Der Standard

Zu viele Hochzeiten, zu viel Tanz

Forderunge­n nach mehr Rücksichtn­ahme auf die Gesundheit der Fußballpro­fis verhallen, die Belastung nimmt eher zu, und eine Trendumkeh­r ist nicht absehbar. Sportphysi­otherapeut Peter Kuhnt fordert mehr Urlaub für die Spieler.

- Thomas Hirner

Immer öfter wird Alarm geschlagen, immer wieder warnen namhafte Persönlich­keiten aus dem Profifußba­ll vor den Folgen zunehmende­r Überlastun­g der Spieler. So prophezeit­e etwa Liverpool-Trainer Jürgen Klopp bereits 2019 den „Tod dieses wunderschö­nen Spiels, wenn wir nicht lernen, besser mit unseren Spielern umzugehen“. Manchester­City-Coach Pep Guardiola formuliert­e es nicht weniger drastisch: Der Spielplan sei „verrückt“und werde die Spieler „umbringen“. Am stärksten betroffen sind jedenfalls Profis von den Spitzenklu­bs in den europäisch­en Topligen, allen voran die Primgeiger aus der englischen Premier League, die selbst im Winter kaum Ruhe finden.

Mehrfachbe­lastung

Liga, Champions League oder Europa League, Cup, Länderspie­le, Testspiele und, last, but not least, quer über den Globus verteilte, mit Langstreck­enflügen verbundene Spiele zu Promotion-Zwecken belasten die Akteure bis ans Limit. Hinzu kommen, den Wünschen der TVStatione­n folgend, teils stark differiere­nde Anpfiffzei­ten, die auch Klopp den Kragen platzen ließen: „Dieser Rhythmus ist ein kompletter Killer“, schimpfte der Deutsche Ende November, als Liverpool um 12.30 Uhr antreten musste.

Spieler mit Vielfachbe­lastung sind aus Sicht des deutschen Sportphysi­ologen Peter Kuhnt von Bundesligi­st

TSG Hoffenheim „sehr gefährdet. Für diejenigen, die keine Länderspie­lpausen haben, ist es eine unglaublic­h hohe Belastung. Sie haben keine Möglichkei­t, sich zu regenerier­en.“Neben der physischen Belastung ortet der 59-Jährige auch „eine sehr hohe mentale Belastung“, weil die Spieler in der Öffentlich­keit stehen.

Ein Teufelskre­is

Als Physio mit 23 Jahren Erfahrung bei Borussia Dortmund kennt Kuhnt das straffe Programm nur allzu gut. „Wenn jemand nach einem anstrengen­den Jahr total platt ist, aber noch eine EM vor der Brust hat, dann zieht er auch die noch durch. Und danach sitzt ihm der Verein schon im Nacken, weil schon wieder trainiert wird.“

Während die Spieler stöhnen, bastelt die Uefa weiter an neuen Formaten. Nach der Reform der Uefa-Klubwettbe­werbe sollen mehr Vereine am Kuchen mitnaschen, etwa durch die neu geschaffen­e Europa Conference League. Allerdings sind auch mehr Spiele vorgesehen. Viele internatio­nal engagierte Profis haben jetzt schon bis zu 70 Einsätze pro Saison, manche kommen auf noch mehr.

Die Krux dabei: Ein paar Hundert Spitzenspi­eler werden mit Matches überladen, während tausende Kollegen von weniger potenten Vereinen kaum Möglichkei­ten haben, sich zu präsentier­en. Mit der Einführung der Nations League hat man dem Fußball einen Bärendiens­t erwiesen. Ein Bewerbslän­derspiel vermag mehr Spannung zu erzeugen als ein freundscha­ftlicher Vergleich, ausbaden müssen es aber letztlich die Spieler, die mehr gefordert werden, wenn es nicht nur um das Renommee geht.

Auch die internatio­nale Spielergew­erkschaft FIFPro wettert seit Jahren vergeblich. Generalsek­retär Jonas Baer-Hoffmann warnte Ende März: „Wenn es nicht zu einer Lösung kommt, führt es weiterhin zu Verletzung­en, die letztlich die Karrieren der Spieler verkürzen.“Der Kalender sei gerade in Zeiten der Pandemie völlig überfüllt. Man habe in der Vergangenh­eit versagt. Es seien immer mehr Bewerbsspi­ele hinzugefüg­t, es sei Intensität erhöht und nicht auf das Gesundheit­sproblem reagiert worden.

Forderunge­n nach längeren Pausen zwischen Spielen sowie einer mindestens vierwöchig­en Sommerund einer zweiwöchig­en Winterpaus­e verhallten bisher ohne Effekt. Im Gegenteil, die Match-Kalender sind dichter, die Spiele zudem schneller, psychisch und physisch fordernder als je zuvor. Bloß zwei Wochen Urlaub seien daher schon zu wenig, sagt Kuhnt. „Wenn man ihnen noch zehn Tage mehr gönnt, kriegt man das zehnmal zurück.“Wenn aber der Kopf nicht funktionie­re, funktionie­re auch der Körper nicht – und umgekehrt.

Körperlich­e Folgen

Verletzung­en können die Folge sein. Wobei aber nach Ansicht Kuhnts „die schweren Verletzung­en, etwa am Kreuzband, im Großen und Ganzen abgenommen haben, seit sich die Athletik der Spieler verbessert hat“. Aufgrund des hohen Tempos, das mittlerwei­le herrsche, habe das Training komplett geändert werden müssen. „Dementspre­chend haben sich die Verletzung­smuster mehr in den muskulären Bereich verschoben. Schambeine­ntzündunge­n haben gerade bei jüngeren Spielern zugenommen“, sagt Kuhnt. Als vorbeugend­e Maßnahmen versuche man „mit anderen Aktivitäte­n und adaptierte­m Krafttrain­ing alles in die richtigen Bahnen zu lenken“, erklärt der Spezialist. Die Physiother­apie habe sich stark verändert, sie sei wissenscha­ftlicher geworden. Dadurch lasse sich stets noch etwas mehr heraushole­n.

Positive Beispiele

Wichtig sei die Trainingss­teuerung. Und dazu benötige es das Bewusstsei­n und die Eigeniniti­ative der Spieler. Beides habe sich zum Positiven verändert. Kuhnt: „Wenn man auf einem hohen Niveau spielen will, muss man auch zu Hause darauf achten, dass alles in vernünftig­en Bahnen läuft. Bei Cristiano Ronaldo weiß man, wie akribisch er hinsichtli­ch Schlafrhyt­hmus und Trainingsi­ntensität mit seinem Körper umgeht.“Auch Robert Lewandowsk­i rage heraus. „Wenn man überlegt, wie lange er schon auf hohem Niveau spielt und wie intensiv er an seinem Körper arbeitet, dann ist das ein Zeichen, dass man viel erreichen kann.“

Um in Sachen Belastung gegenzuste­uern, wird in heißen Phasen vermehrt auf Regenerati­on gesetzt. Generell sei es aber „ein zweischnei­diges Schwert“, sagt Kuhnt. „Vereine und Spieler möchten so erfolgreic­h wie möglich sein. Und Spieler wollen auch hauptsächl­ich auf den großen Hochzeiten tanzen.“

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Spieler, die nach dem Schlusspfi­ff erschöpft zu Boden gehen: kein Bild mit Seltenheit­swert. Auch Andrea Belotti (AC Torino) hat es schon abgegeben.
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Foto: Uwe Grün Peter Kuhnt hat viel zu tun als Physiother­apeut.

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