„Schon oft die Tür hinter mir zugeknallt“
In der Sky-Serie „Ich und die Anderen“stellt David Schalko die klassischen Regeln seriellen Erzählens auf den Kopf. Warum der Autor und Regisseur am Set oft streiten muss und Tom Schilling seine Idealbesetzung ist.
Oh Gott“, antwortet David Schalko auf die Frage, worum es in Ich und die Anderen gehe. Das sei gar nicht so einfach zu erklären, sagt der Autor und Regisseur der Serie, die am 29. Juli bei Sky startet. Schalko schickt seine Hauptfigur Tristan in sechs Folgen auf einen faszinierenden Selbstfindungstrip, der allerlei überraschende und schräge Situationen und Begegnungen beinhaltet – und alles ist, nur kein klassischer Serienplot.
Standard: Sie sprechen von „einem Trip in erzählerisches Neuland“. Was ist damit gemeint?
Schalko: Ich fürchte, man muss es sich anschauen. Die Geschichte funktioniert nicht nach der klassischen Struktur, die wir von Serien kennen – dass es zum Beispiel in jeder Szene eine Wendung gibt, die die Serie vorantreibt. Diese Geschichten folgen einer Binge-WatchStruktur, sind aber im Prinzip szenisches Erzählen. Mir ging es darum, verschränkter, assoziativer zu erzählen. Das Zeitgefüge ist außer Kraft gesetzt, die Dinge sind alle gleichzeitig da und kommunizieren miteinander. Es ist eine Serie, in der man zumindest nie weiß, was in den nächsten drei Minuten passiert.
Standard: Tom Schilling ist Tristan. Wieso er?
Schalko: Ich hatte Tom schon beim Schreiben im Kopf, weil er für mich diese Figur, in die man sehr viel hineinprojizieren muss, ideal repräsentiert. Er ist ein akribischer Schauspieler, was für diese Rolle sehr wichtig ist. Weil er in fast jedem Bild vorkommt und man ihm gerne bei der Arbeit zusehen soll.
Standard: Und dann gibt es weitere Planeten, die um ihn kreisen. Besonders verhaltensauffällig sind dabei Sophie Rois und Martin Wuttke als Tristans penisfixierte Eltern. Wie würden Sie sie beschreiben?
Schalko: Alle Figuren entsprechen gewissen Klischees mit einer Funktion, die sich verändert, je nachdem, welche Situation erzählt wird. Die Geschichte der Eltern und auch der Schwester ist eine klassische Ödipusgeschichte, was auch seinen Grund hat. Den verrate ich hier nicht, weil er sich in Staffel zwei auflöst. Es geht jedenfalls nicht um den reinen Peniswitz. Gleichzeitig sind die Elternszenen eine Persiflage auf den Typus eines mediokren Alt68er-Künstlers, der sich mehr über die Exzentrik definiert – als über die Qualität seiner Arbeit.
Standard: Wie entsteht eine Serie wie „Ich und die Anderen“? Mit weißer Schautafel und Post-its, Skizzen?
Schalko: Nein. So eine Tafel würde mich wahnsinnig machen. Ich versuche, mich in den Büchern selbst zu bewegen und im Kopf zu bleiben. Es ist wie ein gespeichertes Zimmer, das wächst und sich verändert. Das war bei diesem Projekt tatsächlich schwierig, weil die Szenen ständig miteinander korrespondieren.
Standard: Die Ordnung passiert im
Kopf?
Schalko: Schreiben ist eine ständige Organisationsarbeit von Gedanken. Es gibt keine Ordnungsrezeptur, aber es gibt in gewisser Weise Schubladen, in denen Dinge landen.
Standard: Wie heißen Ihre momentanen Schubladen?
Schalko: Eine heißt zum Beispiel „The Last Nazi Movie“, eine andere heißt „Kafka“.
Standard: Filmschaffende, die fürs Fernsehen arbeiten, klagen öfter über störende Einmischungsversuche der Redaktionen. Ist Ihnen das bekannt?
Schalko: Natürlich ist mir das bekannt, ich erlebe das immer wieder. Die Frage ist, wie man damit umgeht. Ich mache relativ schnell klar, wie ich arbeiten will, trotzdem streitet man oft. Bei M habe ich zum Beispiel viel gestritten. Ich mache auch immer klar, dass es mir wichtig ist, ein Projekt unkorrumpiert über die Bühne zu bringen. Ich bin schon sehr oft bei einer Tür rausgegangen und habe sie hinter mir zugeknallt. Eigentlich bei fast jeder Serie.
Standard: Aber dann sind Sie doch wieder zurückgekommen?
Schalko: Ich glaube, dass im Fernsehen die Leute oft nicht gewohnt sind, dass man rausgeht und sagt: Ich geh’ jetzt aufs Klo, und wenn ich zurückkomme, dann sagt ihr mir, ob ich Urlaub habe oder ob ich drehe. Das ist ein sehr ungewohnter Prozess beim Fernsehen, weil alle voneinander abhängig sind und jeder Angst hat, dass man zu weit geht. Ich bin aber eigentlich ein sehr ruhiger, sanftmütiger Mensch, das klingt jetzt fast, als wäre ich ein Choleriker.
Standard: Gute Kritiken sind Sie gewohnt. Am ehesten bemängelt wird ein Defizit in der weiblichen Figurenentwicklung. Sie kämen meistens über bloße Klischees kaum hinaus. Was sagen Sie dazu?
Schalko: Das ist auch bei männlichen Figuren so. Klar, es stimmt, dass zum Beispiel Braunschlag in einer sehr männlichen Welt erzählt wird, weil das politische Landleben eben eine sehr männliche Welt ist. Ich glaube aber nicht, dass die männlichen Figuren komplexer sind als die weiblichen. Der nächste Roman, den ich schreibe, wird aus einer weiblichen Perspektive erzählt – und dann wird es ganz schlechte Kritiken hageln.
Standard: Das macht Ihnen nichts
aus?
Schalko: Wenn ich befetzt werde? Nein. Ich unterscheide auch gar nicht so sehr zwischen schlechten und guten Kritiken. Ich kann mit einer gut geschriebenen schlechten Kritik mehr anfangen als mit einer schlecht geschriebenen guten Kritik. Ich mache diesen Beruf nicht, um von 15 Journalisten geliebt zu werden und auch nicht von drei Millionen Leuten, sondern in erster Linie für mich selbst. Wenn das dann jemand anderem auch gefällt, freue ich mich.
Standard: Wie geht’s der österreichischen Serie?
Schalko: Es ist ein allgemeiner Zustand, den ich beobachte. Dass man bei uns sehr bieder ist, vielleicht aus der Spekulation heraus, dass man das ältere, ländliche Publikum halten will. In Deutschland ist man bei den öffentlich-rechtlichen schon weiter, weil man die Mediatheken mit Budget ausgestattet hat, um eine neue Sprache für den öffentlich-rechtlichen Sektor zu entwickeln, der auch für junge Leute interessant ist.
Standard: Sind diese nicht ohnehin bei Streamingplattformen?
Schalko: Da sehe ich aber auch eine ähnliche Art des Konservatismus, weil die sich oft nur auf ihre Rezeptur verlassen. Die Menge der Anbieter wird in den nächsten Jahren noch mehr vom Gleichen hervorbringen und Diversifikation verhindern. Und es wird ganz viel Eskapismus erzählt werden.
Standard: Zum Beispiel mit Strache auf Ibiza. Zuletzt sagten Sie, dass es unklar ist, ob das Projekt überhaupt verwirklicht wird. Wie jetzt?
Schalko: Wir befinden uns in der Buchphase. Unser Ziel ist es, etwas zu erzählen, das zeitlos ist und nicht das Erwartbare beinhaltet. Wir fühlen uns auch nicht dem Realismus verpflichtet, weil Satire eine andere Wahrheit herausschält. Es geht nicht darum, das, was ohnehin bizarr ist, zu toppen.
DAVID SCHALKO schreibt neben seiner Arbeit als Drehbuchautor und Regisseur Bücher, zuletzt „Bad Regina“.