Zweite Beschwerde gegen Österreich bei EU-Kommission
Behinderteneinrichtungen kritisieren Verwendung von EU-Geldern in Tirol, die Inklusion widerspricht
– Bereits zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres haben Selbstbestimmt Leben Österreich (SLIÖ) und das Europäische Netzwerk für Selbstbestimmtes Leben (ENIL) eine offizielle Beschwerde gegen Österreich bei der EU-Kommission eingereicht. Diesmal steht Tirol im Fokus der Kritik. Es geht um rund 3,2 Millionen Euro aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (E-LER), die in Tirol für die Renovierung und den Neubau aussondernder Behinderteneinrichtungen verwendet wurden.
Konkret sind es fünf Wohneinrichtungen und drei Werkstätten für erwachsene Menschen mit Behinderungen sowie eine große Einrichtung für Kinder mit Behinderungen.
SLIÖ und ENIL kritisieren, dass durch die Förderung dieser Projekte die Aussonderung von Menschen mit Behinderungen fortgesetzt werde. Die SLIÖ-Vorsitzende Bernadette Feuerstein hat kein Verständnis dafür: „Die Gelder aus den EU-Strukturfonds sollten für den Ausbau von persönlicher Assistenz für Kinder und erwachsene Frauen und Männer mit Behinderungen sowie für die Inklusion am Arbeitsmarkt verwendet werden.“
Recht auf Teilhabe sichern
Denn in der von Österreich ebenfalls ratifizierten UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ist das Recht auf Teilhabe und Selbstbestimmung unmissverständlich verankert. Für
Feuerstein ist es umso unverständlicher, dass dennoch weiter Geld dafür ausgegeben wird: „Dass Tirol insgesamt drei Millionen – die Hälfte davon E-LER-Mittel – in die Renovierung einer Heimsonderschule investiert, macht mich sprachlos.“Seitens des Landes erklärte man, dass die Investitionen genutzt würden, um Verbesserungen der Lernumgebung sowie Barrierefreiheit umzusetzen.
„Wieso wurde dieses Geld nicht in inklusive Maßnahmen investiert, damit die Kinder die Schule in ihrem Heimatort besuchen und bei ihrer Familien leben können?“, fragt Feuerstein. Erst vor einem Jahr habe der UN-Ausschuss für die Rechte von Kindern Österreich zum wiederholten Mal für fehlende Strategien
zur Inklusion von Kindern mit Behinderungen gerügt, so die Expertin.
Wie bereits bei der ersten Beschwerde gegen die oberösterreichische Landesregierung im Juli 2020 – DER STANDARD berichtete –, bei der es um die missbräuchliche Verwendung von 7,5 Millionen Euro aus EU-Mitteln ging, fordern SLIÖ und ENIL die Europäische Kommission dazu auf, gegen die Tiroler Landesregierung vorzugehen, etwa durch die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens. „Die neuen Behindertenund Kinderrechtsstrategien der EU sind dem Abbau von Betreuung in Einrichtungen verpflichtet. Es wird Zeit, dass sie in Taten umgesetzt werden“, betonte Nadia Hadad von ENIL. (ars)