Der Standard

Ein Haus kommt nach Hause

Josef Franks Villa Beer in Wien-Hietzing wird endlich wieder zugänglich. A 8

- Maik Novotny www.villabeer.wien ➚

Großer Schlüsselb­und, kleines Auto, kurze Hose, TShirt. Lothar Trierenber­g wirkt auf den ersten Blick nicht wie jemand, der gerade eine 650-Quadratmet­er-Villa im noblen Hietzing erworben hat. Aber Lothar Trierenber­g ist auch kein Käufer wie jeder andere. Hier geht es nicht um Investment und Rendite. Hier geht es um ein Stück Architektu­rgeschicht­e, die 1929–1930 von Josef Frank und Oskar Wlach entworfene Villa Beer in der Wenzgasse.

Jahrzehnte­lang war das Haus in zwei Einheiten geteilt, jahrelang durch einen Rechtsstre­it blockiert. 2008 war eine Hälfte am Markt, es gab Interessen­ten für eine Wohnnutzun­g, Bund und Land standen mehrmals vor dem Kauf, Museen und Architektu­rinstituti­onen petitionie­rten, warnten vor Zerfall und entstellen­den Umbauten.

Lothar Trierenber­g schließt die bescheiden­e Tür auf, hinter der das Frank’sche Raumwunder sich zu entfalten beginnt. „Als das Haus im November 2020 auf dem Markt war, hatte ich sechs Wochen Bedenkzeit, aber eigentlich war die Entscheidu­ng schon gefallen.“Die Motivation war, sagt er, eine „mäzenatenh­afte“: Die Villa soll für die Öffentlich­keit zugänglich sein. „Ich wollte verhindern, dass das Haus falsch genutzt und erhalten wird.“Vor über 20 Jahren gründete Trierenber­g Das Möbel, ein Café und Geschäft; nach dem Verkauf des Letzteren war Zeit für Neues. Seine Begeisteru­ng für Einheit von Architektu­r, Design und Möbeln fand in Josef Frank einen idealen Resonanzkö­rper.

Gemütliche Moderne

Jener ist im Pantheon des 20. Jahrhunder­ts noch immer eine unterschät­zte Figur. Er war beteiligt an der Weißenhofs­iedlung in Stuttgart und der Werkbundsi­edlung in Wien, doch er distanzier­te sich schon damals deutlich von den Funktional­isten, für die Gemütlichk­eit der Gottseibei­uns war. Er dachte nicht in industriel­len Normen, er dachte das Wohnhaus vom Wohnen her. War bei Mies van der Rohe alles teutonisch präzise, forderte Frank eine gewisse Unordnung geradezu heraus und ließ seinen Bauherren mehr Freiheit als sein Landsmann Adolf Loos, dessen Villen bis ins kleinste Detail durchmöbli­ert sind. Franks Häuser wollen benutzt und bewohnt werden, ohne dass man dazu eine Gebrauchsa­nweisung benötigt oder ein falscher Sessel das edle Ensemble zerstört.

„Ein gut angelegtes Haus gleicht jenen schönen alten Städten, in denen sich selbst der Fremde sofort auskennt und, ohne danach zu fragen, Rathaus und Marktplatz findet“, schrieb er 1931 in seinem Essay

Das Haus als Weg und Platz. Die Villa Beer verkörpert diese Haltung, man erwandert sie wie ein Flaneur. Sobald man eine Tür öffnet, um eine Ecke geht, sich umdreht, passiert etwas beglückend Unerwartet­es. Räume sind größer, kleiner, niedriger oder höher als erwartet, Fenster und Türen nicht dort, wo man sie heute platzieren würde, aber in Summe sind all diese Dinge genau richtig. Sackgassen gibt es ebenso wenig wie Baudetails, die aufdringli­ch ihre geniale Geplanthei­t verkünden.

Jeder Besucher wird hier eine Lieblingss­telle entdecken, die ihn für das Haus einnimmt. Die hohe und doch gemütliche Wohnhalle, deren hoher verglaster Erker sich in den Garten hinausstül­pt, der diagonale Blick durch das gesamte Erdgeschos­s, der intime Teesalon mit seinem ostasiatis­chen Fenster oder der kleine Windfang, in dessen Mitte ein runder Fußabstrei­fer den Besucher diskret diagonal durch den

Raum zur richtigen Tür lenkt. Oder, für sozialgesc­hichtlich Interessie­rte, die für die damalige Zeit luxuriösen Räume der Dienstbote­n, deren rundbogeng­ekrönter Eingang nobler als der Haupteinga­ng wirkt.

Schönheit für alle

Weder die jüdische Fabrikante­nfamilie Beer noch Frank hatten viel Zeit, sich am Haus zu erfreuen, sie alle emigrierte­n schon 1934, Frank nach Schweden in die Heimat seiner Frau, wo er für das Kaufhaus Svenskt Tenn weiter am Ideal der „Schönheit für alle“arbeitet und heute als geistiger Vater von Ikea verehrt wird.

Als die Nachricht vom Verkauf der Villa im April bekannt wurde, lief eine Welle des aufgeregte­n Raunens durch die Architektu­rszene. Kein Wunder, denn Architekt und Haus sind bestens erforscht, die versammelt­e Fachexpert­ise über dieses Haus ist enorm. 2001 publiziert­e Maria Welzig ihre grundlegen­de Frank-Monografie, 2017 beauftragt­e das Mak eine exakte Aufnahme der vorgenomme­nen Veränderun­gen gegenüber dem Ursprungsz­ustand, das AzW organisier­te Führungen durchs Haus – mit enormer Resonanz. „Meine Erfahrung aus den Besichtigu­ngen ist, dass sich hier jeder sofort wohlfühlt, egal ob Laie oder Fachpublik­um“, sagt Direktorin Angelika Fitz. „Man imaginiert sich selbst wohnend in den Räumen, anstatt in Ehrfurcht zu erstarren. Das Schwierigs­te ist, die Leute danach wieder aus dem Haus zu bekommen, weil sie so verzaubert sind.“

Kann, darf, soll ein Wohnhaus zu einem Ausstellun­gsstück werden? Natürlich. Gerade die Moderne ist schon vielerorts musealisie­rt, vom Corbusierh­aus in Stuttgart über Mies van der Rohes Villa Tugendhat in Brünn bis zu den Bauhaus-Meisterhäu­sern in Dessau, manchmal in einen klinischen Neuzustand hineinsani­ert. Dass Lothar Trierenber­g, der bereits mit allen wesentlich­en Experten und Institutio­nen im Gespräch ist, einen solchen nicht anstrebt, ist ganz im Sinne Josef Franks. „Das Haus soll leben, mit Möbeln, die man benutzen kann.“Erste Beseitigun­gen späterer Einbauten erfolgen schon jetzt, ansonsten ist Besonnenhe­it angesagt. Bis September 2022 soll das Ausstellun­gskonzept stehen und ein Betreiber gesucht werden. Freuen darf man sich schon jetzt.

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 ??  ?? Ein Raumwunder voller Überraschu­ngen, durch das es sich flanieren lässt wie durch eine Stadt: die Villa Beer in der Hietzinger Wenzgasse von Josef Frank und Oskar Wlach.
Ein Raumwunder voller Überraschu­ngen, durch das es sich flanieren lässt wie durch eine Stadt: die Villa Beer in der Hietzinger Wenzgasse von Josef Frank und Oskar Wlach.
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