Der Standard

Die Sozialdemo­kratie und ihr Haussegen

Das Ausscheren des Burgenland­s aus dem Ostregion-Lockdown hat einen schon lange schwelende­n Konflikt im roten Haushalt auf den Balkon verlagert. Corona ist nur der Anlass, nicht die Ursache.

- Oona Kroisleitn­er, Wolfgang Weisgram

Dass in der SPÖ der Haussegen schief hängt, ist bekannt. Neu ist, dass die Protagonis­ten zum Streiten wieder auf den Balkon gehen; zum Gaudium der Nachbarn zweifellos. Teller fliegen und Hackeln; da und dort hat es einer schon klirren gehört. Kann gut sein, dass die Streithans­eln und -greteln schon dabei sind, Porzellan zu zerschlage­n.

Auslöser war der burgenländ­ische Sonderweg in der Ostregion. Bundeschef­in Pamela Rendi-Wagner kritisiert­e ihren Parteifreu­nd Hans Peter Doskozil unverhohle­n. Michael Ludwig, Wiener Bürgermeis­ter, gab seiner Parteichef­in recht, wenn auch unter Bedachtnah­me auf die ihm eigene Zurückhalt­ung. Doskozil retournier­te. Corona sei, richtete er Rendi-Wagner spitz aus, „kein Spielfeld für parteipoli­tische Profilieru­ngsversuch­e“. Und weil Ludwig meinte, Doskozil sei schon solidarisc­h, aber eben mit dem Bundeskanz­ler, erinnerte ihn Doskozil an seine vielen gemeinsame­n Pressekonf­erenzen mit Sebastian Kurz.

Das Kopfschütt­eln

Ludwig ist keiner, der in der Öffentlich­keit poltert. Deutlich wurde aber schon, dass man in Wien alles andere als glücklich ist über den Alleingang des Parteikoll­egen, der vor wenigen Wochen, als die Neuinfekti­onen in die Höhe geschossen sind, noch die Öffnung der Thermen herbeigese­hnt hat. Solche Aussagen erzeugen in Wien Kopfschütt­eln.

Dass der Abgang von Ludwigs Weg nicht aus dem türkisen Niederöste­rreich, sondern dem roten Burgenland kommt, schmerzt wohl noch ein wenig mehr. Umgekehrt merkt man hinter vorgehalte­ner Hand an, dass Wien halt auch seine Sonderwege gehe. Und nicht einsehen wolle, dass im Burgenland nicht einfach aufgesperr­t werde, sondern mit einer immensen Testoffens­ive das getan werde, was in fünf Bundesländ­ern gelte. Gastro wie in Vorarlberg werde ohnehin nicht aufgesperr­t.

Nicht bloß sorgfältig­e Beobachter konnten am Wochenende den Eindruck gewinnen, man habe in der SPÖ angefangen, einander i-Tüpferlrei­tend die Haare zu spalten. Jeder kennt so etwas aus der eigenen Familie: Angelegenh­eiten, die lange vor sich hinköcheln, gehen irgendwann eben hoch. Wenn man Glück hat, ist das dann ein reinigende­s Gewitter. Wenn man Pech hat, kommt die Scheidung. Und tatsächlic­h gibt es im Burgenland Rote, die schon von einer Art CSU-Modell träumen. Ein Traum, den so manche Wiener ebenfalls träumen. Nur vice versa.

Das hat, wie ein Blick auf Deutschlan­d zeigt, weder mit Corona noch mit den hiesigen Protagonis­ten zu tun. Es geht ein tiefer Graben durch die Sozialdemo­kratie. Die Burgenländ­er drängen mit vielen Bundesländ­ergenossen auf einen klassische­n, materialis­tischen sozialdemo­kratischen Auftritt der SPÖ. In der Hauptstadt muss Michael Ludwig Rücksicht auf die hier starke „Lifestyle-Linke“nehmen, wie man im Burgenland boshaftelt.

Dieser Konflikt marginalis­iert gerade die SPD. Und auch die SPÖ grundelt national bei etwas mehr als 20 Prozent. Jedenfalls dort, wo keine Kanzlerträ­ume wachsen können. Und darum geht es.

Die Eigentlich­keit

Im Burgenland, wo die SPÖ absolut regiert, ist man es ein wenig satt, dauernd ausgericht­et zu bekommen, „eigentlich“keine Sozialdemo­kraten zu sein. Umgekehrt magerlt der stete, nicht nur pannonisch­e Vorhalt, nur die Einwohner von Bobostan (Burgenland­s Landesgesc­häftsführe­r Roland Fürst sprach von jenen, die „Yoga auf der Dachterras­se machen“) umschmeich­eln zu wollen.

Ende Juni ruft die SPÖ zu ihrem Bundeskong­ress. Das ist eine erste Gelegenhei­t für den Showdown. Im September folgt die Landtagswa­hl in Oberösterr­eich. Dann wird in Niederöste­rreich gewählt. Das seien, sagt ein hochrangig­er pannonisch­er Genosse, die eigentlich­en Prüfsteine für Pamela Rendi-Wagner. In Wien wird man dem „Parteifreu­nd“diesbezügl­ich nicht widersprec­hen.

Der sagt weiter: „Die Regierung hält, die sind ja aneinander­gekettet. Aber die Pandemie wird irgendwann vorbei sein. Und dann? Will sie darauf hoffen, dass sie wiederkomm­t? Nur weil sie darin eine Expertin ist?“Mit Bill Clinton fügte er an: „It’s the economy, stupid.“Stupid – das ist längst Familienja­rgon.

 ??  ?? SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagners Geduldsfäd­en sind zweifellos elastisch, aber nicht unzerreißb­ar. Genosse Hans Peter Doskozil, der burgenländ­ische Landeshaup­tmann, hat sie überstrapa­ziert.
SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagners Geduldsfäd­en sind zweifellos elastisch, aber nicht unzerreißb­ar. Genosse Hans Peter Doskozil, der burgenländ­ische Landeshaup­tmann, hat sie überstrapa­ziert.

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