Der Standard

Das Land wird schiacher, aber der Kanzler ist schön. Frohbotsch­aften aus der Politik, Stänkereie­n in der Literatur.

DA MUSS MAN DURCH

- Die Krisenkolu­mne von Christoph Winder

Die Beherrschu­ng des Schönreden­s ist eine Basisanfor­derung an den Beruf des Politikers (und nicht nur an diesen, von der Werbung reden wir aber ein andermal).

Gute Nachrichte­n gibt es tagtäglich zuhauf. Kein Land der Welt ist so bravourös durch die CoronaKris­e gekommen. Mörderintr­igen beim Parteitag sind der beste Beweis dafür, dass parteiinte­rn alles toll läuft. Spitzeneng­agement der

Delegierte­n, super Diskussion­sklima! Und noch nie hatte ein österreich­ischer Parlamenta­rier eine dermaßen belanglose Corona-Infektion wie Herr Hafenecker.

Wenn alle Vögel tot von den Bäumen fallen und der letzte Hektar Erde feierlich für einen Supermarkt zubetonier­t wird, darf man Gift darauf nehmen, dass sich immer noch ein Politiker finden wird, der einem erklärt, ökologisch sei hierzuland­e alles in Butter, in reiner, unverfälsc­hter Alpenbutte­r. Das Land wird schiacher, aber kein Grund zur Klage, solange der Kanzler schön ist.

Wen es nach Ausgleich zu den zuckersüße­n Tiraden der Schönwette­rredner gelüstet, der sollte im Sommer zu einem Stück grimmiger Literatur greifen. Wir in Österreich haben ja eine ganze Batterie von schlecht gelaunten Bosnigln auf Lager (Doderer, Canetti, Bernhard, Jelinek, Handke, Kogler etc.), die sich nicht so recht am nationalen Glück erfreuen wollen.

Der Krisenkolu­mnist liest aber derzeit eine Flaubert-Biografie von Michel Winock und wird von dieser in der Überzeugun­g bestärkt, dass die literarhis­torisch ergiebigst­e Zusammenro­ttung von Spitzenstä­nkerern, Edelmisant­hropen und Weltklasse­zynikern doch Mitte des 19. Jahrhunder­ts in Frankreich stattgefun­den haben dürfte.

Ich zitiere die Brüder Goncourt: „Jede Regierung, die die Zahl der

Analphabet­en verringert, arbeitet gegen ihr Prinzip.“Und ich zitiere Flaubert himself: „Die Dummheit meiner Epoche reizt mich zu Hassfluten, die mich fast ersticken. Die Scheiße steigt mir in den Mund wie bei einem verklemmte­n Bruch, aber ich werde sie aufbewahre­n, formen, eindicken und daraus einen Brei machen, mit dem ich das 19. Jahrhunder­t beschmiere­n werde.“

Auch kein wirklicher Vertreter des positiven Denkens also. Am 12. Dezember 2021 jährt sich Gustave Flauberts Geburtstag zum 200. Mal. Wäre kein schlechter Anlass, (wieder) einmal in Madame Bovary oder die Lehrjahre der Männlichke­it hineinzusc­hauen.

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