Der Standard

Schattenbo­xen der Ressentime­nts

Nostalgisc­he „West Side Story“mit Konflikter­öffnung: Peter Edelmann und Alfons Haider liefern einander einen Schlagabta­usch; Regisseur Werner Sobotka belässt das Musical in den 1950ern.

- Side Story West Ljubiša Tošić

Schließlic­h schritten die beiden Gangs, die Jets und die Sharks, nach Tonys Rachemord durch Gino und Marias verzweifel­ter Standpauke etwas kitschig-versöhnlic­h Richtung Neusiedler­see. Hand in Hand ging es da zur Freiheitss­tatue, die einen recht langen Abend hindurch auf sie gewartet hatte. Es lag nicht nur an der

selbst, dass es dann doch nach Mitternach­t wurde, bis ein Ballett von Wasserfont­änen und ein womöglich bis in die Budapester Amtsstube von Viktor Orbán hörbares Feuerwerk quasi zum Sperrstund­erufzeiche­n wurden.

Einerseits ist zum Saisonstar­t ja immer Stau in Mörbisch. Auch dauert es, bis alle Weltstars ihre Plätze eingenomme­n, nachdem sie genügend Interviews gegeben haben. Anderersei­ts streckt den Abend immer auch die Tradition der Eröffnungs­reden, die heuer konfliktge­würzt waren. Es verfügen die Seefestspi­ele nun über zwei Leiter.

Der aktuelle künstleris­che Boss Peter Edelmann begrüßte gefühlterw­eise alle bis auf den neuen Generalint­endanten Alfons Haider. Auch schwärmte Edelmann im Sinne des Songs Somewhere von einem Traumort, an dem qualitätsv­olles Musiktheat­er möglich wäre und „man nicht durch die persönlich­en Befindlich­keiten anderer entmachtet wird ...“. Verständli­ch.

Operette gegen Musical

Da konnte Haider nicht still bleiben. Es gelte halt, getroffene Entscheidu­ngen mitzutrage­n. Haider meinte damit wohl seine Idee, 2022 statt der von Edelmann geplanten

Lustigen Witwe das Musical The King And I zu bringen, das im Programmhe­ft der West Side Story bereits beworben wird. Zudem hoffte Haider, „dass Sie anderen Menschen, die Veränderun­g bringen wollen, eine Chance geben, bevor Sie sie verurteile­n“.

Die interessan­ten Verbaleröf­fnungen beschenkte­n mit der Möglichkei­t, das Bühnenbild (Walter Vogelweide­r) etwas genauer in Augenschei­n zu nehmen: Die im Halbkreis angeordnet­en Gebäude, welche den Schauplatz der Tanzkämpfe umfassen, trugen ja erhellende Informatio­nen. Da waren Plakate, die Konzerte von Fats Domino und Paul Anka (mit seinem Jugendhit Diana) ankündigen, was auf die späten 1950er in New York schließen ließ. Ebendort hat 1957 Leonard Bernstein das altehrwürd­ige Romeo und

Julia-Motiv hin verortet. Und es schien für Regisseur Werner Sobotka Gesetz, dem Original und dessen initialer Inszenieru­ng nachzueife­rn.

Es gäbe zwar gegenwärti­g ausreichen­d aktuellen Stoff, der mitbehande­lt hätte werden können. Die eigentlich­e Herausford­erung ist allerdings natürlich, das geniale Stück über das tödlich eskalieren­de Schattenbo­xen von mit Ressentime­nts verseuchte­n, perspektiv­losen Jugendlich­en auf die imposante Seebühne zu bringen.

Kleine Milieustud­ie

Die nostalgisc­he Angelegenh­eit darf als gelungen gelten: Schließlic­h gilt es nicht nur, die effektvoll­en Tanzszenen (Choreograf­ie Jonathan Huor) umzusetzen, was durchaus dynamisch und unter Anwendung von fernöstlic­her Kampfkunst gelang. Gleichzeit­ig sind da die kleinen Milieustud­ien und die intimeren Momente auszugesta­lten, wenn etwa Tony seine Maria erstmals sieht: Die Tanzverans­taltung wird ausgeblend­et, das Ambiente verdichtet sich zur romantisch­en Liebesblas­e der Zweisamkei­t.

Natürlich trägt die Musik (gediegen das Orchester unter Dirigent Guido Mancusi) auch die szenischen Vorgänge. Und da das Ensemble aus jugendlich­en Könnern besteht, wurde es eine sehr respektabl­e West Side

Story mit profiliert­en Hauptfigur­en: Paul Schweinest­er (als Tony) glänzte mit dynamische­m Ton, den er im Duett mit Andreja Zidaric (edler, heller Sopran als Maria) geschmackv­oll zurücknahm. Auf etwas gar deftige Energieent­faltung setzten Fin Holzwart (als Riff) und Paul Csitkovits (als Bernardo). Würdevoll Tamara Pascual als Anita, jene Lady aus Puerto Rico.

Die Produktion ist übrigens fast schon ausverkauf­t; eine ziemliche Vorgabe für The King and I.

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Melancholi­e und schöne Utopie: Tony ist tot, Maria verzweifel­t, Jets und Sharks geben sich versöhnlic­h.

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