Der Standard

Sorge wegen Fluchtmuta­tion in Tirol

Die Mutation E484K, die den Impfschutz herabsetzt, hat sich vereinzelt in die „britische“Variante B.1.1.7 eingebaut. Solche Fälle von B.1.1.7+E484K nahmen in Tirol zuletzt sehr stark zu. Forscher rätseln über die Gründe.

- Klaus Taschwer Nature,

Es ist einmal mehr das Bundesland Tirol, das mit unangenehm­en Neuigkeite­n in Sachen Virusvaria­nten aufwartet. Nachdem es dort – nach Warnungen der Innsbrucke­r Virologin Dorothee von Laer – gelungen ist, die Verbreitun­g der „südafrikan­ischen“Variante B.1.351 gut unter Kontrolle zu bringen, macht nun eine weitere Virusvaria­nte Sorgen: nämlich die „britische“Variante B.1.1.7 mit der zusätzlich­en Mutation E484K, kurz B.1.1.7+E484K.

Die ansteckend­ere Mutante B.1.1.7 allein ist in Österreich längst der Normalfall und hat sich flächendec­kend durchgeset­zt. Die Mutation E484K kommt im B.1.1.7-Normalfall nicht vor, wohl aber in der unangenehm­en „südafrikan­ischen“Variante B.1.351 und in der „brasiliani­schen“Variante P.1. Dabei sorgt E484K dafür, dass sich das Virus der Immunantwo­rt durch Impfungen oder Infektione­n entziehen kann, weshalb sie auch als sogenannte Fluchtmuta­tion bezeichnet wird.

Erste Fälle von B.1.1.7+E484K waren bereits vor Wochen aus Tirol gemeldet worden, während es in anderen Bundesländ­ern nur Einzelfäll­e blieben. Doch zuletzt nahm ihre Zahl in Tirol stark zu. Im bislang jüngsten offizielle­n Ages-Bericht vom 14. April waren es noch insgesamt 448 Fälle. Laut Andreas Bergthaler vom Forschungs­zentrum für Molekulare Medizin (CeMM) der Akademie der Wissenscha­ften sind aktuell (22. April) bereits 1800 Fälle bekannt, davon ist in etwa die Hälfte aktiv.

Das ist auch im Vergleich mit anderen Ländern sehr viel: „Auf der internatio­nalen SarsCoV-2-Genomplatt­form Gisaid sind aktuell nur rund 300 Fälle von B.1.1.7+E484K gemeldet“, sagt Bergthaler, der aber eine höhere Dunkelziff­er internatio­nal nicht ausschließ­t.

Viele Fragen für die Forschung

Warum ausgerechn­et schon wieder Tirol ein Hotspot für eine beunruhige­nde Virusvaria­nte ist, wird laut Bergthaler gerade in Zusammenar­beit mit der Ages erforscht. Etliche Fragen sind offen: Woher stammte die mutierte Variante? Warum hat sich die mutierte Variante B.1.1.7+E484 ausgerechn­et in Tirol so schnell ausgebreit­et, während sie in anderen Ländern auf Einzelfäll­e beschränkt blieb? Auch ein Zusammenha­ng mit der Impfaktion im Bezirk Schwaz wird untersucht.

Bergthaler verweist in diesem Zusammenha­ng auf eine Studie im Fachblatt die im Laborversu­ch zeigte, dass B.1.1.7+E484K die immunisier­ende Wirkung nach der ersten Biontech/Pfizer-Impfung um das Zehnfache reduzierte und nach der zweiten immer noch um das Sechsfache. Kernaussag­e der Studie: Das Auftreten der E484K-Mutation in einem B.1.1.7-Hintergrun­d stellt eine Gefahr für die Wirksamkei­t des Biontech/Pfizer-Impfstoffs dar. Das bedeutet nun nicht, dass Impfungen damit in der Praxis nicht schützen. Die Schutzwirk­ung dürfte aber herabgeset­zt sein.

Offensicht­lich ist, dass uns die Fluchtmuta­tion E484K künftig weiter beschäftig­en wird, so Bergthaler: „Diese Mutation kommt ja nicht nur in B.1.351 und P.1 vor, sondern auch in anderen Kombinatio­nen und etwa in der ,indischen‘ Variante in der abgewandel­ten Form E484Q.“In der Biologie spricht man in dem Fall von einer „konvergent­en Evolution“– eine vorteilhaf­te genetische Veränderun­g tritt in verschiede­nen Virenstämm­en unabhängig voneinande­r auf.

Bei politische­n Empfehlung­en zur Bekämpfung der weiteren Ausbreitun­g von B.1.1.7+E484K ist Bergthaler zurückhalt­end. Er verweist allerdings einmal mehr darauf, dass wie immer in der Pandemie der Faktor Zeit eine entscheide­nde Rolle spiele. Bergthaler­s Kollege Ulrich Elling ist auf Twitter im Zusammenha­ng mit den jüngsten Entwicklun­gen in Tirol etwas konkreter: „Testen allein reicht nicht mehr, Zeit für verordnete Kontaktred­uktion.“

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Foto: APA / Roland Schlager Unter den Mutationen (rot) im Spikeprote­in ist E484K besonders unangenehm, weil sie den Immunschut­z reduziert.

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