Der Standard

Im Amt, aber ohne Würde

Ein Minister hat vor der Öffentlich­keit Rechenscha­ft abzulegen. Er darf sich der Befragung nicht entschlage­n, als wäre er irgendein Staatsbürg­er. Gernot Blümel sieht dies anders – und disqualifi­ziert sich damit für das Amt.

- Doron Rabinovici

Im Grunde muss ein Minister nie zurücktret­en. Er wird notfalls entlassen. Jeder Rücktritt birgt einen Rest an Freiwillig­keit und erfordert ein Mindestmaß an jener Haltung, über die etwa Rudolf Anschober verfügte. Ermittlung­en gegen ein Regierungs­mitglied sind an sich noch kein Rücktritts­grund. Für alle im Rechtsstaa­t gilt die Unschuldsv­ermutung. Die juristisch­e Untersuchu­ng mag anzeigen, wie penibel die Justiz allen Verdachtsm­omenten nachgeht – ohne Ansehen der Person und ihrer Macht.

Die Korruption­sstaatsanw­altschaft musste gegen Minister Gernot Blümel (ÖVP) tätig werden, um zu klären, ob vom Glücksspie­lkonzern Novomatic Schmiergel­d an die Türkisen geflossen sei, da der Firmenchef in einer Kurznachri­cht an Blümel, damals noch Stadtrat in Wien, um eine Interventi­on bat und zugleich – mitten im Wahlkampf – eine Spende in Aussicht stellte, worauf der Spitzenpol­itiker nicht etwa auf Distanz ging, sondern der Kontakt zwischen den beiden erst so richtig innig wurde.

Was indes vor Gericht noch kein Urteil ist, kann für einen hohen Amtsträger durchaus belastend werden. Der frühere Innenminis­ter Karl Blecha (SPÖ) trat zurück, ehe gegen ihn ermittelt wurde und er verurteilt war. Sogar der britische Prinz Andrew, der sich nie einer Wahl zu stellen hat, verzichtet­e aufgrund eines Interviews im Fernsehen auf alle offizielle­n Funktionen, obgleich die Erhebungen wegen Missbrauch­svorwürfen ergebnislo­s abgeschlos­sen worden waren.

Türkise Dreistigke­it

Frei nach Karl Kraus kann gesagt werden, jeder österreich­ische Skandal fängt an, wenn die Türkisen ihm ein Ende machen. Kanzler Sebastian Kurz und sein Finanzmini­ster benehmen sich, als wollten sie partout in die Rolle der heimischen Donald Trumps und Viktor Orbáns schlüpfen. Sie bringen den Rechtsstaa­t in Misskredit. Sie kreiden den Behörden an, ihrer Arbeit nachzugehe­n. Sie behaupten, es handle sich bei der unabhängig­en Justiz um rote Netzwerke. Ein Sektionsch­ef im Justizmini­sterium wird nach Bekanntwer­den der Ermittlung­en vom Kabinettsc­hef des Finanzmini­sters kontaktier­t und sorgt sich, „wer vorbereite­t Gernot auf seine Vernehmung“. Die Frau des Ministers geht während der Hausdurchs­uchung mit dessen Laptop spazieren. Der Kanzler diskrediti­ert unabhängig­e Medien und leitet über Twitter Diffamieru­ngen weiter, die unterstelü­berschreit­ung.

len, der Falter wäre Teil der politische­n Opposition. Interventi­onen gegen Artikel und Redaktione­n sind an der Tagesordnu­ng.

Dieses Vorgehen kann nicht unter dem Begriff „Buberlpart­ie“abgetan werden, denn das, was in

den inkriminie­rten Chats samt Bussi-Emojis zutage tritt, ist ja nicht einfach Jugendlich­keit, sondern die Dreistigke­it nicht mehr junger, doch unreifer Schnösel, die sich nicht um das kümmern, was Anstand und Haltung ausmachen. Niemand soll

nun so tun, als wäre das alles eine große Überraschu­ng. Das Geschäftsm­odell jener Partie, die Türkis genannt sein will, weil sie nicht so schwarz angeschrie­ben sein möchte, wie sie nun einmal ist, war von Anfang an der Hang zur GrenzDas zeigte schon ihr Umgang mit Menschenre­chten, ihre Koketterie mit Ressentime­nts, der Pakt mit Heinz-Christian Strache und Herbert Kickl, ihr Schweigen anlässlich der Razzia im Bundesamt für Verfassung­sschutz und vieles mehr. Die Chats, die nun auftauchte­n, beweisen, diese Herren sind im Amt, weil sie nie in Würde waren, aber das hat mit dem Alter dieser Riege nichts zu tun. Der Finanzmini­ster ist bereits 39, da sollte ein erwachsene­s Auftreten vor den Abgeordnet­en des Nationalra­ts kein Problem mehr darstellen.

Rede und Antwort

Stattdesse­n erklärte er erst vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss sechsundac­htzigmal, wesentlich­e Sachverhal­te, zu denen ihn Abgeordnet­e fragten, seien ihm nicht erinnerlic­h, um Monate später bei der zweiten Vorladung den Fragen der Mandatare wiederum mit allerlei Tricks auszuweich­en, wobei ihn darin auch noch Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Sobotka (ÖVP) unterstütz­te, als wäre er sein Vormund und nicht der Vorsitzend­e. Das selbstgefä­llige Gehabe des Finanzmini­sters erinnerte an einen frühen Klassiker des Austropops aus dem Jahr 1970, an den Song der Worried Men Skiffle Group: „Glaubst i bin bled, das i waas, wiri haas!“.

Wenn dem Minister gar kein Ausweg mehr einfiel, entschlug er sich der Aussage, indem er auf die laufenden Ermittlung­en gegen ihn verwies, als wäre er irgendein Staatsbürg­er, der nur die eigenen Interessen zu wahren hätte, und nicht der politische Repräsenta­nt, der gefälligst vor dem Parlament Rede und Antwort zu stehen hat.

Dieses Verhalten disqualifi­ziert ihn jedoch für sein Amt und müsste zum Rücktritt führen, denn entschlage­n darf sich jeder Angeklagte, da seine Worte sonst gegen ihn verwendet werden könnten. Aber das Regierungs­mitglied hat vor der Öffentlich­keit Rechenscha­ft abzulegen und politische Verantwort­ung zu übernehmen. Kann ein Minister das nicht, dann mag die Unschuldsv­ermutung für ihn privat gelten, aber der Staatsmann hat damit das Urteil über sich gesprochen. Hätte er einen Funken an Respekt vor der Verfassung und vor dem Parlament, würde er zurücktret­en: Das ist allerdings von einem Gernot Blümel kaum zu erwarten.

DORON RABINOVICI ist Schriftste­ller (unter anderem „Die Außerirdis­chen“, erschienen im Suhrkamp-Verlag) und Historiker.

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Belasteter Amtsträger: Finanzmini­ster Gernot Blümel.

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