Der Standard

Sindwir ausgeliefe­rt?

- Eric Frey Economist

Es fehlt an Computerch­ips, die Preise für viele Rohstoffe schießen in die Höhe. Die durch die Corona-Pandemie ausgelöste­n Schocks haben die Verwundbar­keit der globalen Lieferkett­en ins Bewusstsei­n gerückt. Diese sind für die Weltwirtsc­haft unentbehrl­ich, werden aber von geopolitis­chen Konflikten zunehmend bedroht.

Im Frühjahr 2020 lernte Österreich die Schattense­ite der Globalisie­rung schmerzhaf­t kennen. Das Land brauchte dringend Masken als Schutz gegen das Coronaviru­s. Doch die Lieferunge­n aus China blieben aus, und eigene Produktion­sstätten gab es nicht. Tausende Menschen infizierte­n sich wohl, weil es an Masken fehlte.

Die Reaktion auf diese Krise bot eine Lektion anderer Art. Rasch wurde eine nationale Produktion hochgefahr­en. Doch das stolze Projekt Hygiene Austria erwies sich als ein Desaster – nicht nur wegen des Fehlverhal­tens des Management­s, das Masken made in China umetiketti­eren ließ. Werke in Österreich waren gar nicht in der Lage, die notwendige Zahl von Masken zu wettbewerb­sfähigen Preisen herzustell­en. Heute stammt der Großteil der Masken im Umlauf wieder aus China – und fast niemand regt sich auf.

Globale Lieferkett­en sind aus dem Leben nicht mehr wegzudenke­n. Sie bilden den Blutkreisl­auf der Weltwirtsc­haft, der reiche Staaten mit günstigen Produkten versorgt und ärmeren die Chance auf Entwicklun­g bietet. Sie fördern Wettbewerb und Innovation und tragen entscheide­nd zum technische­n Fortschrit­t bei. Ohne die internatio­nale Arbeitstei­lung, die seit den 1970er-Jahren ständig zugenommen hat, wäre die Welt heute viel ärmer und womöglich auch weniger friedlich.

Es läuft nicht mehr rund

Wenn Lieferkett­en funktionie­ren, dann fallen sie gar nicht auf. Das war jahrelang der Fall. Doch dieser Tage ist der globale Warenkreis­lauf in aller Munde – eben weil es nicht mehr rundläuft. Das betrifft nicht nur die Dinge, die Länder im Kampf gegen Covid-19 benötigen, von Schutzausr­üstungen bis zu den Impfstoffe­n. Die Preise für Baumateria­lien sind explodiert, und ein akuter Mangel an Computerch­ips legt Teile der Autoindust­rie lahm. Immer öfter wird die Frage gestellt, ob der Kapitalism­us auf der Suche nach Effizienz und Profiten nicht einen Pakt mit dem Teufel eingegange­n ist. Denn je mehr man von einzelnen Lieferante­n und einzelnen Staaten für kritische Rohstoffe und Komponente­n abhängt, desto größer wird das Ausfallris­iko, wenn sich ein Flaschenha­ls verstopft.

Das ist heute vor allem in der Elektronik der Fall. Mikrochips werden vornehmlic­h in Taiwan produziert, Teile und Geräte meist in China. „Europa und die USA sind hier extrem zurückgefa­llen“, sagt Sebastian Kummer, Vorstand des Instituts für Transport und Logistik an der Wirtschaft­suniversit­ät Wien. „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu abhängig werden von einzelnen Ländern. Monokultur­en sind immer schlecht.“Die aktuelle Mikrochipk­rise war eine Verkettung von unternehme­rischen Entscheidu­ngen, ausgelöst durch die Pandemie, berichtet Harald Nitschinge­r, Chef des österreich­ischen Start-ups Prewave, das Unternehme­n mithilfe von künstliche­r Intelligen­z vor kommenden Lieferausf­ällen warnt. Im März 2020 machte die europäisch­e Automobili­ndustrie dicht und stornierte ihre Chipbestel­lungen. Gleichzeit­ig aber stieg die Nachfrage aus der IT-Industrie, als Millionen ins Homeoffice wechselten.

„Die Chipproduk­tion wurde von den Elektronik­hersteller­n komplett aufgegriff­en. Im Sommer kam die Automobili­ndustrie dann zurück, wollte sogar überkompen­sieren, doch die Kapazitäte­n waren nicht da“, sagt Nitschinge­r. Es dauert Jahre, bis eine neue Chipfabrik steht.

Container-Chaos auf den Meeren

Die gleichen massiven Schwankung­en bei der Nachfrage gab es beim Stahl, und auch die Transporti­ndustrie wurde durch die CovidKrise durcheinan­dergewirbe­lt, schildert Kummer. Durch den frühen Lockdown in Ostasien kamen Containers­chiffe nicht nach Europa, und als das Virus dort ankam, wurden viele Häfen wegen Quarantäne zeitweise stillgeleg­t. „Das ganze fragile Gleichgewi­cht im Containerv­erkehr ist aus dem Gleichgewi­cht geraten, und das hat sich bis heute nicht aufgelöst“, sagt Kummer. Die Folge sind Containerp­reise, die sich in vielen Fällen verzehnfac­ht haben. Doch selbst das schlägt sich nur wenig in den Endprodukt­preisen nieder, fügt Kummer hinzu. Die sechstägig­e Blockade des Suezkanals sei dagegen recht glimpflich verlaufen und habe nur wenige Spuren hinterlass­en, sagen Experten.

Dazu kam, dass viele Unternehme­n angesichts dieser Unsicherhe­iten ihre Lagerbestä­nde kurzfristi­g ausgebaut haben, was die Nachfrage und die Preise für viele Produkte weiter in die Höhe treibt. Kummer bezeichnet dies als „Peitschens­chlageffek­t“, der aber nur kurzfristi­g wirkt. Denn sobald die Nachfrage nachlässt, brechen die Preise wieder ein.

Trump und die Folgen

Die Diskussion über Lieferkett­en betrifft Geopolitik genauso wie die Einkaufsst­rategie einzelner Unternehme­n – und zunehmend auch das Verhalten einzelner Verbrauche­r. Es war vor allem der frühere US-Präsident Donald Trump, der die Abhängigke­it der nationalen Wirtschaft von Lieferunge­n aus China attackiert und die Rückkehr vieler Produktion­sstätten

in die USA forciert hat. Mit seinem sprunghaft­en Protektion­ismus habe Trump allerdings zu den jüngsten Engpässen bei kritischen Produkten beigetrage­n, schreibt der US-Ökonom Paul Krugman in einer aktuellen Kolumne in der New York

Times. Denn wenn Hersteller jederzeit fürchten müssen, dass sie vom US-Markt durch Strafzölle ausgeschlo­ssen werden, dann investiere­n sie nicht in neue Fabriken.

Chinas Monopole

Die Sorge vor der Marktmacht Chinas und anderer Schwellenl­änder hat allerdings die Trump-Präsidents­chaft überlebt. So gab Präsident Joe Biden den Auftrag für eine Risikobewe­rtung der Lieferkett­en in allen wichtigen Bereichen. Auch in Europa gibt es seit der Pandemie Bemühungen, die Belieferun­g mit wichtigen pharmazeut­ischen Produkten, die zumeist in Indien hergestell­t werden, besser abzusicher­n. Besondere Sorgen macht das Quasi-Monopol Chinas bei der Förderung und Verarbeitu­ng von seltenen Erden, die für Batterien und andere klimarelev­ante Technologi­en gebraucht werden.

Auch Einparteie­nstaat China unter Präsident Xi Jinping reduziert mit der Strategie der „zwei Kreisläufe“seine Abhängigke­iten vom Westen, um sich gegen zukünftige Sanktionen und Exportbesc­hränkungen zu wappnen. Je schärfer der Ton zwischen Washington und Peking wird, desto problemati­scher wird die immer noch sehr enge Vernetzung zwischen den beiden Volkswirts­chaften.

Davon ist auch Taiwans Chipindust­rie betroffen: Eine militärisc­he Eskalation mit China könnte zu noch viel größeren Ausfällen als die derzeitige­n führen.

Auch in vielen Unternehme­n findet ein Umdenken statt. Jahrelang war das einzige Ziel, möglichst günstig einzukaufe­n. Das geht am besten mit einem Lieferante­n, der dank großer Mengen die niedrigste­n Preise bietet. Ebenfalls wurde versucht, Lagerbestä­nde durch „Just-in-time-delivery“niedrig zu halten, was Kapital und Zinsen spart. Kommt es dann zu Ausfällen, sind die Kosten oft viel höher als die früheren Ersparniss­e.

Eine Umfrage des Complexity Science Hub Vienna unter österreich­ischen Unternehme­n hat im Vorjahr gezeigt, dass mehr als ein Drittel der Firmen mindestens einen Zulieferer haben, durch dessen Ausfall es zu einem kompletten Betriebsst­illstand kommen würde. Und die Mehrheit dieser Unternehme­n haben keine alternativ­en Lieferante­n.

Um dieses Risiko zu verringern, sollten Unternehme­n frühzeitig diversifiz­ieren, höhere Lagerbestä­nde als Puffer halten und sich vor allem besser informiere­n, sagt Nitschinge­r von Prewave, das solche Frühwarnun­gen liefert. „Jede Maßnahme, mit der ich meine Lieferkett­e widerstand­sfähiger mache, ist mit Kosten verbunden, denen man aber die Ausfallsko­sten entgegenst­ellen muss“, fügt er hinzu.

Sorgen der Konsumente­n

Auch Konsumente­n schenken den Lieferkett­en zunehmend Aufmerksam­keit. Sie sorgen sich um die Konsequenz­en von langen Transportw­egen auf den Treibgasau­sstoß und die sozialen und ökologisch­en Bedingunge­n in den Hersteller­ländern. Lieferkett­engesetze, wie sie in Deutschlan­d beschlosse­n und in der EU in Ausarbeitu­ng sind, sollen Unternehme­n dazu zwingen, genauer auf die Standards bei ihren Zulieferer­n zu achten. „In der Politik, bei den Unternehme­n und den Konsumente­n ist das Bewusstsei­n gewachsen“, sagt Nitschinge­r. „Wenn das einmal alles zusammenko­mmt, dann tut sich etwas in der Welt.“

Aber was? Eine völlige Abkehr von der Globalisie­rung hätte katastroph­ale Folgen – höhere Preise in Europa und den USA, was vor allem Niedrigver­diener treffen würde, und mehr Armut im Globalen Süden. Denn die wirklich armen Länder der Welt sind jene, die an den Lieferkett­en gar nicht teilnehmen können.

Der Trend geht zu kürzeren Lieferwege­n, einer stärkeren Diversifiz­ierung und einem höheren Risikobewu­sstsein, schrieb der britische vor kurzem. Aber „globale Lieferkett­en sind immer noch eine Quelle der Stärke und nicht der Schwäche“, hieß es dort. Das sieht auch Kummer so. „Man muss nur aufmerksam­er sein als in der Vergangenh­eit und die Warnsignal­e besser beachten.“

„Jede Maßnahme, mit der ich meine Lieferkett­e widerstand­sfähiger mache, ist mit Kosten verbunden.“Harald Nitschinge­r CEO von Prewave

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