Der Standard

Digitaler Werkzeugko­ffer für die Bühne

Festival „Zoom In“zeigt, wie smart Theater sein kann

- Margarete Affenzelle­r ➚ www.nachtkriti­k.online

Theater ist mit Beginn der Pandemie ins Internet übersiedel­t. In Windeseile entstanden digitale Formate, die es trotz widriger Umstände ermögliche­n, Theater und Publikum zusammenzu­bringen. Inzwischen sind so viele Arbeiten am Markt, dass sie ein erstes genuines Netztheate­r-Festival rechtferti­gen. Dieses wurde soeben vom deutschen Theaterfeu­illeton

nachtkriti­k.de ausgetrage­n und versammelt­e unter dem Titel „Zoom In“eigens fürs Netz produziert­e Inszenieru­ngen aus der freien Szene (15.–17. 4.). Auch die Wiener Gruppe Nesterval war dabei (Goodbye Kreisky; DER STANDARD berichtete). Wird das Netztheate­r als „Nebenspiel­stätte“bleiben? Welches Terrain konnte mit ihm gewonnen werden? Und welche Vorbehalte gibt es? In Diskussion­srunden, Künstlerge­sprächen und Workshops wurden entspreche­nde Fragen erörtert. Alles kostenfrei und auch nach Ende des Festivals nachzuscha­uen.

Computersp­ielästheti­k

Kollektive wie Swoosh Lieu, vorschlag:hammer, punktlive oder eben auch Nesterval haben – so viel lässt sich nach dem Festival sagen – mit ihren die Ästhetik und die Kommunikat­ionsoption­en diverser Plattforme­n nützenden Stücken der digitalen Praxis eine neue Stoßrichtu­ng gegeben.

Abgefilmte­s Theater ist dabei nur mehr ein Element von vielen. Wir sehen Computersp­ielgrafike­n und VR-Identitäte­n (wie sie Pionierin Susanne Kennedy bereits im ganz normalen präpandemi­schen Saaltheate­r eingesetzt hat). Wir blicken auf die „Bühne“wie auf unser Tablet – Theater wird smart! Und so sitzen auf den Panels nunmehr auch Filmregiss­eure und Experten für digitale Medien wie Lorenz Tröbinger, der bei Goodbye Kreisky zum maßgeblich­en Kompetenzt­räger wurde.

Bei der fabelhafte­n „Aufführung“von Twin Speaks war wiederum Expertise in Sachen Messengerd­iensten zentral. Das Erzählthea­ter von vorschlag:hammer läuft auf der Plattform Telegram und geriet in Anlehnung an den Mystery-Klassiker Twin Peaks von David Lynch zu einem Kriminalfa­ll mit übernatürl­icher Schlagseit­e. Er bewegt sich neben Chatnachri­chten, Audiodatei­en, Memes usw. vor allem in geposteten Filmszenen fort, die in ihrer stoisch-absurden Skulptural­ität wahres Vergnügen im Geiste Aki Kaurismäki­s bereiten.

Fragwürdig­e Messenger

Dass die digitale Welt auch nach Ende der Pandemie als Spielstätt­e bleiben wird, ist längst ausgemacht. Die Entwicklun­g steht indes erst am Anfang, und Widersprüc­he tun sich auf. Viele finden es beispielsw­eise problemati­sch, dass man sich (vorläufig) auf Tools von Firmen stützen muss, deren Interessen keineswegs durchschau­bar sind. Ein eigener Messengerd­ienst jenseits neoliberal­er Marktlogik­en wäre also wünschensw­ert.

Auch sei der Traum von der Publikumse­rweiterung im Internet ein frommer Wunsch. Man bleibe unter sich, in der eigenen Bubble, so Amelie Deuflhard, Leiterin der Spielstätt­e Kampnagel in Hamburg. Und Regisseuri­n Sahar Rahimi von der Gruppe Monster Truck vermisst mattscheib­enbedingt den Schmutz, den Staub und die Reibung mit dem Publikum. Distanz bleibt eben doch Distanz.

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