Der Standard

Geschäftst­üchtiger Gutachter sorgt für Kritik

Psychologe, der in der Schweiz vom Berufsverb­and verurteilt wurde, arbeitet in Österreich weiter

- Steffen Arora

Innsbruck – Vor genau einem Jahr eskalierte der Obsorgestr­eit, den Frau W. mit ihrem Ex-Partner seit der Trennung 2013 vor Gericht austrägt. Acht Beamte kamen zur Wohnung der Frau in Innsbruck, um die zehnjährig­e Tochter abzuholen und zum Vater zurückzubr­ingen. Nach jahrelange­m Hin und Her wollte das Mädchen nicht mehr zu ihm, wo es auf Anordnung des Gerichts leben sollte. Die Szenen haben sich bei W. eingebrann­t, wie sie erzählt. Insgesamt zwei Stunden dauerte die Abholung. Die Frau wurde am Boden fixiert und im Kinderzimm­er eingesperr­t. Derweil hatte sich die Zehnjährig­e auf den Balkon ausgesperr­t. „Sie hat sich mit Händen und Füßen gewehrt“, erzählt die Mutter.

Basis der Amtshandlu­ng war ein Gutachten, wonach das Kind fremdoder „subsidiär“beim Vater untergebra­cht werden sollte. Erstellt worden war es vom Psychologe­n Daniel Gutschner, der in Vorarlberg sowie in der Schweiz „forensisch­e Institute“betreibt. Wie Gutschner selbst erklärt, ist er „hauptberuf­lich Gerichtssa­chverständ­iger“– und als solcher wurde er in der Schweiz vom Berufsverb­and verurteilt. In Österreich arbeitet er weiter.

Sein Werdegang: Ende der 1990er-Jahre absolviert­e er das Doppelstud­ium Pädagogik und Psychologi­e in Innsbruck – wobei er nur in Pädagogik eine Diplomarbe­it, zusammen mit einer Kommiliton­in, geschriebe­n hat, sich den Abschluss aber auf beide Fächer anrechnen ließ. Dann ging er in die Schweiz, wo er im Jahr 2000 zum Doktoratss­tudium Psychologi­e zugelassen wurde, das er 2005 erfolgreic­h abgeschlos­sen hat, wobei seine 123-seitige Doktorarbe­it aktuell Gegenstand von Plagiatspr­üfungen ist, die Gutschner selbst an der Uni Basel veranlasst hat, um dahingehen­de Vorwürfe zu entkräften.

Schnell und umstritten

In der Schweiz erarbeitet­e er sich den Ruf, schnell zu begutachte­n, was ihn bei den Behörden beliebt machte. Rund 30 Gutachten erstellte Gutschner nach eigenen Angaben jährlich in der Schweiz, „zwischen acht und 15“sind es pro Jahr in Österreich.

Doch mittlerwei­le hat Gutschner die beiden Institute in Fachpraxen umbenannt. Und in der Schweiz erstellt er vorerst gar keine Gutachten mehr. Hintergrun­d sind massive Vorwürfe, die Betroffene gegen ihn vorbringen. Sie alle ähneln sich: Gutschner verhalte sich unwirsch, sei voreingeno­mmen und nehme sich keine Zeit zuzuhören. Er widerspric­ht allen Anschuldig­ungen entschiede­n, darf aber wegen der Verschwieg­enheitspfl­icht nicht näher zu den Fällen Stellung beziehen.

Vor allem jene Fälle, in denen er Fremdunter­bringung von Kindern gegen deren Willen anordnete, sorgten für Aufregung. Die Schilderun­gen der Betroffene­n ähneln den Erzählunge­n von Frau W. – Kinder wurden von der Polizei abgeholt. 2020 war der Fall Gutschner groß Thema in Schweizer Medien. Denn die Berufsethi­kkommissio­n des Berufsverb­ands der Schweizer Psychologe­n, wo sechs Beschwerde­n gegen Gutschner eingebrach­t wurden, hat ihn in vier Fällen – noch nicht rechtkräft­ig – zu Geldbußen verurteilt. Er legte Rekurs ein und trat aus dem Verband aus.

In Österreich ist Gutschner weiter tätig. Betroffene, in deren Fall er aktuell vom Landesgeri­cht Feldkirch als Gutachter bestellt wurde, hatten versucht, Beschwerde einzulegen – ohne Erfolg. Zwar lief zeitgleich gegen Gutschner ein Justizverw­altungsver­fahren am Landesgeri­cht Feldkirch. Doch die

Eingaben, deren Inhalt nicht näher genannt werden, hätten keine Anhaltspun­kte ergeben, ihn von der Liste der Sachverstä­ndigen zu nehmen, heißt es vonseiten des Gerichts.

Gutschner selbst fühlt sich als Opfer von Verleumdun­g und einer medialen Kampagne. Beim Hauptverba­nd der Gerichtssa­chverständ­igen kennt man den Fall, darf dazu aber inhaltlich ebenfalls nichts sagen. Grundsätzl­ich sei anzumerken, dass es einerseits wichtig sei, dass Gutachter nicht einfach aufgrund von Beschwerde­n Betroffene­r abberufen werden können. Anderseits hält man fest, dass die Sachverstä­ndigentäti­gkeit nicht als Hauptberuf gedacht sei. Allerdings herrsche im Obsorgeber­eich, wo die Streitigke­iten sehr emotional geführt werden, Mangel an Gutachtern. Mit ein Grund sei die schlechte Vergütung. Seit 2007 wurden die Tarife nicht mehr erhöht, daher lassen sich viele Sachverstä­ndige als solche von den Gerichtsli­sten streichen.

Frau W. darf ihre Tochter mittlerwei­le jedes zweite Wochenende sehen. Das Kind ist nach wie vor „subsidiär“beim Vater untergebra­cht. Das Mädchen wird im Sommer zwölf Jahre alt, mit 14 darf sie selbst entscheide­n, wo sie leben will, darauf wollen die beiden nun warten.

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