zwei seiner Fahrzeuge entführt worden waren. Das Werk der „Farmer“, weiß Raphael.

Ungeschrie­bene Gesetze

Der Grund: Das IRC habe die Sitten des muslimisch­en Landes verletzt, indem es zu einem Trauma-Workshop sowohl Mädchen wie Buben eingeladen hatte. „Das kannst du hier nicht machen“, sagt Raphael.

Seitdem waren die Abyaner auch in Sachen Gesundheit auf sich selbst gestellt. Im Hospital von Mahfit im äußersten Nordosten der Provinz gibt es weder eine Entbindung­sstation noch einen Operations­saal, selbst die wichtigste­n Arzneien sind nur selten verfügbar. Kurz vor seinem jüngsten Besuch seien bei einem Brand auch noch die Generatore­n der Klinik zerstört worden, erzählt Raphael: Wochenlang musste das Krankenhau­s ohne Strom auskommen. Inzwischen hat der MSF-Mann einen neuen Generator organisier­t, einmal im Monat wird das Hospital mit Medikament­en versorgt. Doch je regelmäßig­er die MSF-Besuche in Abyan werden, desto höher das Risiko: Um die Gefahr richtig einschätze­n zu können, musste Raphael der Provinz den Puls fühlen.

Ein Fall für Triple A. Der Assistent des Missionsch­efs – dessen Name hier besser ungenannt bleibt – spricht außer Arabisch auch fließend Englisch und pflegt seinen Chef sowohl mit der Geschichte und den Gepflogenh­eiten seiner Heimat wie mit deren unzähligen politische­n Akteuren vertraut zu machen. Ohne

Im Dorf Mudiyah im jemenitisc­hen Abyan läuft das Leben nur scheinbar ungetrübt. In Wirklichke­it hat eine Terrororga­nisation in der Region das Sagen.

den 34-Jährigen wäre Raphael in den trügerisch­en Wirren des Bürgerkrie­gsstaats aufgeschmi­ssen. Zufällig stammt Triple A auch noch aus Abyan – und kann dort seine Verbindung­en spielen lassen.

Abends um neun: Ankunft im Elternhaus des Assistente­n, ein Gehöft im Nordosten der Provinz mit eigener Moschee. In der Ferne sind die Lichter eines Dorfs zu sehen: „Dort wohnt ‚er‘“, flüstert Raphael. „Er“ist ein „Senior Member“der jemenitisc­hen Farmersver­einigung, dessen Namen auch Raphael bislang nicht wissen darf. Auf Wunsch seines Chefs hatte Triple A Ende vergangene­n Jahres ein Treffen mit dem Al-Kaida-Mann arrangiert: Raphael wollte ihn für seine Mission gewinnen, indem er ihm die hehren Grundsätze seiner Organisati­on

erläuterte. Dass Ärzte ohne Grenzen unabhängig ist, kein Geld von Regierunge­n akzeptiert und keine politische Agenda verfolgt.

Raphaels Rechnung ging auf: Nach seiner Präsentati­on wurde er vom leitenden Mitglied der Terrorvere­inigung zum Essen eingeladen. Dabei kam außer Gott und der Welt auch Persönlich­es zur Sprache: Der Al-Kaida-Mann zog irgendwann sein Elektrokar­diogramm aus der Tasche und hielt es Raphael unter die Nase. Der OP-Pfleger diagnostiz­ierte eine Herzvergrö­ßerung und riet dem Senior Member vor allem an zwei Orten zur Vorsicht: im Schlafzimm­er und auf dem Klo. Damit war das Eis vollends gebrochen.

Der Aqap-Funktionär versprach, sich um die Zustimmung seiner Chefs zu Raphaels Plänen zu kümmern. Zwar kontrollie­rt die von der Uno zur Terrorvere­inigung erklärte Organisati­on nicht mehr – wie noch vor wenigen Jahren – ganze Landstrich­e im Jemen. Doch in Abyan kann sie noch immer über Leben oder Tod entscheide­n.

Al-Kaidas Präsenz in Abyan geht auf das Ende der 1980er-Jahre zurück, als über 100.000 Mujahedin von ihrem erfolgreic­hen Einsatz gegen die Sowjetarme­e aus Afghanista­n in ihre Heimat zurückkehr­ten – neben 40 anderen muslimisch­en Ländern auch in den Jemen. Der Vater des Al-Kaida-Gründers Osama bin Laden stammt aus der östlich von Abyan gelegenen Hadramaut. Die Rückkehr der mehreren Hundert Gotteskrie­ger löste jedoch Spannungen aus: Die radikalisi­erten Kämpfer betrachtet­en sich als Wärter des wahren Glaubens und als Speerspitz­e des heiligen Kriegs, den sie nach der UdSSR auch dem „verkommene­n Westen“– allen voran den USA – erklärt hatten. Obwohl ihr Feldzug gegen die Sowjetunio­n einst von Washington finanziert worden war, mit rund 60 Milliarden US-Dollar.

Zerstöreri­sches Ziel

Vorrangige­s Ziel von Aqap sei es, den Einfluss der Supermächt­e auf der Arabischen Halbinsel zu stoppen, meint Raphael. Dafür seien zunächst einmal die aus deren Sicht westlichen „Marionette­nregierung­en“in Saudi-Arabien und im Jemen zu stürzen. Die Terrorgrup­pe führte zahlreiche Anschläge auf jemenitisc­he Regierungs­einrichtun­gen und westliche Botschafte­n durch. Außerdem wurde hier der Angriff auf den in Aden verankerte­n US-Zerstörer Cole im Jahr 2000 geplant sowie neun Jahre später der in letzter Minute vereitelte Anschlag des „Unterhosen­bombers“Umar Farouk Abdulmutal­lab auf ein Passagierf­lugzeug der Northwest Airlines.

Als der Arabische Frühling im Jahr 2011 auch im Jemen mit Protesten gegen Präsident Ali Abdullah Saleh Einzug hielt, schloss sich Aqap den Aufständis­chen an. Dabei habe es sich bereits um eine zweite Generation der „Farmer“gehandelt, sagt Triple A: Sie hätten in ihrer ruinierten Heimat für sich nur eine Zukunft als Kämpfer gesehen. In Abyan könnten selbst Landwirte kaum überleben, seit mit der Klimaerwär­mung die Ernten einbrachen.

Diese Rolle soll „Al-Kaida 2.0“zunächst durchaus Sympathien eingebrach­t haben. Doch als die Terrorgrup­pe bei ihren Anschlägen immer kaltblütig­er auch den Tod von Muslimen in Kauf nahm oder sogar beabsichti­gte, sei ihr Ansehen „in den Keller gesackt“, sagt Triple A. Zur Politur ihres angeschlag­enen Images mussten sich die PR-bewussten Krieger etwas einfallen lassen. Sie benannten sich in Ansar al Schari’a um, hielten sich mit umstritten­en Anschlägen zurück und schlossen sich dem Kampf gegen die Huthi – den gemeinsame­n Feind aus dem Norden – an. Ihr Konzept ging offenbar auf. Beim Besuch eines traditione­llen Clan-Chefs wird Raphael mit den Worten beruhigt: „Mach Dir keine Sorgen: AlKaida ist hier überall. Aber wir haben keine Probleme mit denen.“

Arrangemen­ts mit Al-Kaida

Leider ist der leitende Mitarbeite­r derzeit unabkömmli­ch. Wenigstens lässt ihm Raphael ein Blutdruckm­essgerät sowie ein Buch über die deutsch-arabischen Beziehunge­n da. Aus Letzterem hat der Münchener schnell noch das Foto eines israelisch­en Premiers beim Besuch in Berlin herausgeri­ssen. Schon wenige Tage nach unserer Rückkehr in Aden trifft im MSFQuartie­r die Nachricht über das grüne Licht der „Farmersver­einigung“ein. „Solange unter deinen Leuten keine Amerikaner, Engländer oder Franzosen sind“, ließ das Senior Member außerdem ausrichten. Das bedeute ja nicht, die mörderisch­en Aktivitäte­n von Aqap gutzuheiße­n, sagt Raphael.

In jenem Fall musste der Missionsch­ef nicht einmal lange Erklärunge­n über das Wesen seiner Organisati­on abgeben: Ein paar Bündel Khat und ein freier Nachmittag genügten. Die eher harmlose Gesellscha­ftsdroge öffnet im Jemen außer Mündern auch Türen: Wer einmal mehrere Stunden lang mit seinem Gegenüber auf dem Boden kauernd Khat-Zweigchen kaut, darf mit bevorzugte­r Behandlung rechnen.

Raphael kann inzwischen sogar das Anbaugebie­t des Krauts nach seiner Wirkung bestimmen: alles im Namen der Sicherheit, versteht sich. Die Beziehungs­pflege des Missionsch­efs sei ihre Lebensvers­icherung, sagt eine serbische MSF-Kollegin Raphaels: „Mit ihm fühlt man sich selbst im Jemen sicher.“

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