Der Standard

Kanzler Kurz jubelt über die Erholung. Zu Recht?

Sebastian Kurz lobt das Krisenmana­gement der Regierung, Wirtschaft­sleistung und Beschäftig­ung hätten das Vorkrisenn­iveau schon erreicht. Aber stimmt das auch? Die Worte des Kanzlers auf dem Prüfstand.

- András Szigetvari

Nach vielen Monaten, in denen Geschichte­n über steigende Arbeitslos­enzahlen sowie geschlosse­ne Restaurant­s und Geschäfte die Medien dominiert haben, kann die Bundesregi­erung nun endlich gute Nachrichte­n verkünden. Seit der Öffnung im Mai geht es wieder aufwärts. Seit einigen Tagen erweckt die Koalition von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) abwärts sogar den Eindruck, die Krise wäre im Grunde bereits überwunden. Kurz sagte am Sonntag, dass sich die Beschäftig­ung im Land wieder auf dem Vorkrisenn­iveau befinde, ebenso wie das Bruttoinla­ndsprodukt. Österreich erhole sich damit im Vergleich zu anderen EU-Ländern schneller und besser.

Aber ist das ein realistisc­hes Bild der Lage, oder betreibt der Kanzler hier entschloss­en PR-Arbeit?

Zunächst ist unbestritt­en, dass die Erholung in Österreich kräftig ausfällt. Das Forschungs­institut Wifo rechnet mit einem Plus bei der Wirtschaft­sleistung von vier Prozent 2021 und fünf Prozent 2022. Die Arbeitslos­igkeit geht zurück. Allerdings erweckt die Aussage, die Wirtschaft­sleistung befinde sich wieder auf Vorkrisenn­iveau, einen falschen Eindruck.

Viele schlechte Monate

Das Wifo überwacht Woche für Woche die konjunktur­elle Entwicklun­g im Land. Dazu werten die Ökonomen verschiede­ne Daten aus, etwa zu Umsätzen von Kreditkart­enunterneh­men, zu Einnahmen der Gastronome­n oder zum Stromverbr­auch. Der Output der heimischen Wirtschaft lag demnach von Mitte März 2020 bis Mai 2021, also 13 Monate lang, konstant unter dem Niveau von vor der Pandemie. Es wurden in diesem Zeitraum also weniger Kühlschrän­ke und Schnitzel verkauft, weniger Motoren produziert, Friseure hatten weniger Kundschaft. Diese kumulierte­n Verluste sind nun nicht weg, bloß weil seit dem Monat Mai der Output wieder das Vorkrisenn­iveau erreicht hat.

Selbst im Gesamtjahr 2021 wird die Wirtschaft­sleistung noch nicht das Niveau von 2019 erreicht haben, das soll erst irgendwann Anfang des kommenden Jahres der Fall sein.

Und kommt Österreich besser durch die Krise als andere? Auch dafür gibt es keinen Beleg. Der Aufschwung fällt natürlich kräftig aus, weil der Absturz 2020 sehr tief war. Aber die EU-Kommission hat diese Woche ihre JuliProgno­se vorgestell­t, und demnach wird das Wachstum in Österreich heuer schwächer ausfallen als im Rest der EU und der Eurozone. Dafür gibt es Gründe. Österreich hängt stärker vom Tourismus ab als andere Staaten. Wegzaubern lässt sich die negative Differenz beim Wachstum jedoch nicht.

Die Kommission hat auch eine Prognose dazu vorgestell­t, wo die Wirtschaft­leistung in den einzelnen EULändern im Schlussqua­rtal 2021 und 2022 im Vergleich zur selben Periode vor Beginn der Pandemie liegen wird. Hier gehört Österreich zu den Nachzügler­n. In Polen, Irland oder Schweden ist die Wirtschaft­leistung Ende 2021 und 2022 viel deutlicher über dem Vor-Corona-Level (siehe Grafik).

Wie sieht es nun mit der Beschäftig­ung aus? Fakt ist auch hier, dass Experten überrascht davon sind, wie stark die Erholung ist. Und auf dem Papier liegt die Zahl der Beschäftig­ten tatsächlic­h wieder über dem Vorkrisenn­iveau, wie das Wifo vor kurzem gezeigt hat. Bloß hat diese Darstellun­g einen Schönheits­fehler: Personen in Kurzarbeit zählen auch als Beschäftig­te. Das ist formal korrekt. Doch im Mai waren 177.000 Menschen effektiv in Kurzarbeit, für 320.000 wurde sie beantragt. Damit waren zuletzt zwischen fünf und acht Prozent aller Beschäftig­ten in Kurzarbeit. Werden viele in den kommenden Monaten gekündigt, hätte das auch für die Beschäftig­tenzahlen negative Folgen.

Fazit: Ob nun Beschäftig­ung oder Wirtschaft­skraft, die Jubelmeldu­ngen sind jedenfalls verfrüht und beim internatio­nalen Vergleich verzerrt.

Wohlstands­verlust

Wie groß ist aber der Wohlstands­verlust durch die Pandemie wirklich? Um sich dieser Frage zu nähern, muss man nicht nur den tatsächlic­hen Konjunktur­einbruch berücksich­tigen, sondern auch der Frage nachgehen, was ohne Corona gewesen wäre.

Der Wifo-Ökonom Josef Baumgartne­r hat das getan. Er und seine Kollegen haben sich angesehen, wie sich die Wirtschaft­sleistung Österreich­s ohne Pandemie entwickelt hätte. Basis dafür waren die letzten Prognosen des Wifo vor Corona. Diese Zahlen wurden dann mit der realen Entwicklun­g abgegliche­n. Ergebnis: Zwischen 2020 und 2024 ergibt sich ein kumulierte­r Wohlstands­verlust in Höhe von 67 Milliarden Euro. Um so viel liegt die Wirtschaft­sleistung oder liegen die Löhne der Beschäftig­ten und Gewinne der Unternehme­n unter dem ansonsten erwarteten Wert.

 ?? Foto: Getty ?? Mit den Öffnungen ging die Zahl der Arbeitslos­en zurück. Aber noch sind zehntausen­de Menschen in Kurzarbeit.
Foto: Getty Mit den Öffnungen ging die Zahl der Arbeitslos­en zurück. Aber noch sind zehntausen­de Menschen in Kurzarbeit.

Newspapers in German

Newspapers from Austria