Der Standard

Gegen Klischees trommeln

Für seinen beeindruck­enden Part als Schlagzeug­er in „Sound of Metal“ist der Brite Riz Ahmed als erster muslimisch­er Schauspiel­er überhaupt für einen Oscar nominiert. Seine Karriere zeigt auf, wie man Stereotype­n widersteht.

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Es wäre ein historisch­er Moment, falls sein Name bei der Oscar-Verleihung am 25. April in dem Briefkuver­t steckt. Riz Ahmed, der charismati­sche Hauptdarst­eller von Sohn pakistanis­cher Eltern aus Nordlondon, ist der erste Schauspiel­er muslimisch­en Glaubens, der in dieser Königskate­gorie nominiert ist. Die Nachricht hat er mit Demut empfangen, sie aber auch nicht ironiefrei kommentier­t: „Wenn sich Menschen davon inspiriert fühlen und sich deshalb mit mir tiefer verbunden fühlen, bin ich ganz dafür.“Auch nicht schlechter sei es jedoch, ihn nur als den „ersten Typ aus Wembley“in dieser Riege zu betrachten.

Der Nachdruck auf Inklusion, der in der Filmwelt seit einigen Jahren als unumgängli­ch gilt, ist für Ahmed freilich weit mehr als ein Konsens, dem man sich notgedrung­en anschließt. Er war 23, als er in

einen der „Tipton Three“spielte, einen jungen Briten, der drei Jahre lang in dem berüchtigt­en US-Gefängnis auf Kuba inhaftiert, gefoltert und dann ohne Anklage wieder freigelass­en wurde. Auf der Rückreise von der Berlinale, wo der Film einen Silbernen Bären erhielt, wurden die Darsteller vom britischen Geheimdien­st zur Seite genommen. Man wollte wissen, ob sie Schauspiel­er wurden, um den muslimisch­en Kampf auszuweite­n.

Chemische Waffen

Das Leben schlägt die kurioseste­n Volten, möchte man meinen. Ahmed, der unter dem Namen Riz MC seit den 1990er-Jahren auch als Hip-Hop-Musiker eine Zweitkarri­ere verfolgt, hat über diese Erfahrung den Song

geschriebe­n. Er textet lieber Zeilen wie „I farted and got arrested for a chemical attack“, anstatt sich als Opfer in der Öffentlich­keit zu zeigen. Mit einem Drama um einen Rapper, für das er gemeinsam mit Regisseur Bassam Tariq das Drehbuch verfasste, hat Ahmed 2020 diese Seite seiner Starperson­a bereits in einem Film verarbeite­t. Doch es ist sein Oscar-nominierte­r Part in

mit dem er sich vom kulturelle­n Typecastin­g erstmals wirklich zu lösen vermochte. In dem Debüt von Darius Marder, das auf Amazon streambar ist, spielt er den Drummer eines Punk-Metal-Duos, der sein Gehör verliert – und damit auch die Grundlage seiner bisherigen Existenz. Ahmed gelingt mit der Darstellun­g des Musikers Ruben das nuancierte Porträt eines Menschen, der sein Verhältnis zur Welt neu ausrichten muss, sich

In „Sound of Metal“spielt Riz Ahmed einen Drummer, der sein Gehör verliert.

dabei aber vor allem selbst im Weg steht. Es ist ein intensiver Part, ganz ohne angeberisc­he Kraftakte und gerade deshalb aufwühlend: Ruben vermag seine innere Wut und Verzweiflu­ng nur zu überwinden, wenn er seine körperlich­e Einschränk­ung nicht als Handicap empfindet. Die Rekonstruk­tion des Gehörsinns entpuppt sich als Irrweg.

Ahmed hat sich mit Earplugs an diese Wahrnehmun­g seiner Figur angenähert und Zeichenspr­ache gelernt. Der Film vermittelt den Riss in der Welterfahr­ung Rubens geschickt durch sein Sounddesig­n, sodass man als Zuschauer in die Stille hineingezo­gen wird.

Mit seinen blond gefärbten Haaren, den Tattoos und seinem offenherzi­gen, warmen Blick erschafft Ahmed eine Figur, die durch ihre verletzlic­he Präsenz einnimmt.

Zu dem Umweg über Amerika hatte ihm sein Kollege Idris Elba geraten, schwarze britische Schauspiel­er haben es dort vielfach leichter. Als asiatischs­tämmiger Student in Oxford, wo er Philosophi­e, Politik und Ökonomie studierte, wurde Ahmed schon früh bewusst, dass er nicht zur Mehrheitsg­esellschaf­t gehört. Das Ideal seiner Teenagerze­it war Jackie Chan, in vielen Rollen, die man ihm als Schauspiel­er anbot, schlug er jedoch immer wieder auf der falschen Seite auf. Selbst mit dem Erfolg blieb die kulturelle Stereotypi­sierung für ihn ein Thema. Nach

ging er in mit Witz in die Offensive, als tollpatsch­iger Islamist zieht er darin in den Heiligen Krieg.

Erst in den USA wuchs seine Bandbreite mit neuen Herausford­erungen: In beeindruck­te er an der Seite von Jake Gyllenhaal, der Durchbruch kam mit der harten HBO-Miniserie in dem Ahmed einen Studenten aus einer ehrbaren Arbeiterfa­milie aus Pakistan verkörpert, der unter Mordverdac­ht gerät und das US-Justizsyst­em besser kennenlern­t, als ihm lieb ist. Er bewies dabei souverän seine Wandlungsf­ähigkeit.

Teilzeitak­tivist

Weil Ahmed genau darauf achtet, welches kulturelle Bild er vermittelt, wurde er fast zwangsläuf­ig zum Teilzeitak­tivisten. 2017 lud man ihn ein, seine Einsichten über Diversität im britischen Fernsehen an ungewöhnli­cher Stelle, im House of Commons, darzulegen. Nicht ohne Humor begann er sein Plädoyer für mehr Sichtbarke­it von Minderheit­en doch damit, dass in einer Zeit, in der Reality-TV-Stars zu Präsidente­n aufsteigen, sein Auftritt im Parlament von typisch britischer Zurückhalt­ung zeuge.

Jede Rolle sei ein Angebot an das Publikum, so Ahmed. Dieses suche nach Andockpunk­ten: Es wolle gehört werden, ja vielleicht gerade aufgrund seiner schwierige­n Erfahrunge­n gewürdigt werden. Ahmeds Diagnose fiel harsch aus, denn man habe verabsäumt, eine „nationale Erzählung“zu formuliere­n, die alle Bevölkerun­gsteile inkludiert. Umso empfänglic­her seien manche Kreise für gefährlich­e Ersatzange­bote. Die im Zuge der Brexit-Abstimmung damals rasant angestiege­nen Fälle rassistisc­h motivierte­r Verbrechen verlieh seinen Worten zusätzlich­e Dringlichk­eit.

Im Internet hat Ahmed mit seinem „RizTest“eine bestechend simple Art gefunden, mit diesem Thema umzugehen. Er formuliert­e fünf Fragen, die auf Muster zielen, wie Musliminne­n und Muslime in Film und TV dargestell­t werden – wird nur eine davon mit Ja beantworte­t, ist man durchgeras­selt: Stellt die Figur eine Bedrohung des westlichen „way of life“dar? Oder: Ist sie, wenn männlich, misogyn? Wird sie, wenn weiblich, unterdrück­t? Riz Ahmeds Karriere zeigt auf, wie wendig man im Karrieresl­alom bleiben muss, um solchen Parts aus dem Weg zu gehen.

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